„dass wir tatsächlich etwas tun können“ Iris Martin, Schriftstellerin _ Kiel 8.9.2025

Liebe Iris Martin, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich stehe sehr früh auf, trinke Kaffee. Dann schreibe ich. Je nachdem, wie lange ich Zeit habe, so etwa zwei bis fünf Stunden. Dann leite ich einen Deutschkurs. Ich unterrichte Deutsch als Fremdsprache. Danach gehe ich oft spazieren oder fahre mit dem Rad nach Hause. Im Sommer schwimme ich so oft wie möglich. Ich liebe das Meer! Später übe ich Klavier. Das ist eine Meditation. Und abends treffe ich Leute, telefoniere, lese, sehe einen Film, eine Oper, ein Ballett. Ich erinnere mich nicht, wer das gesagt hat: „Ich habe es mit der Realität versucht. Es gibt Besseres.“ Ich würde zumindest so weit gehen zu sagen, dass die Realität nur einen Teil meines Lebens ausmacht.

Iris Martina Martin, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich denke, dass es wichtig ist, sich darüber klar zu sein, dass wir tatsächlich etwas tun können. Nichts bleibt, wie es ist. Auch wenn es an einem Tag so scheint, als ob wir keine Chance hätten, auch nur gehört zu werden, kann es einige Zeit später ganz anders aussehen. Dinge ändern sich, und plötzlich gibt es eine Chance. Bereit sein. Beharrlichkeit.

Um Kraft zu schöpfen, können wir uns darauf besinnen, was wir haben. Wir können immer wieder innehalten, um die Kostbarkeit des Lebens zu fühlen. Ich halte es für wichtig, dass wir uns darüber klar sind, dass wir die Fähigkeit zur Sublimation haben, d.h. negative seelische Energie in positive zu verwandeln. Eine erstaunliche Fähigkeit. Aber sicher ist nicht für alle Menschen das Gleiche wichtig. Vielleicht ist es nicht einmal wichtig, sich darüber klar zu sein, was einem wichtig ist. Nicht um glücklich zu sein, wenn es das ist, worum es geht. Es gibt so eine Art unbewussten Glücks.

Wenn ich Dinge als schwer empfinde, sage ich mir, dass uns Milliarden Jahre der Evolution genau darauf vorbereitet haben, und sicher nicht darauf, dass es leicht ist. Es war niemals leicht. Viele sind untergegangen. Aber jeder einzelne unserer zahllosen Vorfahren hat die Fackel des Lebens weitergereicht. Mir hilft dieser Gedanke seltsamerweise. Aber ich kann mir leicht vorstellen, dass ein anderer dazu nur sagt: „Aha.“

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Besonnenheit und Klugheit werden ganz besonders wichtig sein. Ich halte es in dieser Situation für gefährlich, einfach nur Gefühlen zu folgen. Jede unserer Handlungsoptionen muss bis zum Ende durchdacht sein. Wie leicht lassen sich Feindbilder aufbauen. Wie leicht kann man Menschen manipulieren, wenn sie Dinge nicht zu Ende denken.

Wir sollten nicht naiv sein, aber auch nicht meinen, dass ganz klar ist, was passiert. Wir sollten die Perspektiven der anderen verstehen. Wir sollten jede Möglichkeit nutzen und vor allen Dingen an den Frieden glauben. Wir sollten uns nicht auf unsere Führer verlassen, sondern uns selbst ein Bild machen. Vielleicht haben sie eigene Ziele. Vielleicht haben sie den Überblick längst verloren.

Laut sein, nachdrücklich und beharrlich immer wieder sagen, dass wir Frieden wollen. Widersprechen, Diskutieren, Angebote machen, auch und besonders Zuhören sind wichtig. Auch Vorstellungsvermögen. Manchmal denke ich, dass vielen Menschen gerade das fehlt. Die Toten sind dann nur noch Zahlen. Vielleicht brauchen wir die Fähigkeit, das unermessliche Leiden auf der Welt auszublenden. Aber wir sollten uns doch zumindest noch daran erinnern, dass wir es ausblenden.

Die Kunst erweitert Perspektiven. Sie hilft dabei, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Über den Bezugsrahmen hinauszugehen. Sie hilft dabei neue Lösungswege zu entdecken, andere Möglichkeiten aufzuzeigen. Kunstwerke sind auch Gedankenexperimente. Was wäre, wenn…? Und muss es überhaupt so sein, wie es ist? Die Kunst macht uns glücklich und positiv und liebevoll. Sie gibt uns Hoffnung, Energie und Freude.

