Liebe Alyona Pynzenyk, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus
Ich mag gut und viel frühstücken, wenn möglich mit verschiedenen Geschmäcken, Früchten und gutem Kaffee. Dann gibt es ein paar Variationen des Tages, die die Länge meines Frühstücks beeinflussen: Arbeitstag (mit dem Plan vom aktiven Proben, freiberufliche Büroarbeit, Unterrichten oder Reisen) und Freizeittag, wo ich versuche, nichts zu planen (es ist sehr schwierig) und den Tag so zu erleben, wie er von selbst geht und was er anbietet.
Ich liebe es, mit Menschen zusammen etwas zu schaffen. Das kann alles sein, von wahnsinnig komplexen Stücken zusammen zu üben und nach dem genauesten und schönsten Ergebnis zu suchen, oder ganz intuitiv miteinander zu improvisieren und sich auch im Prozess besser kennenzulernen. Auch das Unterrichten macht mir sehr viel Spaß. Meine Schüler (meistens Kinder 6-12) sind die kreativsten und lustigsten Menschen, die nicht nur das Geigenspiel von mir lernen, sondern auch als Bonus immer die schönsten und freeminded Geschichten mit mir teilen.
So, zwischen Menschenaustausch und Projektgestaltung vergeht mein Tag. Wenn ich es schaffe auch, Vogelsang am Tag zu genießen und ein paar Bäume anzuschauen oder ein paar Minuten in Stille mit meinem Freund zu sitzen, dann kann es jeden Tag, egal ob es ein Arbeitstag oder ein freier Tag ist, gut beeinflussen. Das einzige was noch fehlt ist ein eigener Garten und die Katze.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Um sich selbst achten, um anderen bewusst und respektvoll sein, miteinander reden, sich gegenseitig unterstützen, Komplexitäten des Lebens teilen und voneinander lernen. Sich gemeinsam um die Zukunft des Planeten kümmern, dabei durchatmen und sich erinnern, die kleinen Momente hier und jetzt genießen. Und schließlich manchmal wie Kinder spielen, ohne Sinn und Gewinn, aber mit Neugierde.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Musik, der Kunst an sich zu?
Ich glaube, wir waren schon immer an diesem Punkt, aber jetzt ist es kritisch geworden. Als ob wir als Menschheit jetzt eine Prüfung bestehen müssen. Die Themen sind z.B.: Verantwortung, Selbstvertrauen, Mitgefühl, Recycling von unnötigen Ängsten und Befreiung von blockierenden Emotionen, Vertrauen, Neugier, Spiel, alles was die Qualität des Lebens beeinflusst, jetzt oder später.
Musik und Kunst sind immer dabei, bei all diesen Themen kann man sie als Reflexions- und Ausdrucksmittel benutzen.
Musik ist wie eine Blume. Direkt macht sie manchmal keinen Sinn, aber durch das Beobachten (Hören) des Schönen findet sie ihren Weg und verbindet etwas im Gehirn des Schauenden.

Was liest Du derzeit?
Zur Zeit lese ich das Buch „Das Schreckliche, das Schöne und das Hässliche von Tschornobyl“ von Olena Pareniuk (Doktorin der Strahlenbiologie) und Kateryna Shavanova (Doktorin der biologischen Wissenschaften in Genetik).
Das Buch ist auf Ukrainisch erhältlich, aber ich hoffe, dass es übersetzt wird.
Es geht nicht nur darum, die Grundlagen der Strahlenwissenschaft zu entdecken und die Menschen kennenzulernen, die sich mit den Folgen der Katastrophe beschäftigen. Man beginnt zu verstehen, was in Tschornobyl passiert und wie die Zukunft der Strahlung und der nuklearen Sicherheit in der Welt aussehen könnte, wenn der Krieg in der Ukraine vorbei ist. Tschornobyl ist auch der einzige Ort auf der Welt, wo dasselbe Territorium und dieselben Menschen mit den Folgen der Tragödie, der Besetzung durch die russische Armee und dem Schutz der ganzen Welt vor radioaktiver Strahlung zu kämpfen haben.
Auf der anderen Seite fängt man irgendwann an sich zu bewundern, wie stark und potentiell die Kraft der Natur ist, um sogar die schrägsten Fehler der Menschheit ins Leben zu recyceln (es geht um neue Stämme von Bakterien und Pilzen, die die Strahlung verbrauchen).
