Bachmannpreis 2022_“Ich brauche im Schreiben den Abstand“ Hannes Stein, Schriftsteller, New York _ Bachmannpreisteilnehmer 2022 _ Klagenfurt 29.6.2022

Am Weg zur Eröffnungslesung _
Hannes Stein, Schriftsteller, New York _ Bachmannpreisteilnehmer 2022

Lieber Hannes, Du hast mit Deinem Text in der Eröffnungslesung des 46.Bachmannpreises sehr beeindruckend. Dieser spannt inhaltlich wie formal einen weiten Bogen.

Wie hast Du Dich auf die Lesung und etwa auch die Passagen in polnischer Sprache vorbereitet?

Ich habe mir von polnischen Freunden erklären lassen, wie man dies ausspricht und dann habe ich es geübt. Wir haben in New York ja eine große polnische Diaspora, etwa in Brooklyn.

Hannes Stein _
Lesung Gartenbühne _ ORF Kärnten

Du bist in München geboren, in Salzburg aufgewachsen und schreibst und lebst jetzt in New York. Wie kam es dazu?

Ich habe in der Green Card Lotterie mitgespielt. Und ich glaube mich zu erinnern, dass ich einmal auf die Wiederholungstaste gedrückt habe (lacht). Und bekam dann, als ich 2006 einen wohlverdienten Nachmittagsschlaf auf meiner Couch in Berlin, damals lebte ich in Berlin, machte, einen Anruf –

„Hello, Mr.Stein“ – „Yes, I believe, that`s me“ –  „Mr.Stein, you are living at Epifornererstraße 24?“ – „Yes, that`s my adress“ – „Mr.Stein, congrats, you won a green card“ –

Ich habe natürlich aufgelegt und gedacht das ist ein Witz.

Ein paar Tage später zog ich aber aus meinem Briefkasten einen sehr großen Umschlag mit Formularen. Denn man gewinnt keine green card. Man gewinnt den langen verwickelten bürokratischen Weg, der zu einer green card führt. Und auf diesem langen verwickelten bürokratischen Weg fliegt die Hälfte der Gewinner raus. Weil sie etwas falsch ausfüllen, weil sie keine high school Diplome haben. Man muss high school Diplome oder etwas Vergleichbares vorweisen.

Ich habe dann sofort 1200 Dollar ausgegeben für Anwälte in New York, die mir geholfen haben, dies zu bewältigen. Das hat einen guten Teil des Jahres 2006 in Anspruch genommen.

Meine Lieblingsgeschichte dabei ist die mit dem polizeilichen Führungszeugnis. Man muss aus jedem Land, in dem man länger als ein Jahr gelebt hat ein polizeiliches Führungszeugnis bringen. Ich habe etwas gemoggelt und nicht erwähnt, dass ich ein Jahr in Großbritannien gelebt habe. Ich musste Deutschland, Österreich und Israel erwähnen. Das stand alles in meinem Pass.

In Deutschland geht man wegen dem Führungszeugnis aufs Amt. Man zahlt 5 EUR. Drei Tage später bekommt man einen Brief, der nach nichts aussieht – „polizeiliches Führungszeugnis – keine Einträge.“

Österreich. Man zahlt 5 EUR. Man hört nichts. Nach drei Wochen bekommt man einen unglaublich höflichen Anruf vom österreichischen Konsulat in Berlin – „Es tut uns leid. Es gab eine Namensgleichheit. Wir schicken Ihnen das jetzt sofort zu.“ Man kriegt dann einen Brief und ein ganz prächtiges Dokument, das aussieht als hätte Kaiser Franz Joseph persönlich dies ausgestellt.

Israel. Man geht zum israelischen Konsulat und sagt, „ich brauche bitte ein polizeiliches Führungszeugnis.“ Die sagen: „לא בעיה“, „kein Problem“. Wenn man Israel kennt, dann weiß man, dies heißt „lasst alle Hoffnung fahren, die Ihr hier eintretet“ (lacht). „You have no fucking chance, fuck off.“ Schließlich klappte es dann doch.

Hannes Stein _
Lesung Gartenbühne _ ORF Kärnten

Und dann hatte ich die green card in der Hand. Die ist übrigens nicht grün sondern gelb. Sie heißt nur green card, weil irgendein Formular vor fünfzig Jahren grün war. Und dann bin ich ausgewandert, habe meine Möbel verschenkt, meine Wohnung aufgelöst in Berlin und bin mit zwei Koffern und einer Gitarre nach Amerika. Und seitdem lebe ich da.

