
Lieber Thomas, Du lebst in den USA. Gab es in Deinen literaturhistorischen wie künstlerischen Projekten bisher Bezüge zu Jack Kerouac?
Ich arbeite seit ungefähr fünf Jahren an einem Forschungsprojekt über die Beat Generation und ihre transnationalen Verbindungen zu Österreich, in dem Kerouac naturgemäß immer wieder eine Rolle spielt, etwa in Form eines bestimmten Kerouac-Romans, in dem sich der Schriftsteller intensiv mit Kafkas Schloss auseinandersetzt, als Freund von ruth weiss in der Biographie, die ich über die österreichisch-amerikanische Beat-Dichterin verfasse, oder auch als jemand, dessen innovativer Stil einige österreichische Autor:innen in ihrem eigenen Schreiben prägte.

In meinen künstlerischen Projekten spielt Kerouac eigentlich kaum eine Rolle. In etwa zwei Monaten erscheint ein recht umfangreiches literarisches Buch namens United States of Absurdia, in dem Reisen durch die USA eine große Rolle spielen. Aber selbst in dieser Arbeit habe ich mich keinesfalls an Kerouac orientiert. Vielleicht spielt sich das alles auf einer eher unbewussten Ebene ab, da mich Kerouac schon viele Jahre begleitet. Der Sänger meiner ersten Band Heumond aus Mitteleuropa, Martin Urban, schenkte mir zum 17. Geburtstag On the Road, wenige Monate nachdem wir uns kennenlernten. Seither ist dieses Ding irgendwie in meinem Leben. Interessanterweise hat dieser Sänger zwei Jahre davor On the Road von seinem Religionslehrer in der steirischen Provinz geschenkt bekommen. Das passiert wahrscheinlich auch nicht alle Tage.

Foto privat.
Wie begegnest Du persönlich seinem umfassenden Werk?
Mit gemischten Gefühlen. Einerseits wirkte sein ungezügelter und enthusiastischer Schreibfluss sehr befreiend, als ich ihn in meinen späten Teenager-Jahren entdeckte, wie auch die Lebensfreude sehr ansteckend war, die in Büchern wie On the Road, The Dharma Bums oder Visions of Cody zu spüren ist. Andererseits ist der fortwährende Sexismus und Rassismus, der sich durchs Werk zieht, nur schwer zu ertragen, selbst wenn man weiß, dass er zur damaligen Zeit alltäglich war und benevolent ist, wie sich am Beispiel der Frauen zeigt, die er liebt, und gegenüber den Jazzmusikern mit dunkler Hautfarbe, die er romantisch verklärt darstellt.

Du hast letztes Jahr Deinen großartigen Film über die amerikanische Schriftstellerin ruth weiss – „One More Step West Is the Sea: ruth weiss“ Thomas Antonic, Dokumentarfilm, AT 2021 – präsentiert. Gab es Begegnungen von ruth weiss und Jack Kerouac?
ruth weiss und Kerouac verband eine kurze aber intensive Freundschaft Mitte der 1950er Jahre, als beide im selben Viertel von San Francisco lebten. Sie tranken öfters bis in die frühen Morgenstunden und schrieben einander Haiku-Gedichte, fuhren gemeinsam mit Neal Cassady durch die Straßen der Stadt. Aber als Kerouac Anfang 1956 zurück nach New York ging, brach der Kontakt ab und sie waren sich danach nicht mehr begegnet.

Hast Du in der Erarbeitung Deines Dokumentarfilms auch Treffpunkte der „Beat-Generation“, Lebensstationen Jack Kerouacs besucht?
Ja, ich habe einige Adressen aufgesucht, wie etwa das Wentley Hotel im Tenderloin-Viertel San Franciscos, wo ruth weiss und Kerouac abhingen, den Jazz Club „The Cellar“ in der Green Street usw. Aber diese Orte gibt es heute schon lange nicht mehr.

Wie gestaltete sich die schriftstellerische Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen in der „Beat Generation“?
Wie gesagt: weiss und Kerouac schrieben etwa gemeinsam Gedichte (die leider verschollen sind), andere Beispiele wären die Zeitschrift Beatitude, die der Beat-Poet Bob Kaufman herausgab und in der ruth weiss und auch einige andere Frauen veröffentlichten, ruth weiss organisierte Lesereihen, bei denen Männer wie Frauen auftraten, später gründeten Anne Waldman und Allen Ginsberg gemeinsam die Jack Kerouac School an der Naropa University in Boulder, Colorado, wo auch viele Frauen unterrichteten. Tendenziell wurden Frauen allerdings immer etwas marginal behandelt von den Männern, die die Beat Generation dominerten. In den ersten Jahren des für seine Beat-Publikationen berühmten Verlag City Lights veröffentlichte Verleger Lawrence Ferlinghetti etwa aus Prinzip keine Literatur von Frauen. Ein sehr seltsames Prinzip. Dass es weit mehr Dichterinnen in der Bewegung gab als lange Zeit angenommen, wurde erst Mitte der 1990er Jahre bekannt, vor allem durch die bahnbrechende Publikation Women of the Beat Generation von Brenda Knight.

