„Literatur nennt Bedrohungen beim Namen“ Catrin George Ponciano, Schriftstellerin _ Portugal 10.3.2025

Liebe Catrin George Ponciano, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Anders. Andersartig, anderszeitig, anders geordnet. Die global sich rasante verändernde politische Temperatur beschäftigt mich. Sie fasst mich an. Mein Alltag verschiebt sich. Durch das Tagesgeschehen weilen meine Gedanken länger fort vom Schreibtisch. Meine Produktivität ist zwar weiterhin stark, worüber ich sehr froh bin, aber auch sie verschiebt sich. Nachrichten habe ich sonst am Ende des Tages gelesen. Seit Jahresbeginn verhält es sich umgekehrt. Produktive Phasen fallen in die nachmittags und Abendstunden, weil mein Kopf vorher nicht friedlich genug reagieren kann. Erst nachdem ich der verspürten Fassungslosigkeit mit absurdem Beigeschmack freien Lauf gelassen habe, gelingt es mir, meinen inneren ethischen Kompass auf Schaffensprozesse zu justieren. Dann ist auch der Bauch wieder weich. Und ich greife symbolisch zum Stift.

Catrin George Ponciano, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Distanz. Das hört sich angesichts der Gesamtlage – in der Ukraine, in den Staaten, im Nahen Osten und an etlichen weiteren globalen Brennpunkten – sonderbar an. Distanz hilft, meines Erachtens klarzusehen, klarzudenken, und weder auf Propagandatricks noch auf Fakenews hereinzufallen, gar auf abstruse Täter-Opfer-Verdrehung zu reagieren oder sie zu polemisieren.

Denn denen die Stimme gerade durch Oppression aberkannt wird, helfen wir nicht mit emotional verbalen Eruptionen, sondern mit Klarsicht. Durch konsequent kommunizierte Bestärkung humanistischer Werte. Wir, Demokratie und Menschenrechtskonvention vertretend, sind Viele – und das schafft Stärke. Nutzen wir sie in Wort und Tat.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Während der Avantgarde vor etwa 100 Jahren rebellierten Literaten und Künstler gegen sich erhebende totalitäre System schon einmal und plädierten in Schriften und Farben für Frieden, Gleichstellung, Zusammenhalt und freiheitliche Selbstbestimmung. Es mag der Zeitpunkt für eine neue andersartig vorausdenkende Bewegung gekommen sein.

Denn jede Person und jede politische Gesinnung, die demokratische Muster versuchen zu demontieren, bedrohen die Menschenrechte. Die Literatur und die sie verfassen, nennen diese Bedrohung beim Namen. Kunst zeigt uns die Gefahr darstellend. Gemeinsam machen Künste emotional bewusst, was tatsächlich auf dem Spiel steht. Nämlich eine Veränderung der Weltenordnung einhergehend mit dem mögliche Totalverlust freiheitlich und ethischer Werte.

Nun sind wir dran. Wir. Schriftsteller. Poeten. Künstler. Musiker. Nehmen wir das Wort, den Ausdruck, die Melodie, als pazifistische Waffe in die Hand, verteidigen wir die Bastion der Freiheit – und die Zukunft unserer Kinder.

Was liest Du derzeit?

Politische Essays, Politphilosophische Thesen in diversen Sprachen, die mir diverse Perspektiven anbieten. Ja, und manchmal auch ein Buch. Um der eigenen Melancholie zu entfliehen. Meistens lese ich mehrere Bücher gleichzeitig. Hang Kang „Menschenwerk“, Francesca Melandri „Eva schläft“, Serhi Zhadan „Hymne der demokratischen Jugend“, Kant neu interpretiert. Manchmal verreise ich im Kopf in Gaughins Bretagne, oder ich folge Annie Ernaux’ Lebensspuren, lese Poesie querbeet und wünsche mir noch unzählbar viele solch winziger Momente aufgeschobene Endlichkeit.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Der Menschheitstraum von Freiheit ist unsterblich. Daran glaube ich ganz fest, denn wer ein Herz besitzt, kämpft für seine Träume – und dafür, dass andere träumen dürfen.

(Kein Zitat, sondern ein Textimpuls von mir)

Vielen Dank für das Interview, liebe Catrin, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur- und so vielfältigen Buchprojekte und persönlich alles Gute! 

 Ich danke Dir, lieber Walter.

Catrin George Ponciano, Schriftstellerin

5 Fragen an Künstler*innen: Catrin George Ponciano, Schriftstellerin

Zur Person/über mich: Catrin George Ponciano lebt seit 26 Jahren in Portugal und publiziert journalistische Beiträge, Reiseliteratur, polithistorische Kriminalromane und literarische Essays. Ab Mitte März ist ihr aktueller im AvivA Verlag publizierter Titel „Alles-bloß nicht vage!“ über die portugiesische Dichterin Florbela Espanca im Buchhandel erhältlich. Die Portugal-Kennerin organisiert regelmäßig Literatur-Touren und vermittelt ihr Wissen als Seminarleiterin auf Bildungs- und Lesereisen.

www.catringeorge.com

Aktueller Kriminalroman von Catrin George Ponciano:

„Liebe und Mord an Portugals Traumküste. Der Sommer im portugiesischen Küstenort Carrasqueira ist perfekt, bis eines Nachts ein Toter in der einsamen Korkeiche hängt – dreißig Jahre nachdem dort ein Fischer angeblich Selbstmord beging. Dessen Sohn glaubte jedoch nie an Suizid. Als ihm nun unterstellt wird, seinen Vater gerächt zu haben, bittet er seine Jugendfreundin Dora Monteiro um Hilfe. Die ehemalige Inspetora zögert nicht und stürzt sich in verdeckte Ermittlungen. Doch auf dem Dorf lastet eine alte Schuld, und Dora muss alles daransetzen, das Schweigen der Bewohner endlich zu brechen.“

Catrin Ponciano, Rache im Alentejo. Emons Verlag.
Broschur
13.5 x 20.5 cm
256 Seiten
ISBN 978-3-7408-1574-5
13,00 € [DE] 13,40 € [AT]

https://emons-verlag.de/p/rache-im-alentejo-6504

Fotos Portrait _ Marion Louca; Cover _ Verlag.

Walter Pobaschnig 7.3.2025

https:literaturoutdoors.com

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