Lieber Jonas, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Aufwachen, an meine Freundin Emlyne denken, guten Morgen Montalivet sagen, die Sonne küssen, schreiben oder malen oder den Tag verplanen, dazwischen Anrufe und Mails, Gedichte übersetzen, versuchen weder zu viel an gestern noch an morgen zu denken (um es später unabsichtlich absichtlich doch zu machen), Kaffee trinken im Zentrum mit Freunden, über Musik, Kunst, Literatur, die Welt und das Wetter reden, duschen, lesen, schreiben, malen usw.
Eigentlich täglich ab 15 Uhr arbeiten als Kellner, Kassierer, Küchenhilfe (Terassenmanager) im Le Gaia du CHM. Hätte ich mir nicht beim Fußballspielen den Fuß gebrochen…

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Durchhalten, geduldig sein, für einander da sein, das machen, was einem gut tut, einen Rhythmus oder Rhythmen finden, im Fluss und wenn nötig gegen den Strom schwimmen und tauchen und wieder Luft holen und weiter. Altruistisch denken, ohne das Selbst aufzugeben. Henry Miller sagte mal: „Ein Künstler braucht Druck, kein Paradies.“ Dagegen würde ich meinen: nein, beides ist existenziell. Zumindest für mich ist das eine ohne das andere undenkbar. Kritisch zu sein mit sich selbst, ohne zu viel Druck auszuüben. Das Leben genießen, ohne im Genuss zu ertrinken..tauchen, wieder auftauchen, egal was einen runterzieht ist harte Arbeit. Per aspera ad astra: Durch Leiden zu den Sternen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
„In dem man die Kontrolle abgibt hat man die Kontrolle“ Allen Watts. Verantwortung übernommen und nicht nur die Fehler bei anderen suchen. Es ist an der Zeit in die millionen Spiegel zu sehen, oder den einen oder in zwei. Es spielt keine Rolle. Vielleicht sind das persönliche und das gesellschaftliche sich ähnlicher als man denken würde. Keine Deckungsgleichkeit, klar, aber sie scheinen sich vorsichtig anzunähern. Wir müssen uns tiefer hinterfragen, Risiken eingehen und uns eingestehen, dass alle Antworten flüchtiger Natur sind, dass wir uns nur annähern, ohne uns selbst je zu erreichen. Glücklich zu sein über die kleinen Dinge im Leben, sich besinnen auf das Wesen, ohne die Welt auszublenden. Dem Blendwerk etwas entgegensetzen, tagtäglich mit offenem Herzen und hungrigen Augen, als versuchte man den Wind zu zeichnen. Die Literatur muss sich befreien, da kann sie einiges von der Kunst lernen. Die Kunst muss aufhören sich endlos zu kopieren, was gar nicht so leicht ist…

Was liest Du derzeit?
Jim Dine, french english, a day longer. Poems.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Nachträglich, zum Jahrestag, den 08.08.22
Wir tanzten Salsa zwischen Wirbelwinden, sanguinisch, blind und unwichtig, wie ein nie vollendetes Sudoku, bis die Sterne sich von der rauen Himmelkante stürzten, als hätten sie nichts mehr zu verlieren. Eines abends saßen wir uns gegenüber und sahen uns so tief in die Augen, dass wir meinten die Ameisen an den Nervenenden zu erkennen, wie sie Pampelmusenreste trugen, von dir zu mir. Wir legten die Karten auf den Tisch, du zuerst, ein Joker, der mir ähnlich sah, mein Blatt war schlecht, drei Buben und ein König, dir machte es wenig aus, ständig zu gewinnen und mir machte es nichts aus dich gewinnen zu lassen, es ging schließlich um einen Kurzen voller Freudentränen und einen Nachmittag in der Toskana mit einem Tier deiner Wahl und du suchtest dir einen Blauwal aus, in dessen Bauch meine Wenigkeit mit Weichzeichner die Porträts meiner Helden malte. Leider gehörte Napoleon nie dazu. Und wir weinten aneinander vorbei, als liebten wir. Die Nacht vergewisserte sich ihrer Schönheit und schenkte uns einen Spiegel.

Vielen Dank für das Interview lieber Jonas, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Danke dir!
5 Fragen an Künstler*innen:
Jonas Gawinski. Dichter und Maler
Fotos_privat
30.8.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.