Liebe Aleksandra Pristin, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich wache auf und ich weiß selten, wie der Tag verlaufen wird, denn dies hängt von Nachtträumen, vom Wetter, von anfallenden Aufgaben für unsere Skulpturenausstellungen und von Social Media ab.
Wenn das Wetter akzeptabel ist, gehe ich in meinen Garten, der mich braucht, damit er so ist, wie ich es mir wünsche und wie ich den Garten gerne zeigen mag, denn der Garten, der regelmäßig von vielen Menschen bestaunt wird, ist ein Star und soll ein Star bleiben. Er ist es auch, der mir meine Seelenruhe gibt, damit ich schreiben kann. Und schreiben muss ich dann, wenn meine Nachträume mich lenken, wenn sie mir Impulse geben, denen ich folgen muss. Nicht aus jedem Traum wird ein Gedicht und nicht jedes Gedicht folgt einem Traum, doch wenn ich so geträumt habe, dass ich den Traum nicht von der Haut abstreifen kann, dann gehe ich nicht in den Garten, ich schreibe, bis das mich verfolgende Gefühl im Kokon der Lyrik festgehalten wird und nicht mehr auf meiner Haut kriecht.
Doch sowohl das Wetter, wie auch die Träume, beide sind machtlos gegen Social Media Kram, der mich unnötig ablenkt und meinen Tagesablauf stört. Ich erfahre vieles Nötige und vieles Unnötige, bis ich oft merke, das schöne Gartenwetter ist vorbei, bis ich oft merke, mir entflieht ein schöner Satz, den ich schreiben wollte und nun schreibe ich einen anderen Satz.
Und schnell ist der Tag vorbei.
Bis in die Tiefe der Nacht erledige ich noch meine Aufgaben, bastele am Flyer, Banner, Plakat, Katalog, Internetauftritt für die Skulpturenausstellung, schreibe Briefe, Anträge, ordne Fotos und plane die nächsten Veranstaltungen für das nächste Jahr.
Doch zurückblickend bin ich mit dem Tag zufrieden, er verlief, wie jeder Tag, gelenkt vom Fleiß, Ehrgeiz, Zerstreutheit und vom Traum, immer ein Stück für die Erfüllung meines Lebenstraums.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Nichts ist wichtiger jetzt, in der ins Rechts weltweit abdriftenden Gesellschaft, als das Herz zu bewahren und es noch mehr zu öffnen, nicht die Augen verschließen und an anderen zu rütteln, damit ihre Herzen Räume für leidende Menschen offen halten, nicht zulassen, dass sie verhärten, dass uns Kälte, Gier, Neid und Sarkasmus spalten, dass die Demokratie, in der wir unbesorgt aufwachsen durften, unbemerkt stirbt.
Auch ein engagiertes gesellschaftliches Leben ist sehr wichtig. Bewegen, gestalten, voranbringen. Daraus wächst eine geschlossene Gemeinschaft, die nicht so leicht zerfällt. Diesen Gedanken pflege ich seit 25 Jahren und öffne meinen Garten für interessierte Gartenliebhaber. Seit neun Jahren, zusammen mit meinem Mann, organisiere ich hier im Garten Skulpturenausstellungen begleitet von Lyriklesungen und Konzerten und wir erfreuen uns an der großen Resonanz und an immer glücklichen Gesichtern. Wichtig ist uns dabei, verschiedene Kunstformen und verschiedene Materialien unter immer wechselnden Themen mit namhaften Bildhauern zu präsentieren, die Kunst zu vermitteln und die Menschen zusammenzubringen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Jede Stimme, die schweigt, ist opportun und feige. Wach und hörbar zu sein ist die Aufgabe der Künste. Aus der Perspektive der Jahrzehnte und der Epochen sind die Kunst und die Literatur wie Zeigerpflanzen, die durch ihre Präsenz darauf hinweisen, welche Eigenschaften der Boden (die Gesellschaft) hat. Die Kunst und die Literatur haben es zur Pflicht das festzuhalten, was um uns geschieht und das aufzuzeigen, was beunruhigend ist. Utopisch wäre es zu denken, dass sie jede Seele erreichen, doch wenn sie dennoch wahrgenommen werden, sollten sie beleuchten, in den Verstand dringen und aufrütteln. Wie die Leuchttürme stehen sie in der Pflicht hellwach zu sein und den Weg in den Frieden zu weisen. Ich weiß aus meinem vergangenen Berufsleben, dass das Aufstehen und die Meinung äußern, nicht immer einen selbst vorwärtsbringen, doch sie bringen die Sache vorwärts. Als Künstler sollte man sich von eigenen Vorteilen losgelöst fühlen und gerade jetzt mit jedem verfügbaren Mittel sprechen, fragen, berühren, weinen.
