Erinnerung an Barbara Frischmuth _ „mit fester Stimme und einer unendlichen Lust und Freude an ihrem Tun“ Peter Clar, Schriftsteller _ Wien 3.4.2025

Erinnerung anBarbara Frischmuth, Schriftstellerin  *5.7.1941 Altaussee   +30.3.2025 Altaussee

Interview _ Peter Clar, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler

Lieber Peter, welche Erinnerungen hast Du an Barbara Frischmuth als Kollegin? Gab es persönliche Begegnungen und wie hast Du diese erlebt?

Ich habe nicht nur eine Erinnerung an Barbara, als Kollegin, als Beforschte, als Freundin. Ich kannte sie seit 2016, als ich anlässlich ihres 75. Geburtstags in Danzig, Polen, ein Symposium zu ihr organisiert habe. Barbara ließ es sich nicht nehmen, bei allen Vorträgen und Diskussionen dabei zu sein, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, alles besser zu wissen… und ich erinnere mich, wie sie, topfit, uns bei einem Strandspaziergangfast ‚davongelaufen‘ ist. Seitdem (seit dem Symposium nicht seit dem Davonlaufen) waren wir miteinander befreundet. Sie war bei der zweiten Auflage der von mir (mit-) organisierten und -kuratierten zweiten Literaturmeile Zieglergasse, dem, behaupte ich einmal, größten eintägigen Open-Air-Literaturfest des deutschsprachigen Raums, der ‚Hauptact‘. Und ich durfte u. a. zu ihrem 80. Geburtstag in Altaussee die Laudatio halten, mit Anna Babka gemeinsam zum gleichen Anlass eine in Wien, bin bei drei Sammelbänden zu ihr der Mitherausgeber. Mit Anna, zudem Carolin Guckler, Julia Lingl und Matthias Schmidt, forsche ich zudem seit einigen Jahren an ihrem Vorlass – der nun leider zum Nachlass wurde, nicht zuletzt analysieren wir alle ihre Texte, egal ob Lyrik oder Prosa, Hörspiel oder Essay, kurz oder lang. Wir waren oft beruflich bei ihr, Anna und ich auch privat. Eine besonders schöne Erinnerung ist der Juli letzten Jahres, als Barbara, schon krank, wenn wir auch nicht wussten wir schwer, Dirk (ihrem Mann), Anna und mir aus ihrem neuesten Buch „Die Schönheit der Tag- und Nachtfalter“ vorgelesen hat – fehlerfrei, mit fester Stimme und einer unendlichen Lust und Freude an ihrem Tun. Sie wolle, hat sie uns ein paar Monate später, schon deutlich gezeichnet, erzählt, noch ein Buch schreiben, werde deshalb den Kampf gegen den Krebs aufnehmen… So viel Energie war in ihr, so viel Literatur, so viele Gedanken – fast bis zum Schluss.

Was macht für Dich das Werk von Barbara Frischmuth aus und wie ist dieses in die österreichische Literaturgeschichte einzuordnen?

Anna Babka schreibt in ihrem wunderbaren Nachruf für das Franz-Nabl-Institut der Universität Graz, dass „Barbara Frischmuth […] den Traum von der selbstverständlichen Anwesenheit der Frauen in der Literatur nicht nur geträumt, sondern verwirklicht“ habe. Das geht weit über die österreichische Literaturgeschichte hinaus. Sie hat es geschafft, gegen alle Widerstände, der patriarchal geprägten Avantgarde wie einer sie lange Zeit völlig ignorierenden Academia ihren Weg zu gehen. Nach einem Erfolg wie „Die Klosterschule“, das Erfolgsmuster nicht zu wiederholen, sondern gegen jeden Widerstand ‚zurück zum Erzählen‘ (von dem sie nie weg war) zu gehen, eine eigene literarische Stimme zu entwickeln, erfordert höchste Bewunderung. Und es ist diese sehr eigene Stimme, die sie in die deutschsprachige Gegenwartsliteratur eingeschrieben hat. Ob man ihre Texte mag oder nicht (oder manche mag und manche nicht): Man erkennt einen Frischmuth-Text. Und diese Eigenständigkeit haben nicht viele Autor*innen. Bezieht man dann noch ihre Rolle, bei der Gründung des Forum Stadtparks, als Förderin junger Kolleg*innen etc., mit ein, dann muss man sagen, dass Barbara Frischmuths literarisches Schaffen auf eine Stufe zu stellen ist, mit den ganz Großen der österreichischen Literatur der zweiten Hälfte des 20. und dem ersten Viertel des 21. Jahrhunderts. Davon bin ich felsenfest überzeugt.

Gibt es ein Lieblingsbuch von Ihr und warum dieses?

Eines nicht. Mehrere vielleicht. Darf ich drei nennen?

