Liebe Jolanda, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich stehe zwischen 5 und 7 Uhr auf, hole mit eine Tasse Kaffee und lese die News auf dem iPad. Zwischen 8 und 9 Uhr nehme ich die Treppe ins Büro. Ich bearbeite meine Mails, bereite meine Lesungen und literarischen Rundgänge vor und feile an meinen Texten. Seit einigen Jahren gönne ich mir einen Mittagsschlaf und am späten Nachmittag einen Spaziergang.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Dass wir auf Fakten setzen und in Kontakt bleiben mit unserem inneren Selbst. Das war schon in der Pandemie wichtig. Und das gilt auch für den Krieg in der Ukraine. Dass ein solcher Krieg mit all seinen Gräueltaten und Heldengeschichten im heutigen Europa möglich ist, macht mich ratlos. Das Patriarchat hat nichts von seiner Toxizität eingebüsst. Pussy Riot, die mutigen Moskauer Musikerinnen, haben das frühzeitig erkannt.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Literatur und Kunst reflektieren, was ist und was war. Sie geben unseren Gefühlen Raum und schaffen ein gemeinschaftliches Erlebnis. Mit Literatur und Kunst können wir den Alltag hinter uns lassen, in andere Welten eintauchen. Nach der langen Pandemiezeit nehme ich die Begegnungen an kulturellen Anlässen als sehr beglückend wahr.
Was liest Du derzeit?
„Zigeuner“ und „Das Benefizium des Ettore Camelli“ von Isabella Huser. Wir
bereiten ein Literaturgespräch in St. Gallen vor.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
In meinem Buch «Schürzennäherinnen» porträtierte ich die Gründerin des
Schweizer Modelabels Akris. 1959 hörte sich Alice Kriemler-Schoch mit grossem
Interesse einen Vortrag über die «Wühlarbeit des Kremls in Europa» an. Vor
zehn Jahren fand ich diesen Tagebucheintrag aus der Zeit des kalten Krieges
sehr, sehr gestrig. Heute sehe ich ihn in einem ganz anderen Licht. Tragen wir
Sorge zu unserer Demokratie.
Vielen Dank für das Interview liebe Jolanda, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Jolanda Spirig, Schriftstellerin
Foto_Willi Keller www.willikeller.ch
11.5.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.