Lieber Andreas, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Er beginnt mit einem ausgiebigen Frühstück. Anschließend folgt meist die „Bürozeit“ – Emails beantworten und alles, was so zu Büroarbeit gehört. Dann geht‘ s meist weiter am Schreibtisch mit Lesen oder Schreiben. Schön ist auch die Trias Kochen – Mittagessen – Kaffee. An den Tagen, an denen ich als persönlicher Assistent arbeite, gehe ich assistieren, ansonsten geht‘ s meist weiter mit Lesen, Schreiben, Hausarbeit, Einkaufen und all diesen Dingen. Viele Tage sind recht unspektakulär und gehen auch so zu Ende.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich denke mir, dass es die Gestaltung des gesellschaftlichen Transformationsprozesses sein wird, in dem wir uns befinden, und der noch heftiger werden wird. Die Frage ist, wie man sich einzeln und kollektiv darin verhält. Ich gehe davon aus, dass die Klimaerwärmung und der Angriff auf die ökologischen und biologischen Lebensgrundlagen durch den Menschen zu globalen, weitreichenden sozialen Veränderungen führen wird. Ich denke mir, neue Beziehungen zwischen Natur und Menschen und zwischen Menschen zu schaffen ist und wird wichtig.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Das ist schwierig, da Kunst (zumindest im globalen Westen) einen ebenfalls durchkapitalisierten gesellschaftlichen Sonderbereich hat, mit all seinen wunderbaren Nischen und Ecken. Dort kann man zwar (fast) alles machen und sagen, aber dennoch wird die Kunst wahrscheinlich keine allzu große Rolle spielen. Die Probleme und Krisen der Gegenwart resultieren ja nicht aus einem Mangel an Information und Wissen, sondern aus einer Denk- und Wirtschaftsweise. Letztere basiert auf Eigentum, Konkurrenz und ist antidemokratisch. Es würde wohl reichen, wenn die Kunst für die gegenwärtige Politik nicht den Stimmungshochhalter spielt, sondern bei dieser Denkweise ansetzt und vielleicht auch, wenn sie darüber zu erzählen versucht, dass es andere Beziehungs- und Verbindungsweisen gibt. Und Künstler:innen würden versuchen diese andere Praxis zu leben und darüber zu berichten, was vielleicht einmal als unsere Revolution bezeichnet werden wird.
Was liest Du derzeit?
Abwechselnd folgende drei:
Kae Tempest, Verbundensein. Dank einer Empfehlung von Ilse Kilic.
Kaśka Bryla, Die Eistaucher. Ein packender Roman über Solidarität und Liebe.
David Graeber, David Wengrow, Anfänge. Vielleicht können uns andere Anfänge auch für Wege in eine andere Zukunft inspirieren.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Bini Adamczak schreibt in Beziehungsweise Revolution: „Die Revolution schafft nicht aus dem Nichts, sie verknüpft bisher Unverbundenes in neuer Weise.“
Kae Tempest schreibt in Verbundensein: „Kreativität fördert das Verbundensein. Und das Verbundensein mit einem wahren, unbequemen Selbst erlaubt uns, Verantwortung dafür zu übernehmen, wie wir andere beeinflussen, anstatt blind, abgekoppelt und wie benommen von einem Tag zum nächsten durchs Leben zu gehen, aus jeder Begegnung mitzunehmen, was wir können, ohne weiter zu denken als an mein Überleben, das Überleben meiner Kinder, mein Überleben, das Überleben meiner Kinder.“
Vielen Dank für das Interview lieber Andreas, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Andreas Pavlic, Schriftsteller
Foto_privat.
11.5.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.