„Die Frau im Mond“, eines ihrer experimentelleren Bücher, das von den Geschichten dreier sehr unterschiedlichen Frauen konturiert wird. Diese Vermischung von Fantasiewelt und Realität, die Frage nach der Wirklichkeit des eigenen Seins, der immer wieder versuchten (und immer wieder scheiternden) Vergewisserung seiner selbst, ist sprachlich so schön und handwerklich so gut gemacht (letzteres zeigt sich vor allem im völlig unvorhersehbaren Ende, daran, wie die unterschiedlichen Erzählstränge zusammengeführt werden), ist einfach ganz große Literatur.

„Macht Nix oder Der Lauf, den die Welt nahm“, nicht nur, aber auch, weil es eines der Lieblingsbücher Barbaras war oder, besser, eines jener Bücher, die Barbara als ihr unterschätztestes angesehen hat. Eine Dystopie (wieder so eine Mischung aus Traum und Wirklichkeit) die trotzdem auch etwas Positives hat, vielleicht ein Jugendbuch, aber ganz bestimmt auch für Erwachsene geeignet, voller absurd-komischen Sprachwitz – und doch bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

„Kai oder die Liebe zu den Modellen“. Teil drei der sogenannten ‚Sternwiesertrilogie‘. Wie Barbara vom Leben einer (fast) alleinerziehenden Schriftstellerin berichtet, von dem ständigen Kampf, sich „a room of one‘s own“, um Woolf zu bemühen, zu erkämpfen, um wenigstens in der Nacht ein paar Zeilen zu Papier bringen zu können, ist auch fast 50 Jahre nach seinem Erscheinen ein Lehrstück über die Schwierigkeit Mutter und (zugleich) Künstlerin zu sein.

Welche Inspiration hinterlässt Ihr Schreiben, Ihre Weltsicht, Ihr Künstlerinsein?

Dieser unbedingte Wille zur Literatur. Barbara hat 1966, mit 25 Jahren, ihr Dolmetschstudium aufgegeben, um als freie Schriftstellerin zu leben und hat dies auch nicht aufgegeben, als sie Mutter wurde. Und sie hat Ende der 50er, Anfang der 60er an, bis knapp vor ihrem Tod, also 65 Jahre lang (!) Literatur veröffentlicht. Ihre große Toleranz. Barbara wusste, was sie konnte, sie hatte ihre Meinungen und keine Scheu, diese zu artikulieren. Aber sie war immer und überall für das Gespräch. Ihre Lust am Lernen, auch hier: bis zum Schluss. Mit welcher Begeisterung sie und immer erzählt hat, wenn sie sich gerade in ein Thema eingearbeitet hat, war und ist und wird immer Inspiration bleiben.

Gibt es ein Zitat/eine Textstelle von Ihr, die Du uns noch mitgeben möchtest?

Bitte, auch hier zwei nennen zu dürfen:

„Du / dieses Wort / tanzte lange / auf meinen Augenlidern. / Alle Wimpern / hat es mir verbrannt.“

Und:

„Als junges Mädchen hatte sie nach ihrem Tod ein Baum werden wollen, so sehr glaubte sie an die Möglichkeiten der Metamorphose. Sie stellte sich vor, wir sie langsam hinüberwuchs in ein gänzlich anderes Dasein, und sie fragte sich, ob sie dann mit ihrer Rinde oder mir ihrem Wipfel sehen konnte oder ob sie ein völlig anderes Bild der Welt haben würde, durch Sinne vermittelt, die mit Sehen und Hören gar nichts zu tun hatten.“

Vielen Dank für das Interview!

Barbara Frischmuth, Schriftstellerin 
*5.7.1941 Altaussee   +30.3.2025 Altaussee

Barbara Frischmuth, Schriftstellerin

geboren 1941 in Altaussee, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und war seitdem freie Schriftstellerin. Die mehrfach ausgezeichnete Autorin lebte seit 1999 wieder in Altaussee. Zu ihren größten Erfolgen zählen die Romane „Die Klosterschule“ (1968), „Die Mystifikationen der Sophie Silber“ (1976) oder „Kai und die Liebe zu den Modellen“ (1979), aber auch ihre zahlreichen Gartenbücher. Zuletzt im Residenz Verlag erschienen: „Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen“ (2021)„Schaufel, Rechen, Gartenschere“ in der Reihe „Dinge des Lebens“ (2023) und „Die Schönheit der Tag- und Nachtfalter“ (2025).    Der Residenz Verlag trauert um Barbara Frischmuth  31.3.2025

Peter Clar, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler

Zur Person: Peter Clar, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler

https://www.peterclar.at/

Fotos_

Portrait Barbara Frischmuth: Franz Johann Morgenbesser

Foto_ Portrait Peter Clar: privat

Walter Pobaschnig 3.4.2025

https://literaturoutdoors.com

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