Liebe Tania, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Zumindest äußerlich von Krieg und Pandemie einigermaßen unberührt – ich arbeite seit 20 Jahren am heimischen Schreibtisch, wo ich seitdem nach Herzenslust unbeobachtet rauchen und verwahrlosen kann. Mein privater Lockdown seit zwei Dekaden – nur der Hund muss zwischendurch mal raus. Seit Frühsommer sind noch ein paar bewundernswert geländegängige, ukrainische Damen in mein Leben getreten, denen ich in den Wirren der bundesdeutschen Bürokratie ein bisschen beistehe, so gut es geht. Und oft genug grätscht die Nachrichtenlage auch mitten in meine Tagesdispo, wie zum Beispiel beim letzten Terrorbombardement auf Kiew, wo ich natürlich sofort wissen wollte, ob die Lieben zuhause in der Ukraine hoffentlich alle wohlauf sind. Und dann verbringe ich eben den halben Tag damit, mir irgendwas Tröstendes einfallen zu lassen – was leider auch nur mittelgut gelingt.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Nicht nur jetzt, sondern ganz grundsätzlich: Trust science. Und ideologiefrei gucken, was gerade dran ist, auch wenn die eigenen, bisherigen Überzeugungen dabei heftig schmerzen. Erwerben von Kenntnis. Solidarisch sein, auch wenn das Verzicht auf ein paar Privilegien bedeutet, die man sowieso frei Haus gekriegt hat. Und sich wirklich, wirklich für die Demokratie in den Ring schmeißen, denn die ist mit dem grassierenden Brainfuck bedroht wie nie. Dumpfheit und Verrohung nie unwidersprochen hinnehmen, auch wenn das ungemütlich ist – die Zeiten des eleganten Rückzugs in die innere Emigration sind vorbei. Erkennen, dass die eigene Befindlichkeit nicht das Maß aller Dinge ist. Und zugeben, dass man’s auch grade mal nicht besser weiß.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Anteilnahme am Geschehen in der Welt. Augen auf und sich positionieren. Die eigene Stimme nutzen, um sich auch jenseits des eigenen Werks zu engagieren. Raus aus der Innerlichkeit. Weg mit den Eitelkeiten, es gibt noch genügend Darlings zu killen. Abarbeiten an all den Widrigkeiten, die man erkennt. Haltung entwickeln und zeigen. Keine Schnörkel um der Schnörkel willen. Und wenn man nichts zu sagen hat, auch ruhig mal die Klappe halten.
Was liest Du derzeit?
Patricia Highsmith: Ediths Tagebuch
Und “Bloodlands” von Timothy Snyder
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Mein Mantra, das klebt an meinem Schreibtisch: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.” (Samuel Beckett)
Vielen Dank für das Interview liebe Tania, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Buchprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Tania Kibermanis, Autorin
Foto_privat.
16.10.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.