Bachmannpreis 2025_ im Interview:
Thomas Bissinger, Schriftsteller _ Bachmannpreis Nominierung 2025

Lieber Thomas Bissinger, herzliche Gratulation zur Bachmannpreisnominierung! Wie und wann hast Du von Deiner Nominierung erfahren? Was war Deine erste Reaktion und wie sieht jetzt die Vorbereitung aus?
Dankeschön! Erfahren hab ich’s, als ich grad aus der Kletterhalle an die Winterluft kam und einen verpassten Anruf meines Verlegers auf dem Handy sah. Ich hab zurückgerufen, wir haben uns über einen organisatorischen Punkt unterhalten, waren uns schließlich einig – und dann meinte er sehr beiläufig: „Ach, übrigens, das mit Klagenfurt klappt.“ Das war gut reingesneakt von ihm, ich hab ein paar Sekunden gebraucht, bis das große Grinsen losging.
Jetzt hadere ich mit all den Punkten, die am Text eigentlich noch hätten glattgezogen werden müssen und nun nicht mehr glattgezogen werden dürfen, tröste mich mit Waschbärvideos. Und lese fleißig die anderen Interviews in Literatur Outdoors, um am Wörtherseestrand 1-A-Gesprächseinstiege zu haben.
Wie war Dein Weg zum Schreiben?
Ich glaube, das wirkliche Schreibenlernen begann mit einer Lyrikwerkstatt im Rahmen des Studium Generale in Stuttgart, die von Jutta Weber-Bock geleitet wurde und für die ich ihr bis heute immens dankbar bin. Da ging es um ehrliche, wenn nötig auch harte Textkritik. Dort habe ich gelernt, dass der erste Wurf das Ziel noch nicht zu treffen braucht, dass sich das Ziel vielleicht überhaupt erst nach den ersten Schritten auf unsicherem Terrain abzeichnet. Wenn ein Text nicht mehr auf Anhieb gelingen muss (wie ich das als Jugendlicher annahm), öffnet das den Raum, einen Text als vorläufig zu verstehen und dahingehend zu betrachten, wo sein Potenzial und seine Entwicklungsmöglichkeiten sind.

Wie sieht der Schreibprozess bei Dir aus, gibt es etwa bestimmte Routinen, was inspiriert Dich und was ist Dir in Deinem Schreiben wichtig?
Ich habe keine arg stabile Routine. Am besten funktioniert täglicher Zwang, irgendwo für zwei Stunden hinzusitzen und zu schreiben. Handy weglegen. Es braucht dann einen leeren Raum und ein bisschen Platz, um auf und ab zu laufen und ein paar Selbstgespräche zu führen. Und die Bereitschaft, viele schlechte Seiten hinzunehmen.
Inspiration oder Motivation ist da schon stabiler: Im Augenblick sind das die Menschen, über die ich meinen Roman schreibe. Die Familie Ehrenfest. Ein Physiker und eine Mathematikerin und deren vier Kinder, die Anfang des 20. Jahrhunderts gelebt haben. Ich lese sehr intensiv deren Briefwechsel, und das waren alles einfach sehr außergewöhnliche Menschen.
Ich möchte es gerne schaffen, diese Faszination auch für andere erlebbar zu machen. Für mich ist die große Chance, die in der Literatur liegt, Türen in andere Leben aufzustoßen. Andere Selbstverständlichkeiten zu erfahren, anderes Vertrauen, anderen Stolz, andere Gemeinheit, alles eben. Literatur kann die Breite menschlicher Erfahrung vermitteln, weil die Sprache eines Textes beim Lesen zur eigenen werden kann.
Was hast Du mit Ingeborg Bachmann gemeinsam?
Vielleicht, über die Lyrik ins Erzählen hinübergefunden zu haben.
Bitte assoziiere zu den Stichworten:
Gegenwart fundamental
Literatur kollateral
Leben gibtsnureinmal
Klagenfurt Sonnenstrahl
Preis optional
Vielen Dank für das Interview! Viel Freude und Erfolg in Klagenfurt!
Sehr gern und auch meinerseits vielen Dank!

Zur Person: Thomas Bissinger, D
Geboren 1989 in Leonberg (Baden Württemberg, Deutschland), lebt in Konstanz. Liest auf Einladung von Mara Delius.
Thomas Bissinger ist promovierter Physiker und lebt in Konstanz, wo er ein wenig Lyrik unterrichtet. Für sein Romanprojekt „Ehrenfest“ erhielt er den Retzhof-Preis für junge Literatur und war Stipendiat der Bayerischen Akademie des Schreibens und des lcb. Das Buch wird 2026 bei dtv erscheinen.
Veröffentlichungen (Auswahl)
Prosaauszüge in Anthologien, u.a.: Spr.i.t.Z., 2024
Anthologie zum Literaturpreis des Bezirks Schwaben, 2023
Anthologie zum Förderpreis der Gruppe 48, 2021
Erkundungen der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz, 2019
https://bachmannpreis.orf.at/stories/3304911/

Veranstalter und Sponsoren (v. l. n. r.): Reinhard Draxler (KELAG-Vorstand), Brigitte Winkler-Komar (Land Kärnten, Leiterin Kunst und Kultur), Nadja Kayali (Intendantin Carinthischer Sommer), Horst L. Ebner (Koordinator Tage der deutschsprachigen Literatur), Christian Scheider (Bürgermeister von Klagenfurt), Karin Bernhard (ORF-Landesdirektorin), Franz Petritz (Stadtrat von Klagenfurt/Kulturreferent), Ursula Schirlbauer (ORF/3sat), Julian Geyer (Gemeinderat der Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee), Michaela Werblitsch (BKS Bank, Leiterin Communication & ESG) und Klaus Wachschütz (Technischer Leiter ORF Kärnten & Regisseur Ingeborg-Bachmann-Preis)

Autorinnen und Autoren 2025
14 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, der Schweiz und Österreich lesen um den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis.
Thomas Bissinger, D
Natascha Gangl, A
Max Höfler, A
Nefeli Kavouras, D
Fatima Khan, D
Laura Laabs, D
Kay Matter, CH
Tara Meister, A
Nora Osagiobare, CH
Josefine Rieks, D/A
Almut Tina Schmidt, D/A
Boris Schumatsky, D
Verena Stauffer, A
Sophie Sumburane, D




Die Jury
Vorsitzender Klaus Kastberger, Graz (A)
Mara Delius, Berlin (D)
Laura de Weck
Mithu Sanyal (D)
Brigitte Schwens-Harrant, Wien (A)
Thomas Strässle (CH)
Philipp Tingler, Zürich (CH)


Am 29. Juni wird in Klagenfurt am Wörthersee der 49. Ingeborg-Bachmann-Preis vergeben. Die Tage der deutschsprachigen Literatur 2025 finden vom 25. bis 29. Juni im ORF-Theater des Landesstudios Kärnten statt.

Weitere Informationen zum Bachmannpreis 2025: https://bachmannpreis.orf.at/stories/3305089/
Fotos: Portrait_ Thomas Bissinger _ Torben Nuding; Pressekonferenz _ Johannes Puch; alle weiteren Fotos_Walter Pobaschnig

Walter Pobaschnig 10.6.2025