„Literatur trägt uns weiter“ Susanne Sommer, Schriftstellerin _ Mörbisch/See (Burgenland/Österreich) 12.12.2025

Liebe Susanne, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Mein Mann und ich haben entschieden, unser Familienleben so selbstbestimmt wie möglich zu gestalten. Nach meinen Morgenroutinen aus Yoga, Tanz und/oder Journaling verbringe ich den Tag mit unserem Sohn. Entweder zu Hause, wo wir viel lesen, basteln oder im Sommer mit unseren Schildkröten im Garten sind. Ich koche täglich frisch. Backe auch unser Brot selbst. Außerdem reisen wir viel. Auch viele kleine Tagesausflüge.

Abends ist dann meine Spazier- zeit – auch eine Zeit des inneren Ordnens. Das ist dann auch oft die Zeit, in der Ideen auftauchen und sich in „Hirn und Herz“ ausbreiten. Danach begleite ich unseren Sohn in den Schlaf. Wenn ich nicht gleich miteinschlafe ;-), krieche ich nochmals aus dem Bett. Früher habe ich dann nachts noch geschrieben. Ach Gott, wo ist diese Zeit und Energie nur hingekommen? Jetzt erledige ich da nur mehr Dinge, bei denen ich mich nicht wirklich großartig konzentrieren muss: Rechnungen bezahlen ;-), Musikhören, in der Badewanne liegen. Manchmal lese ich dann auch noch. Wenn die Lebens- und Konzentrationsgeister nachts nochmal erwachen. Das liebe ich dann besonders. Ach ja, Kerzen und ätherische Öle sind auch ganz wichtig. Manchmal auch ein Glas Naturwein.

Am Wochenende versuche ich – in all der Lebendigkeit und Buntheit unseres Familienlebens – zu schreiben. Und immer wieder gibt’s natürlich Lesungen. Welche, die ich selbst besuche. Welche, die ich selbst gestalte. Außerdem liegen mir meine Lyrik-Performances sehr am Herzen. Ich liebe die Vielfalt und Kraft der Lyrik. Und bringe sie groß und immer größer auf die Bühne. Diese Formate entwickle ich selbst, in Zusammenarbeit mit verschiedenen MusikerInnen. Es ist Arbeit. Zeit. Und ganz viel Vergnügen. Außerdem bin ich Mitglied bei verschiedenen AutorInnen-Vereinigungen. In Schreibgruppen und Lesungen erlebe und lebe ich Austausch, Zusammenarbeit, Unterstützung. Und ich engagiere mich in Bildungsvereinen sowie für eine gerechtere Geburtshilfe.

Insgesamt: Mein Leben tanzt vor und mit mir als ein wild-buntes Unterfangen. Ein herausforderndes. Und ein freudvolles. Und eines, das Verantwortung braucht. Gut auszuwählen. Täglich. Immer wieder neu. Balance ist mir sehr wichtig. Unbeschwerte, achtsame und aufmerksame Zeit für und mit meinem Sohn ist unverhandelbar. Und die Stille-Zeit, die erfüllte Einsamkeit, für mich selbst auch.

Susanne Sommer, Schriftstellerin,
Performerin, Sprecherin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich weiß nicht, ob es gut und richtig ist, von mir auf „uns alle“ zu schließen. Ich denke aber, dass das, was mir selbst wichtig ist, vielleicht auch für andere Menschen von Bedeutung sein könnte.

Für mich braucht es immer wieder Stille. Langsamkeit. Um mich selbst zu spüren. Um mich zu sortieren. Und um mein Leben so selbstbestimmt und authentisch wie möglich zu gestalten. Wenn das jeder und jede macht, entsteht eine ganz andere Dynamik in uns Menschen. Und bestimmt auch in ganzen Systemen. Viel mehr Lebendigkeit, viel mehr Authentizität, viel mehr innerer Frieden (der – davon bin ich überzeugt – immer zu äußerem Frieden führt), viel mehr Klarheit, viel mehr Freude, viel mehr Selbstwirksamkeit. Wenn wir uns wirklich Zeit nehmen, auf uns und unseren inneren Weg zu hören und zu vertrauen, dann steigen wir (irgendwann) aus Erwartungen, Vorgaben, Konstrukten. Dann beginnen wir, unser Leben so zu gestalten, wie es uns entspricht; unseren Werten, unseren Anliegen – für uns selbst, unsere Familien und für die Gesellschaft und diese Erde insgesamt. Wir dürfen still für uns selbst werden – um laut, im Sinne von kraftvoll, für die Menschen und Entwicklungen um uns herum zu sein.

