Lieber Roland Freisitzer wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Unter der Woche beginnt mein Tag normalerweise sehr früh, so gegen 5 oder 5:30. Eine gemütliche Tasse Kaffee (die Zeit muss sein), dann der erste Spaziergang mit Yuki. An vier Tagen in der Woche gehe ich meiner Tätigkeit als stellvertretender Schulleiter der Friedrich Gulda School of Music in Wien nach, wo ich mit einem großartigen Team zusammenarbeiten darf. Am späteren Nachmittag bin ich wieder daheim, Spaziergang mit Yuki, private Mails, sonstige Verpflichtungen. Da der dritte Roman in den ersten Ideen steckt und ich auch noch nicht an einer Übersetzung arbeite (die nächste aber bald beginnen werde), versuche ich, so viel Zeit wie möglich mit Büchern zu verbringen. An den Abenden verbringe ich Zeit mit meiner Frau. An den Wochenenden ist, sofern wir beide nicht an einem Text / Musikwerk arbeiten müssen, Freizeit angesagt…

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Haltung. Meiner Meinung nach ist Haltung immer, aber vielleicht gerade jetzt besonders wichtig. In einer Zeit, in der viele Menschen mit großen Problemen konfrontiert sind, ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass z.B. die Menschen in der Ukraine, in Syrien oder an anderen Orten dieser Welt viel größeres Leid durchmachen, als wir. Ein Leid, das wir uns in Wahrheit gar nicht wirklich vorstellen können. Dabei ist es nur allzu leicht, den billigen Provokationen und Verlockungen diverser populistischer Politiker auf den Leim zu gehen, die uns versprechen, dass es uns besser gehen würde, wenn wir unsere Haltung aufgeben. Dass es uns, wenn wir zuerst oder gar nur an uns denken, besser gehen würde. Vielleicht im ersten Moment, doch die Folgeschäden wären katastrophal. Noch nie hat es einer Gesellschaft gutgetan, nur an sich zu denken.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ich befürchte, dass wir leider an einer sehr gefährlichen Kreuzung in unserer Geschichte stehen. Gesellschaftlich betrachtet. Zu gefährlich sind diverse Tendenzen, zu leicht könnte das, was unsere Gesellschaft im Kern eigentlich ausmacht, kippen. Viele sozialen Errungenschaften, die uns bisher geprägt haben, werden in Zukunft vielleicht nicht mehr als Stütze fungieren. Die Kluft zwischen Reich und Arm wird vermutlich immer größer werden, und das Interessanteste daran ist, dass immer mehr der unter dieser Entwicklung leidenden Menschen die Parteien wählen, die genau diese Entwicklung vorantreiben.
In einer kapitalistisch orientierten Welt, in der es locker möglich ist, Fussballstars Millionengehälter zu zahlen, Topdirigenten Wahnsinnsgagen erhalten, Topmanager irre Prämien/Belohnungen dafür erhalten, schmerzhafte Einsparungen in der Belegschaft und bei den Gehältern der jungen Generation durchgesetzt zu haben, aber gleichzeitig ein Orchester wie z.B. das RSO erneut angezählt ist, läuft Vieles falsch.
Die Literatur hat es da ein wenig leichter als die zeitgenössische Musik (die mir ja auch sehr nahe ist…), weil einfach viel mehr Menschen lesen, als sie Konzerte mit klassischer (und noch weniger, mit zeitgenössischer) Musik besuchen. Weil grundsätzlich jeder Mensch das zum Genuss eines Buches notwendige Handwerk (die Lesefähigkeit) mitbringt. Wichtig wäre eine viel stärkere Unterstützung für die kleinen Indieverlage, die für die Vielfalt in der Literaturlandschaft stehen. Nicht nur durch diverse Fördergeber, sondern auch durch die Buchhandlungen (vor allem auch die freien Buchhandlungen, indem sie vermehrt Bücher der kleinen Verlage gut sichtbar auflegen).
Die Literatur hat, meiner Meinung nach jedenfalls, eine sehr gewichtige Rolle, weil sie nicht nur in fremde Welten entführt, sondern auch so viel in uns verändern kann. Uns Kraft geben, Augen öffnen, zum Träumen verführen und uns auf Abenteuer, in vergangene oder zukünftige Welten mitnehmen kann, die wir sonst nie erleben (oder überleben) könnten. Und das Schöne ist, dass es für jeden Menschen Literatur gibt, die ihn oder sie fesseln wird. Man muss nur finden, was man braucht. Das kann Thomas Mann oder Margaret Atwood, Philip K. Dick oder James Tiptree Jr., aber auch Jo Nesbo oder Tove Alsterdal sein. Ebenso schön ist es, dass man sie überall und auch alleine genießen kann. Ohne Literatur (oder Musik, oder Kunst per se) wäre unser Leben jedenfalls so viel ärmer…
Was liest Du derzeit?
Den Debütroman meines Verlagskollegen Arad Dabiri „DRAMA“ (erschienen bei Septime Verlag Wien)
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Ich bin kein Sammler von Zitaten, ich vergesse sie meistens viel zu schnell wieder, bzw. habe sie nur ungenau in Erinnerung. Ein sehr schönes Zitat, aber, dass mich künstlerisch schon lange inspiriert, ist der folgende Ausschnitt aus Louis MacNeices Gedicht „Snow“.
World is suddener than we fancy it. World is crazier and more
of it than we think, incorrigibly plural.
Vielen Dank für das Interview, lieber Roland, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur- Musikprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Roland Freisitzer, Schriftsteller, Komponist, Dirigent
Zur Person_
1973 in Wien geboren, wuchs Roland Freisitzer in Moskau, Warschau, Kapstadt und St. Pölten auf, bevor er sich 1989 erneut nach Moskau begab, um Komposition zu studieren. Der Komponist und Dirigent ist Dozent im Bereich der zeitgenössischen Musik an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien sowie stellvertretender Schulleiter an der Friedrich Gulda School of Music in Wien.
2021 erschien sein Debütroman Frey bei Septime Verlag. 2023 erscheint sein zweiter Roman Die Befreiung und mit Emily Maguires Ein Einzelfall auch seine erste Romanübersetzung bei Septime
https://www.rolandfreisitzer.com/
Foto_Bojidara Kouzmanova-Vladar
12.3.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.