„Das ist, was wir singen, und alles andere singen wir nicht“ Florian Drexler, Regisseur _ Wien 16.5.2025

Lieber Florian Drexler, wie sieht jetzt dein Tagesablauf aus?

Ich stehe auf und mache mir mal einen Kaffee. Das ist jeden Tag so. Dann versuche ich jeden Morgen zu meditieren. Der Rest des Tagesablaufs ist immer verschieden und hängt davon ab, welche Projekte gerade anstehen. Doch am Vormittag ist immer die Zeit, in der ich entweder schreibe, Inszenierungen plane oder übe. Dann gehe ich dreimal die Woche zu Mittag ins Gym, und danach sind entweder Proben, Meetings oder Bürozeit angesagt. Außer mittwochs – da unterrichte ich Schauspiel.

Momentan entwickle ich gerade ein Stück mit Kindern, das auf Orwells „Animal Farm“ basiert und bald im WUK gezeigt wird. Wenn das abgeschlossen ist, werde ich mich wieder mehr der Musik zuwenden und im Juni mit meiner neuen Band „Operation Silberfisch“ ein Album aufnehmen.

Ich mag es, dass mein Beruf so vielfältig ist und ich mit so vielen verschiedenen Menschen zusammenarbeite. Ich finde es außerdem schön mich mit dem Menschsein an sich auseinanderzusetzen.

Florian Drexler, lebt und arbeitet als freier Schauspieler, Regisseur, Theaterpädagoge und Musiker in Wien.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich komme in den letzten zehn Jahren immer wieder zu demselben Punkt: mehr Spürbewusstsein entwickeln. Das heißt, mehr bei unseren Empfindungen und Gefühlen zu verweilen und zu versuchen, nicht aus den erstbesten Impulsen heraus zu handeln, die oft nur blinde Reaktionsmuster auf Empfindungen sind, die wir nicht spüren wollen – wie z. B. Angst und Scham. Und damit auch Verantwortung zu übernehmen – vorerst mal für sich selbst und seine eigenen ungeliebten Anteile.

Und genau da, finde ich, trifft unser aller individuelles Schicksal, unsere ganz persönliche Erfahrung „des In-der-Welt-Seins“ den politischen Raum des Handelns.

Verantwortung für andere kann nur der übernehmen, der für sich selbst Verantwortung übernimmt und sich nicht selbst vor seiner individuellen Erfahrung verschließt, auch wenn diese beängstigend und schmerzhaft ist. Gesunde Beziehungen zu unserer Umwelt beginnen mit der Verantwortung gegenüber uns selbst.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle – gesellschaftlich und persönlich – stehen. Was wird dabei wesentlich sein, und welche Rolle kommt dabei der Musik, der Kunst an sich zu?

Ich denke, im digitalen Zeitalter, in dem wir alle sehr viel Zeit mit unseren Endgeräten verbringen, ist es wichtig, Räume zu denken und zu schaffen, in denen Menschen tatsächlich miteinander in Kontakt kommen. Räume, in denen wir uns mit unserer vielfältigen Menschlichkeit auseinandersetzen und auch anfreunden können. Räume, die Impulse geben, ungekannte Assoziationen ermöglichen und in denen neue Denkmuster aufgezeigt, aber auch erfahren und erprobt werden können. Diese Räume kann die Kunst schaffen.

Was liest du derzeit?

Ich lese gerade zwei Bücher, die in ihrer Kombination auch ganz gut das beschreiben, womit ich mich zurzeit inhaltlich beschäftige. Einerseits „Die Wunde der Ungeliebten“ von Peter Schellenbaum und andererseits „Survival of the Richest“ von Douglas Rushkoff.

Schellenbaum war ein Psychoanalytiker, und sein Buch handelt von den „Unliebspielen“, die viele von uns miteinander spielen – Spiele, in denen es nicht um Liebe und Wertschätzung, sondern um Macht, Kontrolle und Vermeidung geht. Schellenbaum zeigt auch Möglichkeiten auf, aus diesen „Unliebspielen“ auszubrechen – durch Bewusstmachung und oft schmerzhafte Annahme der eigenen, von uns selbst ungeliebten Anteile, die wir oft nicht sehen wollen.

Rushkoffs Buch hingegen beschreibt die Geisteshaltung der Tech-Milliardäre, ihren politischen Machtwillen und dessen Folgen für unseren Planeten. Er beschreibt die Visionen von Exit-Strategien der Milliardäre bei einem zukünftigen ökonomischen oder ökologischen Kollaps. Egal ob große Bunkeranlagen, Marskolonien oder Uploads „der Seele“ in eine Cloud: Das Menschenbild ist ein feindliches. Viele dieser Tech-Milliardäre wirken von sich und ihrer Umwelt entfremdet, spüren m. E. ihre Ängste und ihre Hilflosigkeit – die uns als Menschen verbinden – nicht.

Sie dehnen ihr Kontroll- und Machtstreben ins Unermessliche aus, um nicht mit ihrer „Menschlichkeit“ in Berührung zu kommen – einer Menschlichkeit, die nicht in eine Cloud upgeloadet werden kann.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest du uns mitgeben?

 „Die Stadt geht unter, doch wir bauen drauf. Die Bilder sagen viel, aber eigentlich sagen sie nur: Schau und kauf. Jede Rebellion wird sich einverleibt. Die Antithese sorgt dafür, dass es so ist und auch so bleibt. Das ist die Revolution, die einfach keine ist. Das ist unser Lied, das nur für sich spricht. Das ist, was wir singen, und alles andere singen wir nicht. Das ist der Ausweg, den es so nicht gibt.“ aus dem Lied „Wegwischgesellschaft“ von Operation Silberfisch

Vielen Dank für das Interview, lieber Florian, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theater-, Kunstprojekte und persönlich alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen: Florian Drexler, freier Schauspieler, Regisseur, Theaterpädagoge, Musiker.

Zur Person: Florian Drexler, Jazz Saxophon Studium am Konservatorium der Stadt Wien, diverse Bands. Kurzes Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien; danach an die Schauspielakademie Elfriede Ott. Nebenbei Rollen in Kino, Fernsehen und Theater. 2011 Gründung und Head des Künstlerkollektivs „playground“. Engagements als freier Schauspieler und Regisseur bei WUK Wien, 3Raum-Anatomie-Theater Wien, Palais Kabelwerk Wien, Ragnarhof Wien, F23 Wien, OFF Theater Wien, Stadttheater Wiener Neustadt, Stuedltenn Zillertal, Viertelfestival NÖ, Hin und Weg Theaterfestival, Sommerfestspiele Maria Enzersdrof, t’eig Graz, dramagraz, Literaturhaus Graz, TIK Berlin, u.a. 2019 Regie und Libretto der Oper aKTION nILPFERD im Stadtsaal Hollabrunn und im Festspielhaus St.Pölten.

2024 Regie der Oper „Hamed und Sherifa“ am Musiktheater an der Wien. Theateraufführungen für junges Publikum an etlichen Kindergärten und Volksschulen in Wien und NÖ. Theaterpädagogische Arbeiten bei BRG Linz Hamerlingstraße, Projektschule Graz, MS Hollabrunn, MOKIWE Brunn am Gebirge, International Highschool Herzogberg, SFU Wien, VinciRast, PlayTogetherNow, u.a. Psychotherapeutisches Propädeutikum am ÖAGG in Wien.

Florian Drexler, lebt und arbeitet als freier Schauspieler, Regisseur, Theaterpädagoge und Musiker in Wien.

www.floriandrexler.com

Foto: Lorenz Zenleser

Walter Pobaschnig 5/25

https://literaturoutdoors.com

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