Ich selbst bin Schritt für Schritt aus den Vorgaben, wie „eine Frau und/oder Mutter“ zu sein hat, ausgestiegen. Habe mir selbst immer mehr die Erlaubnis gegeben, diese „Rolle“ selbst zu erschaffen. Mit meinen Anliegen, Gaben und Bedürfnissen zu füllen und dadurch real und lebendig werden zu lassen. Nicht als vorgefertigte Schablone oder Gussform. Sondern als lebendiges und von mir signiertes Unikat. Ich wünsche mir so sehr, dass wir uns trauen, unsere eigenen Vorstellungen von Leben und Liebe zu kreieren, zu finden und wahr werden zu lassen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Ich glaube, da gibt es ganz viele verschiedene Rädchen, an denen im Kleinen und Großen zu drehen ist. Für mich zentral: der Umgang mit Gewalt. Und dafür wiederum zentral: das Sichtbarmachen von Gewalt. Das Erkennen von Gewalt. Das Anerkennen, was alles Gewalt ist. Ich merke, dass es in der Sensibilisierung für die Spielformen der Gewalt noch viel Luft nach oben gibt. Dass ein Mord oder eine Ohrfeige unter Gewalt fallen, wird wohl niemand mehr bestreiten. Dass es aber viele subtile Formen von Gewalt (Beschämung, Belohnung, Bestrafung, Abwerten, Bewerten, Etikettieren etc) gibt, dafür fehlt noch oft Verständnis. Auch das strukturelle, systemische Gewalt existiert, aufgrund von Personal- und Ressourcenpolitik, etc. Beispiele hierfür wären Gewalt in Schulen oder in der Geburtshilfe. Hier passiert oft Gewalt „aus den Umständen heraus“, aus den Vorgaben, aus den Vorschriften. Und dass Gewalt letztendlich in allen Bereichen der Gesellschaft präsent ist. Im nicht mehr Wegsehen, im nicht mehr Wegreden – darin liegt für mich ein wesentlicher Schlüssel hin zu mehr Frieden.

Gleichzeitig braucht es – sobald wir die verschiedenen Formen von Gewalt erkannt haben (und sie somit natürlich in unterschiedlichen Ausprägungen und Farbnuancen in uns selbst auch immer mal wieder finden) –, Mitgefühl für uns selbst. Geduld. Die Einsicht, dass Frieden ein Prozess ist. Gewalt werden wir wohl immer in irgendeiner Form vorfinden. Aber die Idee, maximale Freiheit von Gewalt anzustreben, erachte ich als sehr sinnvoll. Und vor allem die klare Ausrichtung: Gewalt, die vermeidbar ist, zu vermeiden. Es geht um die klare Entscheidung – Hey, ich erkenne, dass xy gewaltvoll ist. Und ich möchte das nicht mehr. Ich verschließe nicht mehr die Augen. Sondern spüre und lebe ganz klar: Ich möchte andere Formen des Umgangs finden. Mit anderen Menschen. Mit dieser Erde.

Ein besonderes Augenmerk dürfen wir als Gesellschaft auf die jungen Menschen und auf ihr Aufwachsen, auf die so genannte Kindheit, legen. Es ist schlicht und ergreifend nicht egal, wie wir Kinder gebären und wie wir sie ins Leben begleiten. Das ist die Basis. Da liegt eine große Verantwortung. Aber nicht nur mit Worten. Sondern mit Taten. Ich darf und möchte Eltern und weitere BegleiterInnen immer wieder dazu ermutigen, sich ganz klar an die Seite der ihnen anvertrauten jungen Menschen zu stellen. Sich ganz klar für Verbindung, Großzügigkeit und Kommunikation zu entscheiden.

