Station bei Malina _“Chaos, das Wiederaufflammen von Vergangenheit“ Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_ Wien 22.5.2025

Station bei Malina _
Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_ Wien _
Bei Ivan _ das Tor mit den Löwen _
„Es heißt Ivan. Und immer wieder Ivan. Gegen die Verderbnis und das Reguläre, gegen das Leben und gegen den Tod, gegen den zufälligen Verlauf…“
Malina, Ingeborg Bachmann.
Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_ Wien _
am Romanschauplatz „Malina“ Wien_
Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom) Foto_Ingeborg Bachmann Rom, 1962: Heinz Bachmann
„Malina“ _ Roman, Ingeborg Bachmanns, 1971
Station bei Malina _
Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_ Wien _

Liebe Sophia, wir sind hier an literarischen Bezugsorten des Romans „Malina“ (1971) von Ingeborg Bachmann in Wien. Du lebst in Wien, ist Dir das „Ungargassenland“ Bachmanns vertraut?

Ich war in der Nähe des Ungargassenlandes in der Schule, habe es aber zuerst in der Imagination, über den Roman betreten. Fiktion, die zu Realität leitet, die dann wieder auf Fiktion trifft, dieser Zwischenzustand, wunderbar.

in der Ungargasse
„Mein Königreich, mein Ungargassenland, das ich gehalten habe, mit meinen sterblichen Händen“ Malina, Gedenktafel _ Ungargasse 6

Ist Wien auch in Deinem Schreiben zentral?

Thematisch nicht unbedingt. Aber ich brauche für den Schreibzustand ein Verschmelzen mit einem Ort. Das stellt sich erst nach einiger Zeit ein, wenn Zeit sanft zu rieseln beginnt, gerade ist es zufällig Wien. Aber ich kann diese Verbindung mit sehr vielen Orten herstellen, vielleicht sogar leichter als hier, wo das Freimachen von Zeit auch zum Kampf werden kann.

Welche Zugänge gibt es von Dir zu Ingeborg Bachmann und dem Roman Malina?

Das Schreiben ist so fragil, es kann von ganz subtil wirkenden Machtverhältnissen unterdrückt werden. „Es war Mord“, am Schreiben, an einer schreibenden Frau, die in ihrer Liebe unsichtbar ihre Flügel gestützt bekommt.

Welche Eindrücke hast Du von den Schauplätzen in der Ungargasse, die wir besucht haben?

Wandelnde Säulenhalle, beschützt von der Göttin der Jugend, die schräg gegenüber auf die Hahnmarionette schaut: der wunderschöne Eingangsbereich scheint Zeit im Vorübergehen abzustellen,  und der Holzhahn aus dem Teppichgeschäft wirkt mit seinen Fäden schon in mein schreibendes Unterbewusstsein ein.

Wie siehst Du das literarische Konzept des dreistufigen Aufbaus des Romans?

Passt gut zu seiner Theatralik, wobei beim Begriff „Konzept“ ehrlich gesagt mein Kopf immer den Pausenknopf drückt. Mir persönlich macht dieser Begriff auf das Schreiben bezogen Angst, ich weiß nicht, wie Bachmann antworten würden. Ich würde lieber von Organik sprechen, einem Aufbau von innen, aus dem Schreibfluss hinaus, also keiner Jacke, in die sich der Text kleidet. Und dann hat die Fallhöhe in Malina über die drei Teile freien Lauf.

Welches Frauen-, Männer-, Gesellschafts-, Geschichtsbild spricht Ingeborg Bachmann in Malina an und wie aktuell ist dies heute?

Ich denke, das, was ich oben gesagt habe, diese subtilen Machtverhältnisse, die ein innerliches Absterben einleiten, die Frau in ihren intellektuellen Fähigkeiten hemmen. Wie untergründig das abläuft, wie nicht greifbar. Und trotzdem ist es Mord, erst recht.

Welchen Einfluss hatte und hat der Roman auf Literatur und Gesellschaft?

Welchen Einfluss er auf die Gesellschaft hatte, das traue ich mich nicht zu beurteilen. Aber bestimmt hat er Schreib-, Sprachrichtungen umgedreht, verdreht, nicht vorgegeben, linear denken und arbeiten zu können, auch wenn der Roman scheinbar nach geordnetem Struktur, Aufbau, äußerlich, sucht, darin gedeiht emotionales Chaos. Das Flammen, Wiederaufflammen von Vergangenheit unterbindet das beispielsweise.

