Liebe Jay, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ein Milchkaffee, die Nachrichten, dann lerne ich eine halbe Stunde Französisch. Danach arbeite ich bis zwei Uhr und noch einmal von vier bis sechs Uhr. Ich schreibe an den „Fluchtlinien – wie sich die Welt in Innen und Außen teilte“. Dann kochen und essen wir in Ruhe. Das ist der ideale Tag, aber natürlich ist es oft anders. Es gibt Besuch, es gibt viel zu kümmern und zu erledigen. Gerade im Augenblick.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Dass wir begreifen, dass sich der Glaube an Fortschritt in allem als eine Illusion erwiesen hat. Nicht nur dieses ökonomische Wachsen wollen, sondern auch das Ausbreiten von Zivilisation, Demokratie, Moral und Recht. ‚Das Projekt der Moderne‘ müssen wir verteidigen, für unsere Werte und für den Frieden einstehen. Wir müssen uns engagieren, auch wenn der Erfolg nicht garantiert ist. Denn die Diktaturen und die faschistischen Bewegungen nehmen zu. Frieden geschieht nicht von alleine.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Wir müssen in Deutschland endlich wieder geschichtlich und geopolitisch und grundsätzlich denken lernen und Entscheidungen treffen, statt in allem nur zu reagieren, zu zögern und überrascht tun. Das alte Normal von vor 1990, vor dem Krieg in Bosnien, vor Georgien, Syrien, vor der Pandemie vor dem faschistischen Überfall der russischen Nation auf die Ukraine gibt es nie wieder. Diese Party ist vorbei.
Schreiben ist ein Traum; Schreiben ist Verantwortung: wo stehe ich mit meinen Worten, wovon erzähle ich, wo widerstehe ich der Gesellschaft mit meiner Arbeit. Es geht um Positionen in dieser Gesellschaft. Und es geht um die Arbeit in der Traumwäscherei und auf der Insel Utopia.
Was liest Du derzeit?
Adelheid Duvanel: Fern von hier. Erzählungen. Und Kriminalromane, zur Beruhigung, weil dort ab und an aus der menschlichen Mörderei wieder Ordnung entsteht, aber auch nie die Alte.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Eden
„Die kantige Erde
eine Kugel
zerdrückt zwischen Händen
Menschen fallen durch
schwarze Löcher
auf eine Wiese mit
Schlüsselblumen und
sprudelndem Bach
ertrinken auf der Flucht
hungern werden gefangen.
Fallen zurück ins Paradies
zwischen Distel und Mohn.
Diesmal ist Gott gnädig
keine Schlange keine Äpfel
keine Pforten zur Welt.
Ein Garten Eden ewig Eden
die kantige Kugel flachgeklopft.
Die Menschen kringeln sich
vor Freude in Feriengondeln
Abenteuerrutschbahnen
in Schnee und Sahne
Coffee to go.
Gott macht seinen Frieden,
nimmt die Scheibe und
wirft sie in die Unendlichkeit –„
aus © Nachtzüge J. Monika Walther
Vielen Dank für das Interview, liebe Jay, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Filmprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Jay M. Walther _Schriftstellerin, Regisseurin
http://www.jmonikawalther.de/index.html
Foto_Barbara Dietl
8.4.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.