Die Literatur, ja die Kunst im Allgemeinen, kann uns Menschen auf so viele Weise hilfreich und unterstützend sein. Im Schreiben nähern wir uns „den Realitäten“ an. Aber auch den Möglichkeiten. Im Schreiben erschaffen wir, sind wir kreativ, erleben uns als selbstwirksam. Im Schreiben halten wir Spielgel vor und bekommen Spiegel vorgehalten. Im Schreiben können wir uns und Entwicklungen einordnen, verstehen. Im Schreiben sind wir in Kommunikation. Mit uns selbst. Und mit der Welt. Im Schreiben zeigen wir auf, weisen hin, machen sichtbar. Geschichten zu erzählen, Geschichten erzählt zu bekommen: Es sind Grundbedürfnisse von uns Menschen. Es ist eine natürliche und so kraftvolle Möglichkeit, auf die Freuden und Leiden dieser Welt einzugehen. Literatur trägt uns weiter. Wir tragen uns dadurch durch die Geschichte(n) der Zeit. Und in neue Zeiten hinein. Und mit ihr tragen wir, die sie erschaffen, und auch wir, die sie aufnehmen, große Verantwortung.

Was liest Du derzeit?

Ich lese generell immer sehr viel gleichzeitig. Es tut mir gut, zahlreiche Bücher um mich zu haben. Beständig. Lauernd. Beruhigend.

Derzeit lese und liebe ich gleichzeitig, mal länger am Stück, dann wieder eher „kurz und knackig“:
– Maria Lazar: Viermal ich

– Sigune Schnabel: Glas und andere Irrtümer

– Veronika Sophie Klammer: Schwester Stern

– Leonie Schöller: Beklaute Frauen

– Dabiela Danz: Portolan – Gedichte

– Natascha Gangl: Frische Appelle – Sprechtexte

– Julia Schoch: Biographie einer Frau

– Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz

– Andrea Kerstiger: Fingerübungen

– Ihr habt da was vergessen – Frauengeschichte sichtbar machen; herausgegeben von der Louise-Otto-Peters Gesellschaft

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Ich liebe ein Zitat von Mary Haskell, das sie in einem ihrer Liebesbriefe an Khalil Gibran niederschrieb. Wenn wir in dieser Haltung die uns anvertrauten jungen Menschen begleiten und lernen, allen Menschen auf diese Weise zuzuhören – ohne Erwartung, ohne Angst – hm, dann, ja dann haben wir als Individuen und als Gesellschaft viel gewonnen. Es sind Wege. Prozesse. Ein ständiges Lernen, Innehalten, Hinsehen. Ein Scheitern. Und neu Anfangen. In Liebe:

„Nichts, was aus dir wird, kann mich enttäuschen; ich habe keine vorgefasste Meinung, was du sein oder tun sollst. Ich habe keinerlei Wunsch, dich vorherzusehen, nur den, dich zu entdecken. Du kannst mich nicht enttäuschen.“

Außerdem aus Astrid Lindgrens Rede anlässlich des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1978:

„Ich glaube, wir müssen von Grund auf beginnen. Bei den Kindern. Ich möchte zu Ihnen über die Kinder sprechen. Über meine Sorge um sie und meine Hoffnung für sie. Die jetzt Kinder sind, werden ja einst die Geschäfte unserer Welt übernehmen, sofern dann noch etwas von ihr übrig ist. Sie sind es, die über Krieg und Frieden bestimmen werden und darüber, in was für einer Gesellschaft sie leben wollen. In einer, wo die Gewalt nur ständig weiterwächst, oder in einer, wo die Menschen in Frieden und Eintracht miteinander leben. Ein Kind, das von seinen Eltern liebevoll behandelt wird und das seine Eltern liebt, gewinnt dadurch ein liebevolles Verhältnis zu seiner Umwelt und bewahrt diese Grundeinstellung sein Leben lang.“

Vielen Dank für das Interview, liebe Susanne, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich alles Gute! 

Ich bedanke mich ebenso. Für die Einladung. Für den Raum. Für die Zeit. Für das gemeinsame Erschaffen. Nachdenken. Hinspüren. Fürs Zuhören. Merci – so much!