Hättest Du mit Ingeborg Bachmann gerne einen Tag in Wien verbracht und wenn ja, wie würde dieser aussehen?

Ich wäre schon sehr nervös, ob wir einen Zugang zueinander finden. Aber ich schlage ein Treffen im Stadtpark vor, einen Besuch in der Sternwarte oder im Burgkino, in dessen Haus sie auch einmal gewohnt hat.

Du bist wie Ingeborg Bachmann als Schriftstellerin nach Wien gezogen. Was bedeutet Dir Wien und welche Erfahrungen hast Du hier als Künstlerin gemacht?

Ich bin in Wien aufgewachsen und nach Studienjahren in Frankreich und Italien wieder hergezogen. Wien ist meine Sprachheimat, über die Stadt habe ich Zweige zu Vergangenheit aufgegriffen, die mich letztlich zur Gegend meines ersten Roman geleitet haben. Wäre ich nicht retour nach Wien gekommen, hätte es wohl ein ganz anderes Debüt gegeben. Und manche literarischen Ideen sind natürlich ganz eng an Personen hier geknüpft.

Was sind Deine derzeitigen Projektpläne?

Es schwebt und flottiert, die Farben arbeiten, der Ton wird gesucht, der Eingang wartet schon, teils drängend. Es wird ein Roman, der voraussichtlich im Frühjahr 2027 bei Otto Müller geboren wird.
Und gerade setze ich mich an ein Projekt zwischen Sprachen, in Zusammenarbeit mit der französischen Literaturzeitschrift L’Intranquille. Der Titel meines Beitrags soll „Trouer une langue“, also „Eine Sprache durchlöchern“ lauten. Freue mich sehr auf diese Arbeit.

Darf ich Dich abschließend zu einem Malina Akrostichon bitten?

Macht

Apokalypse

Liegt

Innerlich

Na dann

A T M E

Station bei Malina _
Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_ Wien _

Station bei Malina_Wien

im Interview und Fotoportrait am Romanschauplatz_

Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_Wien

in der Ungargasse

„Malina“ _ Roman, Ingeborg Bachmanns, 1971

Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin *25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom

Sophia Lunra Schnack und Walter Pobaschnig _
Romanschauplatz „Malina“ Wien 5/25

Zur Person_Sophia Lunra Schnack, geboren 1990, lebt und schreibt überwiegend in Wien. Veröffentlichte bislang Lyrik und (lyrische) Prosa u. a. in den „Manuskripten“, in der „Poesiegalerie“, in „Das Gedicht“ oder in den „Signaturen“. Die Autorin schreibt auf Deutsch und Französisch. Immer wieder sucht sie eine klanglichatmosphärische Annäherung zwischen den beiden Sprachen.

2022 erhielt sie den rotahorn-Literaturförderpreis. Seit 2023 leitet sie einen Lyrikblog für „Das Gedicht“ (Hg. Anton Leitner)

https://www.sophialunraschnack.com/

Aktuelle Bucherscheinungen von Sophia Lunra Schnack:

Sophia Lunra Schnack, Wiener Schriftstellerin, legt mit „feuchtes holz“ ein fulminantes Romandebüt vor, das im vielschichtigen Themenbogen und der virtuosen literarischen Form begeistert.

In mitreißender Erzählkraft werden Leserin und Leser auf eine Reise zu Orten der Kindheit mitgenommen, in denen sich ein poetischer wie kritischer Dialog zu Ort und Existenz, Familie und Geheimnis, Geschichte und Verdrängung zwischen Vergangenheit und Gegenwart öffnet. Dabei gelingt gleichsam ein Gespräch zwischen Schriftstellerin und Leserin/Leser, das Impulse, Inspiration, persönliche Erfahrung aufnimmt und reflektiert wie viel Raum gibt, der Wort, Herz und Sinn still ruhen lässt am persönlichen Weg durch Raum und Zeit.

