Liebe Marie, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Das kommt ganz drauf an, ob ich grade in Proben bin oder zuhause in Berlin. Wenn ich probe ist viel los, ich mache ein bisschen Yoga, wenns gut läuft morgens und probe dann von 10-14h und im Anschluss hab ich manchmal noch einen Zoom oder ein Treffen mit meinen Kolleg:innen, mit denen ich nun das Schauspielhaus Wien ab der Spielzeit 23/24 vorbereite. Dann ist hoffentlich am Nachmittag auch mal ein wenig Pause und am Abend probe ich oft weiter, oder betreue eine Vorstellung. Wenn ich nicht probe habe ich mehr Zeit mit meiner Tochter und manchmal gibt es Festivaleinladungen oder Jurytreffen- im Grunde kann man sagen- meine Tage sind sehr unregelmäßig und immer ein bisschen überraschend und anders.

designierte künstlerische Co-Leitung Schauspielhaus Wien
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich habe das Gefühl wir sind in sehr intensiven politisch zugespitzten und radikalisierten Zeiten momentan. Ich glaube in solchen Zeiten ist es wichtig dass wir unsere Wirklichkeit sehr differenziert wahrnehmen, unseren Mitmenschen zuhören, und ihre Perspektiven verstehen lernen. Wir können versuchen solidarischer miteinander zu sein und nicht der Tendenz nachgeben zu verallgemeinern, damit verstärken sich Konflikte nur. Es sind Zeiten, die nach mehr Verständnis füreinander rufen..
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Ich glaube die Rolle der Kunst ist es momentan, den Geschichten und Perspektiven auf unsere Gegenwart Raum zu geben, und verständlich zu machen, dass wir in all unserer Unterschiedlichkeit näher beieinander sind als wir denken. Die Kunst kann unmittelbare Entwicklungen in unserer Gesellschaft reflektieren und auch allgemeinere Themen differenziert beleuchten. Wenn sich die Kunst und die Theater etwas mehr öffnen und mehreren Perspektiven, partikularen Geschichten Raum geben, können sie Gemeinschaften gründen, kann für gerechtere und utopischere Modelle werben und uns so empowern und Hoffnung geben diese Denkweisen in den Alltag zu tragen.
Was liest Du derzeit?
Ich lese gerade Kudos von Rachel Cusk. Das Buch ist Teil der Outline Trilogie – einer weiblichen Odyssee im 21. Jahrhundert. Es geht um Verluste und Lebensmodelle, um den Verlust des Bildes das man von seiner Zukunft hatte, und um Weiterentwicklung. Das alles ist Teil einer Transformation, die die Hauptfigur durchmacht, eine Metamorphose der mittleren Jahre, ein sich ablösen von tradierten Rollenbildern, die leider auch in der Moderne noch unser Denken und unser Lieben bestimmen.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
“ich bin im Grunde immer tobsüchtig über die Verharmlosung“, Elfriede Jelinek
Vielen Dank für das Interview liebe Marie, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theaterprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Marie Bues, Regisseurin, Intendantin_
designierte künstlerische Co-Leitung Schauspielhaus Wien
www.theaterrampe.de
www.mariebues.de
Foto_Felix Grünschloss
16.5.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.