„Wir sind hungrig danach, menschlich aktiv zu werden“ Anela Luzi, Schauspielerin _ Berlin 23.10.2025

Liebe Anela, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Jeder Tag sieht anders aus, dennoch liebe ich kleine Rituale, die sich nie ändern: Kaffee trinken, das Gesicht mit kaltem Wasser waschen, das Bett machen, im Zimmer zur Musik tanzen, einmal am Tag. Abends schreibe ich Tagebuch. Momentan mache ich eine Weiterbildung in Theaterpädagogik als zweites Standbein und arbeite gleichzeitig an meiner Facharbeit. Diese beschäftigt sich mit unsicheren und sicheren Orten/Räumen sowie der Frage nach „Freiheit“ und Ritualen in der heutigen Zeit. Ich lese viel zu diesen Themen oder schaue Filme, die dazu passen. Zwischendurch lenke ich mich gerne ab, zum Beispiel indem ich in alten Fotoalben blättere oder ab und zu in der Online-Welt stöbere. Außerdem lerne ich Französisch-Vokabeln und suche den alltäglichen Kontakt zu meiner Familie, um zu erfahren, wie es ihnen geht, sowohl in Albanien als auch in Deutschland.

Anela Luzi, Schauspielerin, Tänzerin

Immer wieder halte ich inne, schaue aus dem Fenster und lasse meine Gedanken schweifen. Das entspannt mich, weil ich das Gefühl habe, sie nicht zensieren zu müssen. Dabei schreibe ich Ideen für die Zukunft auf und verfolge kleine Gedankenpfeile, die mich inspirieren. –

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig? 

Sich gegenseitig Mut machen. Zuhören und manchmal auch feste Überzeugungen beiseitelegen oder auflösen, um Neues Denken zuzulassen. Flexibilität. Ich glaube, es verändert sich ständig etwas, sowohl persönlich als auch im Außen. Es ist wichtig, uns daran zu erinnern, dass wir Potenzial und Leidenschaft in uns tragen. Ich glaube fest daran, dass die Kraft und das Potenzial eines Einzelnen in seinem oder ihrem Umfeld unglaublich viel bewirken kann. Angstfreie Räume zu schaffen für unkonventionelle Gedanken und Gefühle, die nach Ausdruck schreien. Und daran zu glauben. Mir wurde einmal gesagt: „Wenn du nicht weißt, an was du glauben sollst, dann versuche, an dich selbst zu glauben.“ So können wir uns trotz der Veränderungen im Außen sicher fühlen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu? 

Ich denke, es könnte wesentlich sein, keine Angst vor einem immer wiederkehrenden Neubeginn zu haben, sowohl gesellschaftlich als auch persönlich. Ich habe oft Träume in der Nacht, in denen mir alles entrissen wird, was mir vertraut ist, familiär ist und mir eigentlich Schutz bietet. Ich wache morgens auf, suche sofort Halt und will nichts loslassen, mir sicher sein, dass noch alles da ist. Ich glaube, diese Angst, alles zu verlieren, was wir schon einmal hatten oder gerade haben, ist vielen vertraut. Wichtig ist jedoch, diesen Unsicherheiten Raum zu geben, sie da sein zu lassen, und vielleicht auch Neugier zu entwickeln.

Mir gefällt der Gedanke der Prozessteilnahme im Theater oder in der Kunst, der Mit-Autorenschaft: Zuschauer:innen und Schauspieler:innen oder Performer:innen existieren nicht getrennt voneinander, sondern interagieren, nehmen teil. Gleichzeitig mag ich es, dass es Orte sind, an denen wir einfach nur  betrachten. Ich kann mir vorstellen, dass diese Orte zunehmender partizipativ gestaltet werden,  performativ und offen in den Räumen, damit Begegnung entsteht. Gerade in Zeiten der Entwicklung künstlicher Intelligenz werden wir wahrscheinlich besonders hungrig danach sein, menschlich aktiv zu werden. Wenn nicht, sollten Kunst und Theater weiterhin Orte sein, die uns dazu pushen, unsere eigenen Stimmen zu erheben, Meinungen zu äußern und mutig zu sein. 

Was liest Du derzeit?

