„Wir müssen lernen, anderen zuzuhören und tolerant zu sein“ Stephan Bruckmeier, Regisseur_ Wien 16.2.2023

Lieber Stephan, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Wenn irgend möglich beginne ich den Tag mit Laufen, dann Duschen, dann Tee und Büro – vor allem für das Hope Theatre Nairobi. Dann proben, schreiben, vorbereiten. 2020 war für mich wie für viele ein Jahr des Innehaltens – ich bemühe mich, die Überlegungen dieser Monate weiterzuführen und nicht wieder komplett in die extreme Selbstausbeutung zurückzufallen. Seit ich weiß, dass die Arbeit, die ich fast 40 Jahre lange mit großem Engagement erledigt habe nicht systemrelevant ist und die Bemühungen nach einem friedlichen, respekt- und verantwortungsvollen Miteinander gescheitert sind, arbeite ich weniger aber nicht weniger emphatisch. Ich bemühe mich, mit der Resignation zu leben und sie irgendwie positiv zu verwerten.

Stephan Bruckmeier, Regisseur

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich wurde im Juli 2022 60 Jahre alt und habe schon vieles auf der Welt sehen und erleben dürfen. Ich glaube, dass Bescheidenheit und Rücksichtnahme die wichtigsten Themen unseres Lebens sein sollten und jetzt ganz besonders. Ich glaube aber auch, dass die Minderheit der Egoisten wieder erstarkt und uns „Naive“ überrollt und ausbeutet. Und das meine ich global. Das Internet brachte eine unglaubliche Erneuerung unseres Weltverständnisses, denn wir können uns mittlerweile über fast alles informieren, in Wort und Bild. Und was machen wir damit? Wir fallen in alte Muster zurück, Populismus, die Kraft des Halbwissens, Aggressivität, Kriegstreiberei und rücksichtslose Ausbeutung.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Ehrlich gesagt glaube ich noch immer an die Kraft der Kunst. Theater, Literatur, bildende Kunst – wir können durch die Kunst Fragen stellen, Gemeinschaften bilden und den Diskurs und das gegenseitige Verständnis fördern. Daher werde ich nicht aufgeben, auch wenn ich nicht mehr an das Gelingen einer großen globalen Veränderung glaube. Die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen war die ganz große Revolution – sozusagen die Klimax aller Revolutionen – und sie ist gescheitert. Ein wichtiger Teil meiner Theaterarbeit findet in afrikanischen Ländern statt. Ich sehe die Welt also zumindest von 2 Blickrichtungen – das hat mich sehr verändert. Ich erlebe eine neue, fast schon fanatische Einteilung in richtig und falsch beziehungsweise in gut und böse, auch in unserer demokratisch orientierten Gesellschaft – das ist sehr beängstigend. Es hilft nichts, wir müssen lernen, anderen zuzuhören und tolerant zu sein. Da könnte die Kunst hilfreich sein.

Was liest Du derzeit?

„Das verlorene Paradies“ von Abdulrazak Gurnah.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde geborgen (Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte)

Stephan Bruckmeier,
freischaffender Künstler mit Schwerpunkt Theater

Vielen Dank für das Interview lieber Stephan, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Theater-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an Künstler*innen:

Stephan Bruckmeier, Regisseur, Künstler

http://www.bruckmeier.info

http://www.hope-theatre.info

Fotos: privat

30.7.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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