
100.Geburtstag P.P.Pasolini (*1922 Bologna +ermordet 1975 Rom)
Liebe Verena, Du warst heuer bei der Verleihung des österreichischen Filmpreises in Grafenegg. Welche Themen standen da im Mittelpunkt?
Themen waren unter anderem die budgetären Herausforderungen für den österreichischen Film wie auch #MeToo.

Hervorgehoben wurde auch die Vielfältigkeit im österreichischen Film. Da gibt es Drama, Komödie und vieles mehr auf höchstem, auch international anerkanntem Niveau.

Wie erlebst Du als junge österreichische Schauspielerin die Möglichkeiten an Filmprojekten in Österreich zu partizipieren?
Ich finde es schade, dass nicht mehr auf Öffnung und Variation in der Besetzung geachtet wird, um auch noch unbekannten Schauspieler:innen die Möglichkeit zu geben und dies dem Publikum zu bieten.

Ich verstehe natürlich, dass man auf bekannte Gesichter setzt, aber für die Entwicklung des Films wie auch der Schauspiellandschaft ist dies eine Engführung und künstlerische Falle, in die der österreichische Film nicht (noch mehr) tappen sollte.

Welche Filmprojekte wären für Dich spannend?
Ich kann mir ganz viele Rollen vorstellen in Thriller, Komödie, Drama, möchte sehr gerne Charakterrollen spielen.

Hättest Du Dir auch vorstellen können in einem Film von Pier Paolo Pasolini, (italienischer Regisseur, Schriftsteller 1922-1975), der heuer seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, zu spielen?
Im Film „Teorema – Geometrie der Liebe“ (1968), der ja Thema unseres Fotoshootings ist, setzt Pasolini sehr stark auf die Darstellungskraft der Schauspieler:innen und die Bildkraft im Film. Als Schauspielerin natürlich ein sehr spannendes Filmprojekt. Und obwohl die Sexualität im Zusammenhang von Gesellschaft, Religion und Existenz dramatisch thematisiert wird, ist relativ wenig nackte Haut zu sehen. Dies wäre heute kaum vorstellbar. Pasolini setzt dagegen auf einen sehr ausdrucksstarken Dialog in Mehrdeutigkeit. Da sind sehr viel Geheimnis und auch Anspruch drin.

Ich finde als Schauspielerin Filme sehr interessant, die aufrütteln und Wahrheiten, Missstände aufzeigen, die so noch nicht erkannt wurden.




Was schätzt Du an dem Regisseur Pasolini?
Der Film „Teorema“ ist ja aus dem Jahr 1968. Ich schätze da die Aufmerksamkeit und Langsamkeit in Drehbuch und Spiel, das ist für mich als Zuseherin sehr wohltuend als Kontrast zur filmischen Gegenwart.





Schön, wenn die Kamera sich Zeit nimmt und der Blick von Schauspieler:innen wirken darf und nicht sofort die Szene wechselt.

In den 1980er Filmjahren war es ja auch so. Ich finde das spannend wie entspannend. Es ist für mich großes Kino und nicht langweilig.











An welche Filme der 1980/90er Jahre denkst Du da?
Etwa an „Das Messer“ (1985) mit Glen Close und Jeff Bridges oder an „Philadelphia“ (1993) mit Tom Hanks und Denzel Washington. Ich mag das langsame Tempo in diesen Filmen.



Du hast Dir im Vorfeld zu unserem Fotoshooting und Interview den Film „Teorema“ von Pasolini angesehen. Welche Zugänge gibt es für Dich jetzt?
Schauspielerisch gesehen, wenig Text, wenige Dialoge, viel Präsenz im Ausdruck. Sehr viel passiert in den Blicken.




Nacktheit kommt im Film im Gegensatz zu heute mehr bei den Männern als bei den Frauen vor.

Es gibt ziemlich viel Verzweiflung, die sich im Film und bis zum dramatischen Ende immer mehr steigert.

Es ist ein Film, der nachwirkt.