Seit 2012 bin ich amerikanischer Staatsbürger. Ich habe die Staatsbürgerschaft aus verschiedenen Gründen angenommen. Ein Grund war, ich wollte wählen. Die österreichische Staatsbürgerschaft musste ich dann abgeben, da Österreich eine Doppelstaatsbürgerschaft nicht anerkennt. Den Amerikanern ist das völlig wurscht, Powidl (lacht).

Bei der Angelobungszeremonie war ich die einzige Quarknase (Weißer), um mich herum lauter Schwarze, Latinos, Asiaten. Man muss auch vorher eine Prüfung machen.

Welche Fragen gab es da?

What is Abraham Lincoln known for? – Save the union, free the slaves.

What is the power of the president? – To reject bills

Ja, und in der Zeremonie muss man allen Potentaten abschwören. Da Otto von Habsburg gerade das Zeitliche gesegnet hatte, konnte ich das tun (lacht). Und dann muss man „Pledge of Allegiance“ sagen.

„ I pledge allegiance to the flag of the United States of America, and to the republic for which it stands, one Nation under God, indivisible, with liberty and justice for all.“

Die Formel „under God“ wurde in 1950er Jahren eingeführt gegen die gottlosen Kommunisten. Grundsätzlich gibt es aber in den USA eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion. Das Wort Gott kommt ja in der amerikanischen Verfassung nicht vor. Und das ist kein Zufall und kein Versehen, sondern so gemeint.

Wenn man fünf Jahre in den USA lebt und keine Sozialhilfe bezieht und nicht straffällig wird, kann man die Staatsbürgerschaft beantragen.

Wie waren die inneren Prozesse in diesem spontanen Ab- und Aufbruch für Dich?

Es war in gewissem Sinne völliger Wahnsinn. Ich war zu der Zeit Redakteur, fest angestellt bei „Der Welt“. Ich hätte weiter mein Berliner Leben leben können. Aber mir gefiel mein Berliner Leben immer weniger. Es kam mir immer sinnloser vor und mir gefiel Amerika und New York sehr, sehr, sehr. Ich habe mich richtig in dieses Land verliebt und inzwischen ist natürlich mein Verhältnis komplizierter geworden. Wenn weiße Polizisten einen schwarzen Jungen erschießen, ist dies meine Verantwortung. Da kann ich nicht sagen, diese blöden Amerikaner. Sondern das sind wir. Das Andere ist natürlich Trump. Trump war für uns alle eine schwere Erschütterung.

Die kürzeste Formel ist jetzt: ich bin nicht mehr ganz sicher, ob ich Amerika liebe, aber ich mag immer noch die Amerikaner. Nicht alle, aber die meisten.

Welche literarischen Schwerpunkte hattest Du bisher und was bedeutete der Umzug in die USA literarisch für Dich?

Mein erster Roman heißt „Der Komet“ (Berlin 2013, Galiani Verlag) und ist eine Alternativ-Weltgeschichte, die auf der Fiktion basiert, dass der Thronfolger Franz Ferdinand nach dem ersten Bombenwurf in Sarajewo umdreht und sagt „I bin doch nit deppat und fahr jetzt wieder zhaus“. Woraufhin der I.Weltkrieg ausfällt, der II.Weltkrieg ausfällt, und es im Jahr 2000 die Habsburger Monarchie noch gibt. Es ist ein sehr österreichischer Roman.

Diesen Roman hätte ich nicht in Deutschland schreiben können. Ich brauchte den Abstand.

Am Weg zur Eröffnungslesung _
Hannes Stein, Schriftsteller, New York _ Bachmannpreisteilnehmer 2022

Lieber Hannes, herzlichen Dank für das Interview und das Dabeisein in Klagenfurt, viel Freude und Erfolg weiterhin!

Im Interview _Hannes Stein, Schriftsteller, New York _ Bachmannpreisteilnehmer 2022

46.Bachmannpreis _ Klagenfurt 22. – 26.6.2022

Interview und alle Fotos_Walter Pobaschnig _

Walter Pobaschnig 6_22

https://literaturoutdoors.com

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