„Frei- Erwachsenwerden am Ende der Geschichte“ von einer albanischen Politikwissenschaftlerin und Philosophin –  Lea Ypi

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben? 

Die Dinge waren so, wie sie waren, und dann waren sie anders. Ich war die Person, die ich war, und dann wurde ich eine andere. Die Freiheit wird nicht nur dann geopfert, wenn andere uns vorschreiben, was wir sagen, wohin wir gehen und wie wir uns verhalten sollen. Eine Gesellschaft, die von sich behauptet, jedes ihrer Mitglieder:innen könne sein/ihr Potenzial entfalten, die es aber nicht schafft, jene Struktur zu ändern, die einen Teil dieser Mitglieder:innen vom Erfolg fern halten, ist ebenfalls repressiv.  Und doch verlieren wir trotz aller Zwänge, nie unsere : innere Freiheit.“ – Lea Ypi

Vielen Dank für das Interview, liebe Anela, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theater-, Tanz-, Kunstprojekte und persönlich alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen: Anela Luzi, Schauspielerin, Tänzerin

Zur Person/über mich: Anela Luzi wurde 1996 in Kaiserslautern geboren, wuchs in Karlsruhe auf und lebt heute in Berlin, pendelnd zwischen Karlsruhe, Berlin und der Schweiz. Ihre Eltern arbeiteten nach dem Ende des albanischen Kommunismus hinter den Kulissen am Badischen Staatstheater Karlsruhe, wo Anela früh mit der Welt hinter der Bühne in Berührung kam.

Nach dem Abitur begann sie ein Studium der Kultur- und Literaturwissenschaften in Dresden, brach es jedoch ab und kehrte ins Theater zurück, zunächst als Requisiteurin und nebenbei als Staplerfahrerin bei Daimler. Auf Empfehlung eines Familienfreundes begann sie ihre Schauspielausbildung an der Athanor Akademie in Passau, wo sie auch ihre Leidenschaft für Tanz entdeckte und u. a. Beim Sibiu International Theatre Festival in Rumänien performte.

Es folgten Engagements am Staatstheater Karlsruhe (u. a. Operette als Tänzerin) und bei den Händelfestspielen als Kostümassistentin, erste Filmrollen, Bandprojekte und eine Mitwirkung im Bewegungschor des Stücks Exil inszeniert von Luk Perceval am Berliner Ensemble. In der freien Szene arbeitete sie experimentell und poetisch, u. a. in Projekten wie „To Tell a Story is an Act of Love“ und „Der Verhinderung der Distanz“ von Paula Lynn Breuer, wo sie erstmals gemeinsam mit ihrer Mutter in Zürich auf der Bühne stand .

Im vergangenen Jahr arbeitete sie zunehmend international – erstmals in einer uruguayischen Filmproduktion und im Projekt „Venn Bodies“ von One Tschoe an der UdK/HZT (Berlin), das den Körper im Kontext kultureller Erinnerung und kollektiver Archive untersuchte. In den Kurzfilmen „Gaze“ von Arina Popa und„In Venus“ von Edith Buttingsrud Pedersen, die international auf Festivals gezeigt wurden, beschäftigte sie sich künstlerisch mit dem weiblich gelesenen Körper im Prozess des Erwachsenwerdens und den damit verbundenen Gefühlen von Verletzlichkeit und Scham.

Momentan absolviert sie eine Weiterbildung in Theaterpädagogik, um Räume für angstfreien Austausch und Entschleunigung- auch in Schulkontexten zu schaffen. Sie plant einen Übergangsaufenthalt in Paris, um freiberuflich weiterzuarbeiten und in Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen Räume zu eröffnen, in denen sie ihre Forschung zu Körper, Bewegung in Form von Workshops weiterführt.

Aktueller Film mit Anela Luzi: „Die Taufe“ R: Jan Oke Jens _ Der Spielfilm wird im November im ZDF und auf 3Sat gezeigt.

https://pressetreff.3sat.de/programm/dossier/klassixs-die-grossen-dramen-in-jungen-kurzfilmen-1

Foto: Zebu Kluth

Walter Pobaschnig 21/10/25

https://literaturoutdoors.com

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