Liebe Dagmar, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Normalitäten als normal empfinden, gleich in der Früh. Beim Öffnen der Haustür, um die Zeitung hereinzuholen, mit der Nachbarin plaudern, ohne auf Distanz zu gehen. Zum Glück kommt mein Zeitungsausträger noch pünktlich. Das Surren und Brummen der Kaffeemaschine hören, den Duft des frischen Bauernbrotes einsaugen, alles was nötig ist auf das ziselierte Tablett häufen und in den Wintergarten tragen. Wir frühstücken dort, mit Blick auf den Märchengarten, bis der Frost kommt.
Das Schweigen genussvoll, nur untermalt vom Rascheln der umgelegten Seiten. Lesen, Kaffeetrinken, Essen, Rausschauen. Tagesbeginn.
Dann erledigen, was erledigt werden muss.
Dann, wenn Zeit ist, Schreiben, Lesen, Überarbeiten. Mit der Malerin reden, die meine Freundin ist über ihre Art zu Malen, über meine Art zu schreiben, über Bilder, Texte und die Welt. Mit den Autorinnen meiner Gruppe, scribaria, Schreibimpulse austauschen, gemeinsam schreiben, die besten Texte in ein Buch verpacken. (2022 präsentiert den neuesten Band: „Zukunftsreich“)
Familienzeit nehmen. Die Ideen der Jungen und der ganz Alten aufsaugen und dann doch die eigenen verwenden, die durch den Austausch vielleicht abgeschliffen, umgeformt, verformt oder aufpoliert werden oder ganz neu.
Lang sind die Abende und gut. Und kurz die Nächte.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Kritisch sein und wachsam, das ist wichtig. Meinungen nicht ändern, nur weil „alle“ das plötzlich tun. Analysieren, durch-schauen durch trübe Gewässer und versuchen, den Anker nicht aus den Augen zu verlieren, der tief unten am Grund das Boot noch hält.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Es kommt die neue Sparsamkeit. Die Älteren haben sie schon kennengelernt in der Kindheit. Man hat sie gesehen bei den Großeltern, hat ein wenig darüber gelächelt, wenn nichts weggeworfen wurde, wenn aufgepasst wurde auf Dinge, damit sie lange halten. „Nachhaltig“, das Wort kannte man nicht, man war es einfach. Manche haben es vielleicht übernommen, weil sie schon immer was gegen Verschwendung hatten. Die haben es heute leichter. Die anderen sehen die zahlreichen genialen Spar-Vorschläge, die Internet / Influencer /Trendsetter und sogar Politiker hervorbringen, mit beeindrucktem Erstaunen und benennen sie englisch. So passen die langweiligen Werte der Alten in unsere Zeit, und man „saved“ Lebensmittel, isst „the best of the rest“, „upcyclt“ was das Zeug hält, und schaltet demnächst vielleicht glatt das Licht aus, das sinnlos den ganzen Tag vor sich hin brennt.
Die bildende Kunst ist schon aufgebrochen in neue Welten, die aus dem Alten entstehen, bedient sich gerne verschiedener Abfallprodukte des täglichen Lebens oder der Industrie, arbeitet damit, arbeitet um und macht sichtbar.
Die Literatur sucht Worte im Wortlosen, sucht Sagbares im Unsagbaren, sie berichtet und erzählt, sie darf werten und urteilen, denn sie ist Literatur.
Und trotzdem finde ich, dass Kunst und Literatur im Allgemeinen nicht immer eine Rolle haben müssen. Sie müssen gar nichts, denn gerade diese Freiheit ist Kunst
Was liest Du derzeit?
Utopia von Thomas Morus
Gerade beendet: Adas Raum von Sharon Otoo und In ihren Stiefeln von Katharina Springer
Nebenher immer wieder Krimis
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Die Fähigkeit, etwas schön zu finden, ist die einzige mögliche Erlösung im Leben“. (Martin Walser in einem Interview)
Vielen Dank für das Interview liebe Dagmar, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Dagmar Cechak, Schriftstellerin
Foto_privat
8.8.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.