Liebe Annabel Herkströter, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Dreimal am Tag bin ich mit meinem Hund Senta unterwegs. Wir machen lange Spaziergänge in der Natur oder gehen joggen. Den Vormittag widme ich meistens dem Schreiben oder Zeichnen. Am Nachmittag folgt eine weitere Zeit des Schreibens bzw. Zeichnens. Komme ich einmal nicht weiter, was natürlich auch immer wieder vorkommt, verfolge ich meine anderen Interessen, wie zum Beispiel das Musizieren, Lesen oder Handarbeiten. So gewinne ich wieder etwas Abstand.
Ein guter Tagesabschluss ist für mich ein Abend auf dem Sofa mit einem mitreißenden Film oder einem interessanten Buch.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Meiner Meinung nach, brauchen wir momentan mehr denn je etwas, das uns im Leben Halt gibt. Die heutige Zeit ist von schneller Veränderung in jeder Hinsicht geprägt, aber vielleicht besonders in der Arbeitswelt. Wenn wir angesichts dessen etwas haben, was beständig ist und worin wir aufgehen, dann besitzen wir schon sehr viel. Es kann sich dabei um Zeit mit Familie und Freunden handeln, oder auch um kreative Tätigkeiten, denen wir uns regelmäßig widmen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ich finde, dass Kunst und Literatur immer und in jeder Situation sehr wichtig für eine Gesellschaft sind. Natürlich kommt der Kreativbranche in herausfordernden und von Veränderung geprägten Zeiten eine besondere Bedeutung zu, da ihr Bestehen dann möglicherweise weniger selbstverständlich ist. Leider sind politische Entscheidungsträger schnell darin, Gelder für die Kreativbranche zu kürzen, da Kunst ja scheinbar nicht lebensnotwendig ist. Ich glaube, dass da ein großer Irrtum vorliegt. Eine erstickte Kunst bzw. stark eingeschränkte Ausdrucksmöglichkeiten für Kunst machen eine Gesellschaft ärmer, als materielle Armut es jemals imstande wäre, da Kunst auch sehr viel mit freier Meinungsäußerung zu tun hat. Daher besteht meine Hoffnung darin, dass Kunst und Literatur gerade in der gegenwärtigen, unruhigen Zeit wieder „lauter“ werden.
Sicherlich werden wir in den nächsten Jahren einige Berufe an die KI verlieren. Auch hier sehe ich eine große Chance für menschliche Kreativität. Die KI ist – manchmal bestimmt auf subtile Weise – geprägt von den Ansichten der Mutterkonzerne und letztlich politischen Interessen. Wollen wir den Lauf der Dinge ein paar wenigen Mächtigen überlassen, die dann freie Bahn hätten, „eine Welt, wie sie mir gefällt“ zu schaffen und dementsprechende Kunst? Dürfte sich so etwas überhaupt Kunst nennen? Ich glaube nicht, dass die KI jemals auf eine Weise kreativ und auch kritisch sein kann, wie ein Mensch es ist. Und außerdem: Wer zieht ernsthaft einen von einem Chatbot geschriebenen Text einem Werk von einem Autor mit Bewusstsein, einem Menschen, vor?
Was liest Du derzeit?
Zurzeit lese ich „The Call of the Wild“ von Jack London.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Ich habe gleich zwei Zitate, die mir für die gegenwärtige Zeit bedeutsam erscheinen. Das erste ist ein Aphorismus von Martin Seel: „Die messbare Seite der Welt ist nicht die Welt; sie ist die messbare Seite der Welt.“
Das zweite Zitat ist Virginia Woolfs Essay „A Room of One’s Own“ entnommen: „So long as you write what you wish to write, that is all that matters; and whether it matters for ages or only for hours, nobody can say.“

Vielen Dank für das Interview, liebe Annabel, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen: Annabel Herkströter, Schriftstellerin
Zur Person: Annabel Herkströter wurde 1995 in Südtirol geboren. Nach der Matura studierte sie Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Innsbruck. Sie war u.a. in Bibliotheken sowie in einem Bergführerbüro tätig. Seit ihrer Kindheit widmet sie sich mit großer Hingabe dem Schreiben von Geschichten. Beiträge von ihr erschienen im „Komplex Kulturmagazin“ (Innsbruck), in der St. Pöltener Literaturzeitschrift „etcetera“ sowie in der Schweizer Online-Zeitung „DMZ“.
Im Herbst 2024 erschien ihr Kurzgeschichtenband Tragisch bis heiter bei BoD.
Aktuelles Buch von Annabel Herkströter:
„Tragisch bis heiter “ Erzählungen, Annabel Herkströter

„Eine junge Frau, die per Knopfdruck die Wahrheit zu sehen bekommt. Ein Hund, der sein Herrchen einfach nicht aufgeben will. Ein Selfie als Damoklesschwert über dem Familienglück. Davon und von vielem mehr erzählen die in diesem Band versammelten Kurzgeschichten. Mal sind sie tragisch, mal heiter, manchmal beides und oft etwas dazwischen.“ (Pressetext Verlag)
Paperback, 142 Seiten
Verlag: BoD – Books on Demand
Erscheinungsdatum: 25.11.2024
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 9783769300314
9,30 €
https://buchshop.bod.de/tragisch-bis-heiter-annabel-herkstroeter-9783769300314
Fotos: privat
Walter Pobaschnig 18/5/25