Lieber Stefan, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Zwei Leben führe ich zu unterschiedlichen und immer wechselnden Anteilen, ob mit ob ohne Pandemien. Eines als freier Hörfunkredakteur in Frankfurt, Schichtdienstler, der entweder halb noch in der Nacht aus dem Bett muss (3.30 Uhr), oder aber einen späten Feierabend hat. Instrument in diesem meinem Job ist die Sprache, auch bei einem kleinen Radiostück geht es um Dramaturgie, einen fesselnden Einstieg, ein rundes Ende. Das bedeutet aber auch: Es bleibt, zumal mit fortschreitendem Alter, schwer, dann noch am „Feierabend“ literarisch aktiv zu werden und die eine Textseite zu schreiben, die ich gerne jeden Tag schreiben würde.

Die andere Existenz: Die, in der ich schreiben kann, schreiben darf, schreiben will. Das sieht dann so aus: Eine Eule bin ich – und wenn es kein Termin-Korsett gibt, schlafe ich aus. Darum beginnt mein Tag dann meist (aber auch frühestens) um elf. Zunächst: Ein wirklich heißes Bad, 45 Minuten, dazu Jazz, Gilles Petersons „World Wide Show“, eine „Sunny Side Up“ Wiederholung, je nach Stimmung. Atem-Meditation, nachdenken: „Was ist voraus?“ Die nächsten Zeilen, das nächste Kapitel. Mein Anlauf, ein gemächlicher. Die Angst vor der Einfallslosigkeit klein halten. Lese in Newsportalen, beantworte Mails, recherchiere, übertrage handschriftliche Notizen, sortiere Notizen im Skript. Denn vor 14, 15 Uhr schaffe ich es einfach nicht, einen brauchbaren und eben literarisch gemeinten Satz zu schreiben. Aber dann schreibe ich und schreibe … Nicht lang, aber beseelt. Vier Stunden, für mehr reichen Inspiration/Konzentration gleichwohl selten. Dann mache ich Sport (unspektakulär: Heimfahrrad), koche gerne, nichts Aufwendiges, das nur am Wochenende. Schaue Nachrichten, schaue Filme und Serien, trinke Wein (mehr als gut sei, sagt mein Ärzteteam), lese vielleicht auch. Aber das ist weniger als vor zehn Jahren. Die Hirnkapazität, die nötigen Areale ermüden fix. Aber ganz spät schreibe ich noch einmal … Bis es dann drei Uhr ist und sogar ich schlafen will. Ich liebe das Schreiben in der Nacht: Das Gefühl, weit und und breit der einzige Mensch zu sein, der noch wach ist und also ein „Nachtwächter“. Mein kleiner persönlicher Nonkonformismus. Aber vielleicht auch einfach nur meiner persönlichen inneren Uhr geschuldet.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Nicht Angst in die Seele sickern lassen, sich nicht noch weiter einkasteln und schwerstfällig werden/bleiben. Im Gegenteil: Sich regelmäßig einmal um sich selber drehen auf der Stelle, auf der man steht, um zu sehen – so viel wie möglich von den anderen Stellen, auf denen Menschen stehen. Und dann zu verstehen. Sich wenigstens wieder ums Verstehen bemühen. Sich klar machen, dass die Lage ernst ist, aber wir nicht Opfer eines numinosen Schicksals sind. Opfer sind wir allein unserer selbst.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Wesentlich wäre eine noch ganz andere Zeitenwende, eine universelle Mentalitäts- und Wünschewende. Ich wünschte mir eine Genügsamkeit derer, die sich stets mehr als genug leisten wollen, eben weil sie es können. Der Kosmos der Dinge: Größer werden die Fahrzeuge und versiegelten Flächen, Kommunikationsinstrumente sind Körperteile, Haben ist Ausholbewegung zum Wegwurf, Lifestyle religiös-sakrosankt (never ever Tempolimit, auch nicht auf der Bahn in die apokalyptische Höllenklamm) – aber