Schließlich finde ich, dass die Katastrophe von Tschornobyl und wie die Menschheit damit umgeht (Verantwortlichkeit, Schutz, sich gegenseitig zu unterstützen und ein Land nicht mit der Verantwortung allein zu lassen) genau das widerspiegelt, was schön und gleichzeitig hässlich an unserer menschlichen Natur ist. Die Tragödie dient als Mikroskop der menschlichen Natur.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Mein Großvater war ein auf den ersten Blick ganz normaler Lehrer in einem kleinen Dorf. Aber er war auch einer der besten Menschen in meinem Leben, ein Vorbild an Freigeist mit eigener Lebensphilosophie, eigenen Ideen und Selbstvertrauen in diese, Neugier und Empathie.
Er erwähnte immer das Zitat des berühmten ukrainischen Philosophen Hryhorii Skovoroda (1722 – 1794). Es lautet: „Svit lovyv mene, ale ne spijmav“, „Die Welt hat versucht, mich zu fangen, aber es ist ihr nicht gelungen“. Wie ich es verstehe, bedeutet es: der eigenen Freiheit treu zu bleiben, sie zu pflegen und mit sich selbst ehrlich zu sein.

Vielen Dank für das Interview, liebe Alyona, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Musikprojekte und persönlich alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen: Alyona Pynzenyk, Geigerin
Zur Person/über mich: Alyona Pynzenyk ist eine in Wien lebende ukrainische Geigerin, die sich auf freie Improvisation, zeitgenössische Musik und Performance spezialisiert hat. Ihre künstlerische Überzeugung ist, dass die Zusammenarbeit und Interaktion zwischen Künstlern eine große Quelle der Inspiration, der Entdeckung, der Selbstreflexion, des gegenseitigen Wachstums und vor allem der Freude ist.
Sie ist als Solistin und Ensemblemitglied tätig und arbeitet regelmäßig mit renommierten nationalen und internationalen Ensembles für zeitgenössische Musik zusammen, wie z.B. Klangforum Wien, NeuRaum, Schallfeld, Kollektiv Ensemble Coincidence (Mitbegründerin).
In ihren eigenen Projekten, die meist auf frei improvisierter und zeitgenössischer Musik basieren, erforscht sie immer wieder neue Ansätze der Improvisation und Klangästhetik. Dazu gehören die einzigartige Gruppenprojektreihe Impro Gang, das Duo VV mit Stefan Voglsinger (Elektronik), das Duo mit Philipp Kienberger (Bass), das Trio Pynzenyk/Duit/Rosilio (Violine/Schlagzeug/Bass) und andere.
In den letzten Jahren spielte Alyona bei renommierten europäischen Festivals und Konzertreihen.
Dazu gehören die Salzburger Festspiele, das Festival Wien Modern, das Impuls Festival Graz, die Open music Reihe für zeitgenössische Musik in Graz, das STIO Festival für Neue und Improvisierte Musik, die Styriarte (AT) und das Mixtur Festival (ES).
Alyona ist dafür bekannt, dass sie in ihren Auftritten verschiedene Musikstile kombiniert, sei es klassische, zeitgenössische oder Theatermusik. Dieselbe Flexibilität wendet sie auch auf ihre Arbeitserfahrungen an, z.B. als Substitutin im Grazer Philharmonischen Orchester (AT) (bis 2023), als Assistentin in der Doktoratsschule für künstlerische Forschung (KUG, Graz AT) (bis 2022), als Lehrerin an der Musikschule Zentrum für Musikvermittlung in Wien (derzeit) oder als Performerin/Geigerin in der Volkstheaterproduktion „Villa Orlofsky“ (2025).
Ihre klassische Musikausbildung absolvierte sie in der Ukraine (Uzhgorod Zador Music College, Mykola, Lysenko Lviv National Music Academy) und in Österreich (Universität für Musik und darstellende Kunst Graz), wo sie ein Bakkalaureat in klassischer Musik und einen Magister in Performance and Practice in Contemporary Music (PPCM) unter der Leitung des Ensembles Klangforum Wien erwarb.
https://www.alyonapynzenyk.com/
Fotos: Valerie Maltseva
Walter Pobaschnig 30.3.2025
https:literaturoutdoors.com