5 Fragen an Künstler*innen: Susanne Sommer, Schriftstellerin

Zur Person/über mich: Susanne Sommer, geboren und aufgewachsen im Burgenland im Osten Österreichs, studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Sprachwissenschaft an der Universität Wien. Sie arbeitete als Regieassistentin an verschiedenen österreichischen Bühnen sowie redaktionell für diverse Nachrichtenagenturen/Radiosender (u.a. ORF, ZDF). Heute ist sie Mutter eines Sohnes, Autorin, Sprecherin, Performerin und veranstaltet Lesungen und Lyrik-Performances. Sie schreibt Lyrik, lyrische Prosa und Kinderbücher. Selbstbestimmung, Frausein, Muttersein, Bildung, Begleitung junger Menschen, Gewalt und Trauma sind Themen, mit denen sie sich intensiv beschäftigt. Lyrik ist ihr ein besonderes Anliegen – Lyrik groß auf die Bühne zu holen, die Menschen mit der Kraft der sprachlichen Bilder zu berühren und zu nähren, Lyrik in all ihren Facetten und noch dazu in ganz neuen Erscheinungsformen zu leben und erlebbar zu machen …

Sie lebt mit Mann und Sohn derzeit in Mörbisch/See (Burgenland/Österreich).

Ihre Texte finden sich in Anthologien (zB wortgewandt, weissnet 2.0, Forum gegen Gewalt), in Zeitungen, Zeitschriften, Blogs sowie im Rundfunk (zB Ö1/Nachtbilder). Neben fünf Buch-Veröffentlichungen brachte sie auch das Hörbuch „Sommer-Poesie“ heraus, wofür sie 2024 ein Arbeitsstipendium des Landes Burgenland erhielt. Derzeit arbeitet sie an einem Lyrik- und Kurzgeschichten-Band für den Verlag „lexliszt 12“.

Susanne Sommer ist Mitglied bei: ≠igfem IG feministische Autorinnen, IG AutorInnen, Österreichische Haiku-Gesellschaft, GAV – Grazer AutorInnen Vereinigung.

Weitere Informationen auf: www.textbewegungen.at

Buch-Veröffentlichungen:

– Willi Wunder – Das Bilder-Erzählbuch für alle Kinder, die ihre Einzigartigkeit entdecken wollen (edition riedenburg, 2018)

– See-le-ben (Berger, 2019)

– Vom Wolkenschauen und Träumegießen (Berger, 2020)

– Seiten einer Jungseefrau (Berger, 2022)

– Zeiten einer Welt(t)raumfrau (Berger, 2023)

– Hörbuch „Sommer-Poesie“ (Csello, 2024)

Auszeichnungen und Förderungen:

– zweimalige Gewinnerin in Folge: Burgenländischer Literaturpreis 2022 und 2025

– Finalistin beim „zeilenlauf 2025“, 4. Platz in der gesamten DACH-Region

– Arbeitsstipendium durch das Land Burgenland für das Hörbuch „Sommer-Poesie“, Csello, 2024

– Kulturförderung durch das Land Burgenland für die Lyrik-Bände „Zeiten einer Welt(t)raumfrau“ (Berger 2023) und „Seiten einer Jungseefrau“ (Berger, 2022)

– Kinderbuch „Willi Wunder – Das Bilder-Erzählbuch für alle Kinder, die ihre Einzigartigkeit entdecken wollen“ (edition riedenburg, 2018) wurde  beim „Bank Austria Sozialpreis 2022“ mit dem 3. Platz ausgezeichnet

– Gewinnerin Frühlings- und Herbst-Ausschreibung 2021 der ≠igfem IG feministische Autorinnen

– Finalistin bei den „ORF Textfunken 2021“

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Daten:
Susanne Sommer – Mutter, Schriftstellerin, Performerin, Sprecherin
susanne@textbewegungen.at
http://www.textbewegungen.at

Susanne Sommer, Schriftstellerin,
Performerin, Sprecherin

Fotos: Birgit Machtinger

Walter Pobaschnig 9/12/25

https://literaturoutdoors.com

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