„Mein Tag ist seit Jahren eine einzige schlaflose Nacht“ Barbara Plagg, Autorin _ Bozen 29.12.2022

Liebe Barbara, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Mein Tag ist seit Jahren eine einzige schlaflose Nacht: Es beginnt, ohne wirklich aufgehört zu haben, mit freudigem Frühstück mit Mann und Kindern. Ein Kind in den Kindergarten und das Baby dreimal die Woche bei der Tagesmutter abliefern macht meistens mein Mann, ich sitze dann an meinen Forschungsprojekten, zwischendrin Vorlesungen und Meetings, alles eng getaktet von Kindergarten- und Tagesmutter-Abholzeiten.

Am Nachmittag mal so, mal so: Entweder Zeit mit den Kindern oder Arbeit. Wenn die Kinder endlich schlafen nochmal Wissenschaft bis circa Mitternacht, dann mit der ersten Stillpause ins Bett bis circa 4 Uhr, nächste Stillpause und dann Prosa in Kolumnen bis 5 oder 6 Uhr, in der Dämmerung nochmal ins warme Bett kriechen und eine Mütze Schlaf bis halb 8 holen.

Dann beginnt’s wieder freudig, ohne wirklich aufgehört zu haben: Tagsüber Wissenschaft, nachts Prosa.

Barbara Plagg, Autorin, Wissenschaftlerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Frei nach einem bekannten Spruch: Dass wir gelassen genug sind, das hinzunehmen, was wir nicht ändern können, dass wir mutig genug sind, das zu verändern, was wir dringend verändern müssen und dass wir Grips genug haben, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Wissenschaft, der Kunst an sich zu?

Gesellschaftlicher Aufbruch geht nur ganz — also über alle Bereiche hinweg —oder gar nicht. Wir können z.B. kein kapitalistisches Wirtschaftssystem, aber eine sozial-ökologische Kunst haben, das ist innerhalb desselben Gesellschaftssystems unmöglich. Ist die Wirtschaft kapitalistisch, ist es die Kunst auch, da kann man sich nicht fein rausnehmen und sagen nö, damit hab ich nix zu tun.

Wesentlich empfinde ich deswegen das Verständnis, dass soziale und ökologische Veränderung eine Entscheidung ist, die wir als Zivilgesellschaft kollektiv und graduell fällen und dass wir alle, ob Künstler:in, Kindergärtner:in, Wissenschaftler:in oder Bauarbeiter:in eben die Macht und damit auch die Verantwortung für beiderlei tragen: transformative Prozesse einzuleiten — oder eben in einer vermeintlichen Komfortzone verharren. Die Komfortzone hat aber leider nicht genug Zukunft für alle, deswegen muss da, wo Wissenschaft evidenzbasiert Lösungen aufzeigt, Kunst und Kultur zum kreativen Motivator und Katalysator werden, Menschen zu erreichen und den Prozess der Umsetzung zu begleiten und befördern.

Was liest Du derzeit?

Das ist das Schöne am Stillen: Man ist zum Nichtstun gezwungen und hat endlich Zeit zum Lesen. Momentan habe ich zwei unterschiedlich gepolte Still-Lektüren, die ich abwechselnd lese: Die poetisch tröstlichen Ereignislosigkeit in „Dagegen die Elefanten“ von Dagmar Leupold, im Wechsel mit der tröstlichen Aufbruchstimmung in „Das Ende des Kapitalismus“ von Ulrike Herrmann.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. (Hölderlin)

Barbara Plagg, Autorin, Wissenschaftlerin

Vielen Dank für das Interview liebe Barbara, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Wissenschaftsprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Barbara Plagg, Autorin, Wissenschaftlerin

Zur Person: Barbara Plagg (Wissenschafterin und Autorin) arbeitet als Wissenschaftlerin am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health in Bozen und schreibt als Autorin vordergründig sozialkritische Beiträge im Südtiroler online Magazin barfuss. Ihr Theaterstück „72 Stunden – Eine Anklage“, das zum Thema Femizid sensibilisiert, wurde diesen Herbst als Ko-Produktion der Städtetheater Bruneck, Bozen und Meran aufgeführt. Barbara lebt mit ihrer Familie in Südtirol.

Fotos_1 Mati Photography, 2 privat.

27.12.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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