Du hast auch ein Buch über den Beat Generation Autor William S.Burroughs „Amongst Nazis / Unter Nazis – William S. Burroughs in Vienna 1936/37“ verfasst, der enger Freund Kerouacs war. War Kerouac wie Burroughs in Wien bzw. Europa?
Kerouac war mehrmals in Paris, spürte dort auch seinen französischen Wurzeln nach, wie von ihm in Satori in Paris geschildert, was ein eher desaströses Unterfangen war. In Wien war er nie.

Foto_Walter Pobaschnig 2021
Gegen Ende seines Lebens zog sich Kerouac privat zurück. Unterschied er sich da von anderen „Beats“?
Die Beat Generation war ein bunter Haufen mit sehr unterschiedlichen Individuen, die zum Teil sehr unterschiedliche Ziele verfolgten. Es gibt keinen eindeutigen Kriterienkatalog und „Beat Generation“ ist ein sehr schwammiger Begriff, wie etwa auch „Postmoderne“. Ich will damit sagen, dass es von Anfang an Unterschiede zwischen den Protagonist:innen gab, was beispielsweise Schreibverfahren oder Habitus betrifft. Kerouac in seinen letzten Lebensjahren unterschied sich jedenfalls auch deutlich vom jungen Kerouac. Er wurde zum Einsiedler, kehrte zum Katholizismus seiner Jugend zurück und endete letztlich als verbitterter Reaktionär, der sich zu Tode soff.

Welche Impulse des Schriftstellers Kerouac siehst Du bis heute als wesentliche Wirkung?
Kerouacs Werk besitzt nach wie vor Relevanz für Autor:innen, die nicht darum bemüht sind, gefinkelte Plots zu schmieden, sondern in ihrem Schreiben autobiographisches Material, eigenes Erleben ins Zentrum stellen, unbeschönigt, auch wenn es fiktionalisiert wird. Wobei Kerouac freilich in Bezug auf seine Selbstdarstellung auch nicht immer konsequent darin war. Der Intuition vertrauen. Kerouacs Schreiben lässt sich vielleicht mit einer Jazz-Improvisation vergleichen, während andere wie klassische Musiker:innen vom Blatt spielen, nach einer strengen Methode vorgehen usw. Ein wesentliches Motto Kerouacs lautete first thought = best thought. Nach On the Road schrieb er ein Manuskript von der ersten bis zur letzten Seite nieder und unterzog es keinen Revisionen mehr. Viele Schreibende mögen das strikt ablehnen. Für ein anderes Lager, das aus dieser Tradition kommt, war dieser Leitsatz jedoch revolutionär und besitzt auch heute noch größte Relevanz. Auch wenn ich persönlich die Ansicht vertrete, dass der späte Henry Miller, nicht jener der Skandalbücher wie Tropic of Cancer, sondern der Autobiograf von The Air-Conditioned Nightmare, Big Sur and the Oranges of Hieronymus Bosch, The Colossus of Maroussi usw. – Bücher, in denen Sex nicht einmal vorkommt –, eine solche Herangehensweise mit größerer Virtuosität und bereits ein, zwei Jahrzehnte vor Kerouac beherrscht hat.

Was sind Deine kommenden Projekte?
Mein Epos United States of Absurdia oder Die Glorifizierung des Goldenen Westens erscheint im Mai im Ritter Verlag. Momentan arbeite ich an der Fertigstellung meiner Biographie über ruth weiss. In der Beat-Forschung gibt es noch viel zu tun. Kürzere Filmarbeiten und die Wiederaufnahme eines für längere Zeit ad acta gelegten Musikprojekts stehen auch für die nächsten Monate auf meiner Liste.

Foto_Walter Pobaschnig 2021
Herzlichen Dank für Dein Interview, lieber Thomas! Viel Freude und Erfolg weiterhin für alle Film-, Literatur- und Musikprojekte!
100.Geburtstag _ Jack Kerouac (*12.3.1922 Lowell, Massachusetts/USA +12.10.1969 Saint Petersburg/Florida/USA) Schriftsteller, wesentlicher Vertreter der „Beat Generation„.
Im Gespräch_ Thomas Antonic_Regisseur, Literaturwissenschaftler, Schriftsteller, Musiker

Point Arena, CA/USA _
Foto_im Hotel König von Ungarn_Wien_Walter Pobaschnig 2021
Interview_Walter Pobaschnig _Wien
Foto_Jack Kerouac by photographer Tom Palumbo, um 1956;
Walter Pobaschnig 3_2022