Was liest Du derzeit?

Virginia Woolf: Between the Acts.

Diese begnadete Schriftstellerin ist eine Meisterin darin, den Moment des Glücks inmitten eines Meers von Angst und Unsicherheit einzufangen und für ihre Leser*innen erlebbar zu machen. Ob es sich lohnt? Wer fragt danach?

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Ein Mann in Kalkutta hat ein Kinderheim gegründet, in dem er 25 obdachlosen Waisenkindern ein Zuhause gab. Man fragte ihn, was für einen Unterschied das mache, 25 Kinder von 10.000. Darauf sagte er: „Für die 10.000 macht es keinen Unterschied, wohl aber für die 25.“

Vielen Dank für das Interview, liebe Iris, Schriftstellerin, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen: Iris Martina Martin, Schriftstellerin

Zur Person/über mich: Iris Martina Martin ist in Freiburg i.Br. geboren. Sie hat Deutsche Philologie, Philosophie und Kommunikationswissenschaft studiert. Ihre Magisterarbeit beschäftigt sich mit dem Komischen in Thomas Bernhards „Die Billigesser“. Nach dem Studium war sie an verschiedenen deutschen Bühnen als Regieassistentin tätig. Dann absolvierte sie eine Fortbildung zur PR-Referentin. Sie lebte bislang überwiegend in Hamburg, wo sie rund zwanzig Jahre als Texterin, Ghostwriter und freie Journalistin arbeitete. Seit rund zehn Jahren unterrichtet sie Deutsch als Fremdsprache. Heute lebt sie in Kiel und widmet sich ihrer Leidenschaft, dem fiktionalen Schreiben. Neben Romanen schreibt sie Novellen, Theaterstücke und Lyrik.

Aktuelles Buch von Iris Martina Martin: Iver. Roman.

Ein atmosphärisch dichtes m/m Beziehungsdrama mit Crime-Elementen.

In der Einsamkeit der norwegischen Wälder arbeitet Iver als Pilot für einen Technologiekonzern. Eines Tages lernt er bei einem Auftrag Sander, einen der Firmengründer, kennen. Sie verlieben sich fast auf den ersten Blick. Doch Sander hat ein dunkles Geheimnis, und ihre leidenschaftliche Beziehung basiert von Anfang an auf einer Lüge. Denn der weltgewandte Tatmensch Sander kann nicht glauben, dass der träumerische Iver seinen wahren Charakter akzeptieren kann. Erst Jahre später entdeckt Iver die ganze Wahrheit über seinen Freund. Und auch Sander steht noch eine Überraschung bevor…

Der zweite Teil des Romans spielt in Brasilien, wo die Firma eine Niederlassung aufbaut. Die Helden bewegen sie sich einerseits in Sanders Welt, der Welt der Technologiewirtschaft, Korruption und des Verbrechens. Andererseits entdecken sie aber auch Ivers Welt. Sie erleben die Faszination einer großartigen Natur, reisen an den Amazonas und zum Fujijama und lernen von der Mystik und Weisheit der Kulturen.

Das Grundthema des Romans sind mangelnde Offenheit sowie falsche Erwartungen und Erwartungserwartungen, die eine leidenschaftliche Beziehung bedrohen. Schuldgefühle auf der einen und Verlustängste auf der anderen Seite erschweren den Liebenden eine offene Kommunikation. Daneben bildet die Auseinandersetzung der Figuren mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen und Grundwerten ein durchgehendes Thema der Geschichte.

Iver. Roman. Iris Martina Martin.

207 S., Taschenbuch, 12,85×19,84, 11,99 €

ISBN 979-8297361980

198 S., eBook, 8,99 € (Kindle) Mit Leseprobe auf Amazon.

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Ab 17. September 2025 auch im deutschen Buchhandel und für Tolino Reader.

236 S., Taschenbuch, 12,5x19cm, 11,99 €

ISBN 9783819440472

236 S., eBook, 8,99 € (Tolino)

ISBN 9783819440540

Foto: privat/ Coverdesign: Ingo Martin Mediadesign

Walter Pobaschnig 7/9/25

https://literaturoutdoors.com

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