dieses stofflich Zunehmende frisst uns nun mal weg vom elementar humanen Raum, vergiftet Klima, sozial, erdatmosphärisch. Dabei ist Binsenweisheit, dass die wahre Welt nicht die Warenwelt ist. Seht auf meine „role models“: Großeltern, die so schlicht lebten (die in Schonnebeck sogar ohne „Festnetz“ und eigenes Badezimmer) und doch zufrieden, weil umgeben von leibhaftiger Gemeinsamkeit. Möge also Oma Almas Geist „Influencer“ werden. Corona und Krieg entlarven, was unser Junkietum ist, was Gier, Sucht, Abhängigkeit bei den einen. Aber wo die einen leben, da gibt es auch die anderen. Die sich am Ende des Tages nicht mal mehr erinnern können, wonach sie süchtig sein wollten. Darum mein neues Lieblingswort: DEMUT, ein aussterbendes (beinahe wie „Telefonzelle“). Aber das ist es doch: Wir müssen die Demut retten, die Einsicht zurückgewinnen, dass es etwas gibt, was notwendig ist. Nämlich zu sehen, dass es so vieles gibt, das nicht zunehmen und mehr werden darf, während anderes genau das wieder muss. Die Zahl der Dollar-Millionäre wird nach Schätzung von „Credit Suisse“ bis 2025 auf 84 Millionen Menschen steigen. Der Autobauer „Mercedes“ hat deshalb beschlossen, noch teurere Luxus-Karossen zu bauen. Drastische Zeichen der Zeit! Unsere Gesellschaften treiben auseinander, schnell, schneller, explosivst. In „helden: tot“ habe ich es so ausgedrückt: „Wir müssen etwas riskieren, sagen die, die nichts verlieren können. Wir müssen flexibel sein, sagen die, die ihren Platz haben. Wir müssen die Angst überwinden, sagen die, die nichts zu fürchten haben. Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen, sagen die, denen sie egal sein kann.“
Aber, jetzt, ja, ja, die Frage nach Kunst und Literatur will doch auch beantwortet sein. Und ja, ich drücke mich darum herum. Weil, da kann ich keine Hoffnung machen. Also ohne Umschweife Thomas Brasch zitiert. Kunst, so Brasch, „war nie ein Mittel, die Welt zu ändern, aber immer ein Versuch, sie zu überleben“. Ich widerspreche nicht. Verneige mich dankbar vor Kunst und Literatur, denn ich bin ein Überlebender dank ihrer und – hoffe ….
Was liest Du derzeit?
„Effingers“ von Gabriele Tergit, ein Familienepos, da kann mir der Mann mit seiner Bandwurmsatz-Libido gestohlen bleiben. Und wenn wir schon beim Stil sind: Parallel lese ich „Hundesohn“ von Sonja M. Schultz. Einer der besten Gegenwartsromane, den ich seit langem in die Hand bekommen habe. Furioser Sound, Bilder und Beschreibungen, originell, treffend, Sprache, die einem das Hirn durchschüttelt.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
Albert Camus, „Der Mythos des Sisyphos
Vielen Dank für das Interview lieber Stefan, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Stefan Sprang, Schriftsteller
Stefan Sprang, geb. 1967 in Essen, lebt dort im Südviertel und in Frankfurt/M. als Radiojournalist und Schriftsteller. Sein Roman-Debüt „Fred Kemper und die Magie des Jazz“ erschien 2011, sein Roman „Ein Lied in allen Dingen. Joseph Schmidt“ folgte 2019 (2. Auflage 2020), 2021 dann ein „Heimatroman“ „Henry Becker und der Sommer der Erinnerung“. Die Produktion seines akustischen Monodramas „Engel“ ist in Vorbereitung (GehörGang, Berlin).1999 „Kurt-Magnus-Preis“ der ARD. 2016 Einladung zur „Bayerischen Akademie des Schreibens“ und 2020 zum Literaturpreis „Irseer Pegasus“.

Foto_Peter Schiborr
4.6.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.