Was liest Du derzeit?
Je nach Tageszeit und je nach Ort, wo ich mich gerade befinde, lese ich sowohl Lyrik wie auch Prosa. Inspiriert durch die Lesung „Das Alphabet des Feuers – Poesie aus Island“ mit Wolfgang Schiffer und Jón Thor Gíslason, die wir Ende Mai im Garten veranstaltet hatten, lese ich gerade Gedichte aus Island, „Ewigzeit“ von Ásta Fanney Sigurdardóttir, kleine sprachliche Meisterwerke, deren Konstruktion ich bewundere.
…. Wenn ich an den gerade warmen Tagen abends unter den Walnussbäumen sitze und vor den Sonnenuntergängen den Tag abschließe, lese ich „Air“ von Stefan Kracht, weil mich die Verbindung – Kunst und Literatur – angesprochen hatte, doch abgelenkt durch die Farben des Himmels und eigene Gedanken, die ich zu eigenen Versen legen möchte, komme ich seit Tagen mit dem Buch nicht voran. Zumindest bei letzten drei gelesenen Büchern war ich nicht so zerstreut wie jetzt und am liebsten würde ich die Bücher weiter und weiter lesen, denn es sind lyrische Prosameisterwerke: Maren Kames „Hasenprosa“, Han Kang „Griechischstunden“, Mieko Kanai „Leichter Schwindel“.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Mit meinem Gedicht – ein bohrender Gedanke über das heutige Deutschland:
laute enge
(zu bundestagswahl)
erstarrt fragen wir uns
was sich viele fragen
warum kannte man sie vorher nicht
die, die nun alle türen schliessen
und so laut schreien
dass man nicht mehr schlafen kann?
warum muten sie der welt ihr eigenes
und man ihre enge nicht mal weiten kann?
wer sind sie um uns ohne ein gesicht?
sind es nur die, die man nicht kennt?
oder doch die, die mit uns
durch die lichten wälder
wie fledermäuse streiften?
um uns ihre bahnen zogen?
und uns auf die feuchten lippen küssten?
kaufen wir bei denen
mit einem lächeln ein?
schauen sie in unsere fenster
tag und nacht vielleicht?
sehen sie gestochen scharf
wie wir am tisch erstarren?
auch wir, wir traumwandeln
obwohl wir wach sein müssen
und auch wir, wir träumen nicht
Aleksandra Pristin, Februar 2025
Vielen Dank für das Interview, liebe Aleksandra, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen: Aleksandra Pristin, Lyrikerin, Gärtnerin und Veranstalterin
Zur Person: Aleksandra Pristin, Lyrikerin, Gärtnerin und Veranstalterin.
Psychologiestudium in Danzig und Warschau. In Deutschland seit 1983, hier bis vor Kurzem auf dem Gebiet der Informationstechnologie tätig.
Als Hobby betreibe ich zusammen mit meinem Mann einen fürs Publikum offenen, parkähnlichen Garten, in dem ich jährlich wechselnde Skulpturenausstellungen mit namhaften Künstlern organisiere, mit begleitendem Kulturprogramm wie Lesungen und Konzerte.
Mehr über den Garten und die Veranstaltungen: www.garten-pristin.de.
Mehr über mich als Autorin: www.pristin.de.
Foto: privat
Walter Pobaschnig 12/6/25