Ein mutiges wie gelungenes Romanexperiment als dialogischer „Leseweg“, der sich im und je nach persönlichem Tempo als rundum großer Gewinn erweist – in Freude an der einmaligen Sprachvirtuosität wie den so tiefsinnigen, leichten wie schweren, Gedankenwegen, die einladen mitzugehen zum Spannungsbogen von Erinnerung, Weg und Sinn – auf der „long and winding road“ zu sich selbst.

„Ein Romandebüt, das in einmaliger literarischer Virtuosität und unendlicher Zärtlichkeit Herz und Sinn verbindet!“ Literatur outdoors

„feuchtes holz“ Sophia Lunra Schnack. Roman. Otto Müller Verlag   

Veröffentlichung: 08/2023

ISBN: 978-3-7013-1308-2

320 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag

Preis: € 26

E-Book: € 21,99

https://literaturoutdoors.com/2023/08/23/feuchtes-holz-sophia-lunra-schnack-roman-otto-muller-verlag/

Nach dem sensationellen Debütroman „feuchtes holz“ (2023, Otto Müller Verlag) legt die Wiener Schriftstellerin Sophia Lunra Schnack einen Erzählband vor, der schon in den ersten Zeilen in der einzigartigen sprachlichen Oszillation zwischen Raum, Sinn und Wort begeistert und Leserin und Leser gleichsam zu einem Spaziergang in Aufmerksamkeit, Erfahrung und der Notwendigkeit des Ausdrucks mitnimmt und von Station zu Station in Herzgänsehaut überrascht und bis zur letzten Seite nicht loslässt.

„Vielleicht nicht überall Sprache haben

aber ins Schiff steigen können

zu ihr fahren…“

(„Worte wie Mandelblüte“, f.)

Die Sprache wird in den elf Erzählungen mit einer Leichtigkeit zu einem fliegenden Teppich, von dem auf Erinnerung, Ereignisse und Ausblicke auf Familie, Geschichte und den persönlichen Lebens- und Schreibprozess geblickt wird. Bei Sonne, Sturm und Regen in allen Jahreszeiten von Welt und Zeit. Dabei wird das Wort zum Durchdringenden im Dickicht der Vergangenheit wie des persönlichen Tages in allen Glücksmomenten, Eindrücken, Gedanken wie Herausforderungen, welche Sprache benennt, beschreibt und damit zu fassen sucht.  

„Jede Person eine Sprachperson

heißt, die Worte nimmt

Worte bringt…“

Der Band öffnet ebenso grundlegende Paradigma des Schreibens von Sophia Lunra Schnack und lässt an der Intensität und des Geheimnisses von Wahrnehmung im Leben einer Schriftstellerin teilhaben und gleichsam mit ihr und vom Schreibtisch in den Worthimmel zu Begegnung, Erfahrung, Schmerz, Abschied und Aufbruch blicken.

Es ist ein Erzählband, der einmal mehr das Ausnahmetalent der Schriftstellerin im selbstbewussten Weg Sprache an-, und auszupacken und dabei immer neue Wege zu suchen, über gängige Zuordnungen von Prosa, Lyrik, Tagebuch hinweg, hervorstreicht. Jeder Satz berührt tief und trifft mitten in den Horizont  des Jetzt unseres Lebens zwischen Woher und Wohin.

„Irgendwann zu viel an Vergangenheit buchstabieren, dagegen wieder Klavierspielen als eine Art, weich zu bleiben

Sprache mitnehmen

ablegen“

Sophia Lunra Schnack zeigt, welch große Kraft im Schreiben liegt, um die Fähigkeit und Möglichkeit des Menscheins in Zärtlichkeit wie Schwere von Erinnerung und Zukunft zu entfalten und zu leben. Von Wort zu Wort. Tag für Tag.

„Spiel, spiele weiter

bilde deine Tage

Diese reinen Atemklänge

als Wege…“

„feuchtes holz“Sophia Lunra SchnackRoman. Otto Müller Verlag.

Veröffentlichung: 08/2023
ISBN: 978-3-7013-1308-2
260 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Preis: € 25
E-Book: € 20,99

https://literaturoutdoors.com/2024/09/24/worte-wie-mandelblute-erzahlungen-sophia-lunra-schnack-otto-muller-verlag/

Interview und alle Fotos_Romanschauplatz _ Ingeborg Bachmann_Wien: Walter Pobaschnig

Walter Pobaschnig, 5_25

https://literaturoutdoors.com

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