Lieber Dan, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Durch mein zweites Standbein hat sich mein Tagesablauf so gut wie nicht geändert. Jedoch fehlt mir in der momentanen Situation, besonders durch das Ausbleiben des normalerweise so lebendigen alltäglichen Geschehens, die Inspiration.
Denn Dichten und Schreiben ist für mich eine Art den Moment zu erfassen, sich schwerelos in ihm zu verlieren. Es sind jene wichtigen alltäglichen Momente, in denen die Funken von Kreativität und Inspiration in uns eindringen wollen. Jeder dieser Funken kann sich als ein Aufruf an unser Leben erweisen.
Zurzeit beschäftigen mich aber auch Fragen wie: Was bleibt uns am Ende des Tages eigentlich übrig? Und mit welchem Inhalt wollen wir unsere Lebenszeit füllen?
So dachte ich auch während des »Lockdowns« im Frühjahr, im Grünen bei etlichen Sonnenstunden, intensiv über Zeit, ihren unersetzlichen Wert und ihr Verfallsdatum nach. Aber auch über jene Zeit, welche sich durch kein Verfallsdatum auszeichnet. Dabei realisierte ich aufs Neue, wie schnelllebig unser Dasein doch ist, wie häufig ich abgelenkt bin und mit einem Auge oft bereits ins »Dort und Dann« blicke. Wie oft wir in unserer Eile das eigentliche Geschenk der Zeit übersehen.
Aber ich bleibe zuversichtlich: Das kostbare an den bisweilen hoffnungslos erscheinenden Situationen ist immer die gegebene Chance, dass gerade jene Zeiten uns dazu dienen können, unsere Wurzeln für die wesentlichen Dinge des Lebens zu vertiefen. Dazu gehört auch ein viel bewussterer Umgang mit der Zeit.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Uns letzten Endes im Hinblick auf die gegenwärtige Situation mit folgenden wertvollen Gedanken auseinanderzusetzen: Was wollen wir überhaupt nach der Krise mit unserer persönlichen Freiheit anstellen? Was für ein Leben wollen wir eigentlich danach führen, noch dasselbe? Und wohin wird uns die Zeit tragen, wenn wir wieder damit beginnen, uns ihr zu widmen? Wir werden zum Nachdenken aufgefordert.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Krisensituationen stellen uns schonungslos vor große Herausforderungen, können uns aber gleichzeitig dabei helfen, den Blick zu klären, indem sie unabweisbar jene immateriellen Werte in den Fokus rücken, die bedeutsam sind. Wie etwa den unersetzbaren Wert einer Freundschaft, unserer persönlichen Freiheit und Gesundheit. Aber auch das Glück zu arbeiten, einer würdevollen Beschäftigung nachgehen zu können.
Diese fundamentalen Werte müssen wir vor einem Aufbruch und Neubeginn noch mehr verinnerlichen. Die Literatur- und Kunstszene kann dabei als wertvoller Vermittler agieren und somit jene Werte den Menschen noch näher bringen. Letzten Endes bleibt die Literatur und Kunst unersetzbar.
Was liest Du derzeit?
„Zehn sehr böse Geschichten“ von Alfonso Pecorelli.
Der Autor nimmt seine Leser mit auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Unterhaltsam, und mit diesem Etwas, das süchtig macht.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Im Hinblick auf das Jahr 2021:
»Jedes Kind weiß, was der Frühling spricht. Lebe, wachse, blühe, hoffe, liebe, freue dich und treibe neue Triebe. Gib dich hin und fürchte das Leben nicht!«
Hermann Hesse
Vielen Dank für das Interview lieber Dan, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Dan Shambicco, Schriftsteller
Gedenkstätte Riehen | Riehen | Dan Shambicco (dan-shambicco.com)
Foto_Lukas Leuenberger
29.11.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.