Liebe Natascha, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Da ich im Oktober mein 1. Semester Sprach- und Textwissenschaften an der Universität Passau begonnen habe, haben sich für meinen Tagesablauf generell ein paar Strukturen verändert. Ich habe mir einen festen Stundenplan erstellt, in dem alle Vorlesungen, Lernzeiten und Haushaltsaufgaben ihren Platz finden und versuche mich mehr oder weniger daran zu halten. Leider verbringe ich unter der Woche aufgrund des Onlinesemesters täglich ca. 4-7 Stunden vor dem Computer und würde mir sehr wünschen, es wäre weniger und stattdessen Präsenz – aber natürlich ist das im Moment nicht denkbar. Auch mein Arbeitsalltag am Wochenende als Rezeptionistin fällt weg.
Ich versuche diese Bewegungs- und Kommunikationslosigkeit in den freien Stunden mit Sport, Spaziergängen und Gesprächen mit meinen Eltern auszugleichen. In der Vorweihnachtszeit habe ich seit Langem das erste Mal wieder gebastelt. Außerdem lese ich viel. Um zu schreiben, fehlen mir im Moment die richtigen Worte. Ich konzentriere mich also lieber auf Die anderer Künstler.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Neben Geduld halte ich es für besonders wichtig, einen Ersatz für Nähe zu finden. Viele sind einsam, fühlen sich isoliert, im Stich gelassen. Es ist notwendig, dass wir Alternativen finden, um uns gegenseitig weiterhin wahrzunehmen, aufmerksam und unterstützend miteinander zu sein. Selbst mir geht es so, dass ich mich manchmal in einer kleinen, stillen Welt eingeschlossen fühle, obwohl ich zurzeit im Haus meiner Eltern wohne und somit nicht völlig ohne sozialen Kontakt bin. Die Verlagerung ins Digitale ist kein ausreichender Ersatz, aber es ist ein Raum für Gespräche. Ich treffe mich viel mit Freunden auf diesen Plattformen, es tut gut ein bisschen zusammen Jammern oder Lachen zu können. Und ich habe dieses Jahr sehr viele Weihnachtsbriefe und –postkarten verschickt, um zu zeigen, dass die aktuelle Situation keine absolute Trennlinie ist.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ich glaube, dass sich das nicht pauschal beantworten lässt, da es gravierende Unterschiede geben wird in dem, was wir Alle in dieser Zeit erfahren und erleben müssen. Aber ich bleibe bei dem Ansatz eines Miteinanders. Das wird die Probleme nicht lösen, aber sie werden besser damit zu bewältigen sein. Literatur und Kunst sind für mich ein Ausdruck davon: Sie sind eine kollektive Stimme, die wir brauchen. Sie verarbeiten unsere Themen, helfen zu reflektieren, zu lernen, zu inspirieren. Sie sind also Zeichen für Perspektive und Gemeinsamkeit – beides wichtig für einen Neubeginn.
Was liest Du derzeit?
Ich habe gerade „Der Ekel“ von Sartre beendet. Ein Schriftsteller, der mich immer mehr fasziniert und dessen Existentialismus vielleicht auch gerade einen passenden Ton trifft. Nun habe ich mit „Streulicht“ von Deniz Ohde begonnen. Die Frage der Bildungsgerechtigkeit und inwiefern Herkunft und gesellschaftlicher Rang eine Rolle dabei spielen, interessiert mich als „Arbeiterkind“ und Neu-Studierende sehr. Wobei wir schon bei meiner letzten Lektüre wären: Jede Menge Fachbücher zum Thema Sprachwissenschaft, Textanalyse und Mediensemiotik- ein wahres Schlaraffenland.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Da sich in meinen Antworten viel um Aufmerksamkeit und Umgang mit anderen Menschen dreht, möchte ich hier auf ein Zitat von Hilde Domin zurückgreifen. Es stammt aus ihrem Gedicht „Es gibt dich“ (Sämtliche Gedichte, S.Fischer Verlag) und lautet:
„Dein Ort ist
wo Augen dich ansehn.
Wo sich die Augen treffen
entstehst du.“
Vielen Dank für das Interview liebe Natascha, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Natascha Huber, Schriftstellerin
Foto_Ela Photography Stuttgart.
1.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
Vernetzung und das möglichst unkompliziert. Facebook vielleicht?
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