Wie siehst Du die Figur des Gastes im Film?
Ein zeitlos gutaussehender Mann kommt aus dem Nichts. Wird mit einem Brief angekündigt und verlässt mit einem Brief auch wieder die Familie.

Der Film hat mich an „Zoff in Beverly Hills“ (1986) mit Nick Nolte, Bette Midler und Richard Dreyfuss erinnert. Auch da verändert ein Gast eine Familie und schläft mit den Familienmitgliedern, allerdings nur mit den weiblichen, nicht mit den männlichen – Gegensatz zu „Teorema“. Am Ende verlässt er die Familie, um schließlich doch zurückzukehren. Ein Happy End also. Aber das ist Hollywood, nicht Pasolini. (lacht)

Sexualität als Weg der Befreiung, der Selbsterkenntnis und Veränderung wie Zerstörung im Film. Wie siehst Du Sexualität in der Gegenwart?
Mit hohem Tempo werden ständig Grenzen ausgelotet und auch verschoben. Dabei gibt es aber viele Diskrepanzen in der Authentizität. Wo sich wieder eine Klammer zu Pasolini schließen würde.

Sehr problematisch finde ich die Sexualisierung der Frau überall auf der Welt.

Wie siehst Du die Entwicklung der Filmfiguren in Teorema?
Die Haushälterin wird in der Begegnung mit dem Gast zur Heilerin. Sie verändert sich absolut positiv. Auch der Sohn, der seine künstlerische Ader entdeckt bzw. dazu stehen kann. Bei der Tochter folgt die völlige Zerstörung. Die Mutter wird zur Getriebenen. Der Vater lässt von seinem Besitz los. Ist diese Befreiung Glück für ihn?

Wie siehst Du dies beim Vater?
Grundsätzlich bedeutet Freiheit, ein Bewusstsein und einen Sinn zu finden und dies auch zu leben. Und damit Glück entstehen zu lassen. Ansonsten bleibt es Gefühl. Beim Vater bleibt dies für mich offen.

Was kannst Du als Frau und Schauspielerin von „Teorema“ mitnehmen?
Unabhängigkeit ist sehr wichtig im Leben. Es ist schön, wenn ein Mensch befreit, aber es gilt nicht hängenzubleiben, wenn jemand gehen will. Darüber hinwegkommen und weitermachen in seiner gewonnenen Freiheit und Unabhängigkeit. Ansonsten ist man ja wieder gefangen. Für mich trifft der Film da einen Kern von Existenz, Liebe, Gesellschaft.

Wie siehst Du das Bild des Menschen bei Pasolini?
Verletzlich, fragil, Stabilität suchend oder wollend. Und alles in Bewegung setzend, diese Stabilität zu bekommen. Daran verzweifelnd, wenn dies nicht gelingt.





Gab es bisher berufliche Berührungspunkte zu Pasolini?
Nein.

Was sind Deine beruflichen Pläne derzeit?
Ich arbeite gerade an zwei Theaterstücken, auf die ich mich sehr freue!

Wie sehen die Sommerausblicke aus?
Ich bin Moderatorin beim Wiener Kultursommer. Und vielleicht gibt es die Möglichkeit zu einem Filmdreh, mal sehen.

Darf ich Dich abschließend zu einem „Teorema“ Akrostichon bitten?
T äuschend harmonisch ist die Familie.
E in fremder Mann kommt zu Gast.
O hne Bedenken, frei.
R eicht jedem mehr als nur die Hand.
E r hilft.
M itnichten.
A m Ende sind nicht alle glücklich.

100.Geburtstag P.P.Pasolini (*1922 Bologna +ermordet 1975 Rom)
Liebe Verena, vielen Dank für das Interview und das szenische „Teorema“ Fotoshooting anlässlich des 100. Geburtstags von P.P.Pasolini! Viel Freude und Erfolg für alle Projekte!
100.Geburtstag _ P.P.Pasolini (5.3.1922 Bologna – +ermordet 2.11.1975 Rom) _ im Gespräch und szenischem Fotoporträt zum Film „Teorema“ P.P.Pasolini (1968):
Verena Spiesz, Schauspielerin _Wien
Walter Pobaschnig 7_22