Liebe Veronika, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Tee, Kaffee & E-Mails lesen. Danach überarbeite ich eine Stunde lang den Text, den ich am Vortag geschrieben habe und schreibe etwa drei Stunden am Manuskript weiter. Zwischen 12:00 und 13:00 Uhr bereite ich ein Mittagessen zu und esse. Dann schreibe ich bis 18:00 Uhr, im Winter bis 17:00 Uhr. Am Abend folgt eine Runde laufen oder Radfahren, um den Kopf freizubekommen und mich vom Schreibtisch zu erholen. Das Gefühl festzusitzen, hemmt mich beim Arbeiten, ich brauche die Vorwärtsbewegung, damit die Sätze fließen können. Abends sitze ich dann noch etwa zwei Stunden an meinem Manuskript, überdenke die Struktur, korrigiere, feile an Formulierungen. Später lese ich.
An den Wochenenden schreibe ich nur ein bis zwei Stunden täglich. Dafür mache ich ausgedehnte Radausflüge (zu jeder Jahreszeit, nur bei Glatteis fallen die Touren aus), bei denen mir häufig neue Ideen kommen. Unterwegs bespreche ich die Figuren und den Plot mit meinem Freund, der zum Glück diesbezüglich sehr offen und geduldig ist. Mich im Wandel der Jahreszeiten durch die Natur zu bewegen, macht mich ruhig und gibt mir neue Kraft.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Resilienz. In einer Zeit der Unsicherheit finde ich es essenziell, sich zu erden. Das klingt esoterisch, ich meine das aber ganz sachlich – im Sinne von auf dem Boden ankommen, den Boden unter den Füßen spüren. Das mag für jeden etwas anderes bedeuten. Für mich gehören dazu: Draußen sein, den Wind und den Regen spüren. Die Buchstaben hinter den Worten sehen, die Worte hinter den Sätzen, alles für einen Augenblick verschwimmen lassen, um es dann wieder zu einem Wunder zusammenzusetzen. Ich sage mir: Meine Füße tragen mich – wenn es sein muss um die ganze Welt. Und der Strom an Worten, der aus mir sprudelt, versiegt nicht. Solange ich lebe, werde ich Geschichten erzählen.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
In meinen Augen ist es wesentlich, dass wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Während der letzten zwei Jahre hat sich eine große Unzufriedenheit aufgestaut und die Menschen haben begonnen, einander mit Misstrauen zu begegnen. Das muss sich wieder ändern. Kunst und Literatur sind wie Seismografen, die die Erschütterungen, die in der Gesellschaft stattfinden, sichtbar machen. Anhand dieser Aufzeichnungen wird es leichter, darüber zu reden.
Was liest Du derzeit?
László Krasznahorkai „Melancholie des Widerstands“ und Haruki Murakami „Wilde Schafsjagd“.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Als Dreizehnjährige habe ich Rilke geliebt. Bis heute spuken mir seine Gedichte im Kopf herum, vor allem, wenn ich durch die Straßen gehe. Ich mag den Rhythmus seiner Lyrik.
Folgender ist mein Lieblingsvers ist:
du gehst wie lauter lichte Rehe,
und ich bin dunkel und bin Wald
(Du kommst und gehst, Das Stunden-Buch, Rainer Maria Rilke, 1899)
Rilke war der Kirche gegenüber sehr skeptisch. Ich bin Atheistin. Trotzdem fasziniert mich sein Stundenbuch, das die Gebete eines Mönchs enthält. Der Dichter sucht darin nach dem Sinn des Lebens und führt einen Dialog mit einer Art pantheistischem Gott. Die Zwiegespräche, die Versenkung, ja das Beten haben für mich viel mit dem Schreiben zu tun, das meinen Tag strukturiert. In dem oben erwähnten Vers spüre ich, wie die Gedanken, die Ideen, ja das Leben durch mich hindurchgehen. Jedes Mal wieder lassen mich diese Worte mit dem Gefühl zurück, dass alles auf seine eigene Weise gut ist, ganz gleich, was passiert.
Vielen Dank für das Interview liebe Veronika, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Veronika Bauer, Schriftstellerin
Zur Person_Veronika Bauer arbeitet als freie Schriftstellerin und lebt in Niederösterreich. Ehemals Grafikerin hat sie sich mehr und mehr dem Texten zugewandt und der Werbung schließlich ganz den Rücken gekehrt. Unter einem Pseudonym schreibt sie heute Krimis und Thriller, unter ihrem Klarnamen Romane – und zu ihrem Vergnügen Gedichte.
Foto_privat.
11.2.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.