„Literatur ist unverzichtbar“ Lorena Pircher, Schriftstellerin _ Wien 5.7.2025

Liebe Lorena Pircher, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Meine Tage sind derzeit sehr vielfältig; meistens verbringe ich viele Stunden auf der Arbeit (die ich sehr gerne mache), versuche aber auch immer, mir am Abend oder späteren Nachmittag, zwischen Mails und Organisatorischem, ein, zwei Stunden für das eigene Schreiben und das Lesen freizuhalten. Sehr gerne verbringe ich Abende mit Freund:innen auf Lesungen oder Ausstellungen und manchmal habe ich am Abend auch Dolmetschaufträge; das Dolmetschen und Übersetzen, das seit drei, vier Jahren Teil meines Lebens ist, erfüllt mich sehr. Ansonsten versuche ich, Zeit mit Freund:innen und der Familie zu verbringen; ich liebe den wohltuenden Austausch und die Inspiration, die durch den Dialog mit anderen entstehen.

Lorena Pircher, Schriftstellerin,
Übersetzerin, Dolmetscherin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Solidarität, gegenseitige Unterstützung, Füreinander-Einstehen. Ich persönlich finde, dass es derzeit besonders wichtig ist, unsere Aufmerksamkeit und unser Mitgefühl auf all die Menschen zu richten, die weltweit Kriege, Vertreibung, Flucht und humanitäre Katastrophen erleiden müssen.Ich glaube, dass es essentiell ist, dass wir Solidarität und konkrete Hilfeleistungen leben – durch Spenden an zuverlässige Organisationen oder auch lokale Hilfsinitiativen, durch persönliches Engagement und das ständige Reflektieren der eigenen höchst privilegierten Situation, was uns helfen kann, zu verstehen, wie wir im Kleinen unseren Teil beitragen können. Ich finde es auch wichtig, immer wieder über die derzeitige globale Situation zu sprechen, damit die breitgefächerten Schrecken, die so viele verschiedene Bereiche betreffen, nicht verdrängt, sondern als gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung verstanden werden.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Meiner Meinung nach ist die Kunst, die Literatur, immer unverzichtbar, insbesondere um positive, gesellschaftliche Veränderungen und Neubeginne anzustoßen und/oder zu begleiten. Sie ermöglicht es uns, in Austausch, in Dialog zu treten, mit Perspektiven von Menschen konfrontiert zu werden, die vollkommen andere Lebensrealitäten erfahren. Die Werke von Schriftsteller:innen und Künstler:innen, die Rassismus, Sexismus, Diskriminierung auf unterschiedlichsten Ebenen erfahren (haben), die von Krieg, Vertreibung oder Armut betroffen sind, und die Zeugnisse, die sie über gesellschaftspolitische Bedingungen ablegen, sind essentiell um drängende soziale und politische Fragen, strukturelle Ungerechtigkeit und Benachteiligungen sichtbar zu machen und wiederholt zu thematisieren. Literarische Texte, kreative Werke können uns dazu bringen, uns mit gesellschaftlich bedeutenden Ereignissen und sozialen Bedingungen, mit drängenden politischen Fragen auseinanderzusetzen. Durch die künstlerische Auseinandersetzung und literarische Versuche der Aufarbeitung der Gegenwart kann auch in einem kollektiven Leiden die individuelle Geschichte vermittelt werden, was uns damit konfrontiert, dass wir beispielsweise in den Zahlen in den Nachrichten wieder die einzelnen Menschen erkennen – und aus diesem Verständnis heraus handeln.

Was liest Du derzeit?

Derzeit lese ich erneut Beloved von Toni Morrison, Gedichte von Ocean Vuong und Die Tochter von Guadalupe Nettel. Ich lese zudem sehr gerne Sachbücher, gerade etwa An African History of Africa von Zeinab Badawi.

Auch versuche ich immer aktuelle Werke aus dem deutschsprachigen Raum zu lesen, derzeit lese ich jeden Abend ein Gedicht aus Patricia Mathes neuem Gedichtband im grunde sprichst du schon und Passagen aus Sophia Lunra Schnacks Erzählband Worte wie Mandelblüte.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Do stuff. Be clenched, curious. Not waiting for inspiration’s shove or society’s kiss on your forehead. Pay attention. It’s all about paying attention. Attention is vitality. It connects you with others. It makes you eager. Stay eager.

–Susan Sontag

Vielen Dank für das Interview, liebe Lorena, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen: Lorena Pircher, Schriftstellerin,
Übersetzerin, Dolmetscherin

Zur Person/über mich: Lorena Pircher: 1994 in Südtirol, Italien geboren, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaften, Englisch und Französisch in Wien und Frankreich. Veröffentlichung zweier Gedichtbände sowie mehrerer Erzählungen und Gedichte in Literaturzeitschriften und Anthologien. Startstipendium für Literatur des BMKOES 2024, literarische Übersetzungen und Dolmetschungen aus dem Italienischen, Spanischen und Französischen ins Deutsche. Lebt und arbeitet im Verlagswesen in Wien. Letztens erschienen: eure stimmen eure sprachen. Lyrik. (edition exil, Wien, 2024). lorena pircher
eure stimmen eure sprachen

Lorena Pircher, eure stimmen eure sprachen

​lyrik, edition exil 2024,

152 seiten, brosch., € 14,-

isbn: 978-3-901899-96-6

https://www.editionexil.at/eurestimmen

Foto: Elisabeth Öggl

Walter Pobaschnig 1/7/25

https://literaturoutdoors.com

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