Lieber Siegfried, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Früher, als ich noch musste, hab ich den Wecker immer auf drei Minuten nach sechs gestellt. Ich wollte nie um sechs aufstehen, das wusste ich schon ganz jung.
Jetzt wache ich meist vor sechs auf.
Das Morgenritual (ich hoffe ich werde immer am Morgen duschen können), Kaffee, Zeitung. Da kann es dann schon zur kleinen Wanderung die Bücherregale entlang kommen, alte Freunde begrüßen, manche verwundert anschaun – das hab ich gelesen? warum weiß ich nichts mehr davon? Eher missmutige Gedanken von manchen Büchern: warum werde ich nicht beachtet?
Bücher reden, echt.
Dann bald hinaus – gehen. Und Leute betrachten. Das ist das wichtigste: Leute betrachten, und Tiere … und so wies mich dahinträgt, trödle ich durch die Stadt und mach keinen Plan.
An manchen Tagen arbeite ich auch im Brechthaus in Augsburg.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Grundgesetz Artikel 1
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Um zu verstehen gibt es nur einen weg: Wissen.
Bildung, lernen, verstehen lernen.
Denken – wird häufig sehr unterschätzt.
Ich glaube nicht, dass das unbedingt bedeutet, dass man ein anständiger Mensch wird, aber die Chance ist größer (in vielen Regierungen, um nur einen Bereich zu nennen, gibt es durchaus gebildete Menschen die von einer grandiosen Dummheit und Boshaftigkeit sind).
Wir sind ganz Einzelne. Kunst und Literatur wirken zuerst an den Einzelnen. Ich glaube nicht an Gruppen, Bewegungen, Epochenthemen.
Zu all dem Wissen kommt natürlich das Erkennen, das einem die Welt gibt. Ich kanns nicht gut anders sagen, vielleicht denken manche Gott, aber da kann ich dann nicht mittun.
Es gibt ein Verstehen und Erkennen, und da besonders in der Kunst, das nicht nur auf Wissen baut, das etwas ganz kreatürliches ist. Darauf kann man immer hoffen.
Hoffen also, dass die Kunst, die Literatur, was sie ja zweifellos bei Einzelnen tut, mehr trifft, mehr bewegt, über den Alltag hinaus Freude bringt, zum Denken anregt, Verstehen hilft.
Also zugänglich ist für viele – wir versinken sonst im Grau, im Grauen.
Was liest Du derzeit?
Ich entdecke grad Bertolt Brecht wieder. Seine Vielfältigkeit. Vor allem in den Prosa Arbeiten, Journalen, und natürlich die Lyrik, die frühe besonders gern, in der er noch ganz ungezähmt ist.
Immer lese ich Lyrik,. Ich mochte schon immer skandinavische Autoren, Lars Gustafsson, Olav H. Hauge und andere. In den letzten Jahren hat es im Elif Verlag eine Reihe von Übersetzungen aus dem Isländischen gegeben, übersetzt von (man muss Übersetzer immer erwähnen, meist loben) Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer – sehr lohnenswert!
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann
Francis Picabia
Vielen Dank für das Interview lieber Siegfried, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Siegfried Völlger, Lyriker
Foto_privat
29.9.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.