Liebe Lisa, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Mein Tag beginnt immer mit einem Darjeeling ‚First Flush‘ der Teekampagne, den ich in unserem Wohn-/Arbeitszimmer trinke, im Schaukelstuhl, in eine Wolldecke gehüllt. Diesem Tee kommt in letzter Zeit eine besondere Bedeutung zu, weil ich den ersten Moment nach dem Aufwachen manchmal als schmerzhaft erlebe, ohne bestimmten Grund. Und der Tee versetzt mich dann zuverlässig in eine aktive, kreative, verbundene Stimmung. Tatsächlich beginne ich meistens schon im Schaukelstuhl mit der Arbeit, wobei ich mich ganz intuitiv dem zuwende, was für mich gerade ‚ansteht‘. Mal geht es eher darum, so lange wie möglich offline zu bleiben, um künstlerisch arbeiten zu können, manchmal geht’s gleich ans Netzwerken oder ans Organisieren von Veranstaltungen, manchmal ergibt sich aber auch ein Impuls für eines meiner Projekte spontan beim Zeitunglesen… Ich bin sehr dankbar, dass ich es mir erlauben kann, so verbunden mit mir in den Tag zu starten.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Uns mit etwas zu umgeben oder zu beschäftigen, das uns beglückt.
Tatsächlich sind die Schwierigkeiten, vor die jede*r Einzelne von uns durch die Pandemie und Wirtschaftskrise gestellt ist, gar nicht so leicht zu überblicken. Natürlich ist es wichtig, immer wieder zu betonen, wie gut es uns geht im Vergleich zu denjenigen, die von den aktuellen Krisen, vom Krieg direkt betroffen sind. Dieser Vergleich ist aber nur auf der rationalen Ebene wirksam. Ich denke, wir können es uns erlauben, ab und an daran zu denken, dass wir alle im Alltag seit einigen Jahren ziemlich viel ‚wegstecken‘. Vielleicht hilft uns das, nachsichtiger zu sein, mit uns selbst und mit den anderen.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt der Literatur, der Kunst an sich zu?
Für mich ist Kunst, wenn es drauf ankommt, ein ganz essentielles Lebensmittel. Sie macht uns wehrhaft, weil sie uns an einem Punkt berührt, der von den äußeren Umständen, die uns belasten, in der Regel unabhängig ist. Was Kunst bewegt, ist immateriell und daher unter allen Umständen verfügbar. In einer Zeit, die von so viel Unsicherheit geprägt ist, kann Kunst uns also Halt geben.
Was liest Du derzeit?
Sigrid Nunez‘ THE FRIEND, das ich leider gerade ausgelesen habe, war ein solches Lebensmittel. Aktuell lese ich FRIEDA von Isabella Feimer, unlängst bei Braumüller erschienen, einem Verlag, für den ich von Zeit zu Zeit als Lektorin arbeite. Besonders gern ‚lese‘ ich in letzter Zeit auch Untertitel – einige der einschlägigen internationalen Serienproduktionen überraschen mit wirklich starken Dialogen. Eigentlich lese ich sie natürlich nicht, sondern ich transkribiere sie für meinen Unterricht an der filmschool vienna.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Because art is born in expansion, in a belief in sufficient supply, it is critical that we pamper ourselves for the sense of abundance it brings to us.”
Julia Cameron

Vielen Dank für das Interview liebe Lisa, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theater-, Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Lisa Kärcher_Schauspielerin, Dramaturgin
Fotos_Carolina Frank
22.10.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.