„Schreiben ist Freiheit“ Mario Wurmitzer, Schriftsteller _ Romanneuerscheinung „Tiny House“ Aufbau Verlag _ Wien 13.2.2025

Mario Wurmitzer, Schriftsteller _ Wien

Interview _ Mario Wurmitzer     11.2.2025

Romanneuerscheinung „Tiny House“, Aufbau Verlag

Erscheinungsdatum 12.3.2025

https://literaturoutdoors.com

Mario Wurmitzer, Schriftsteller 
am Wohnort von Ingeborg Bachmann _

Wien, Beatrixgasse _ 6/2023 _ folgende

Lieber Mario, gratuliere zu Deiner kommenden Buchneuerscheinung „Tiny House“!

Du hast mit einem Textauszug davon bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur 2023 (Bachmannpreis) für Aufsehen gesorgt. Was hat Dich zu diesem Romanprojekt inspiriert und wie hast Du die Lesung und Erfahrung in Klagenfurt in Erinnerung?

Ich könnte sagen, ich hätte gelesen, dass ein österreichischer Politiker über die Moderation einer Satire-Fernsehsendung gesagt hat, sie sei „intellektuell und moralisch degeneriert“, und das hätte mir sehr zu denken gegeben. Dann hätte ich mir „Eat, pray, love“ angesehen und mir gedacht, was wäre, wenn man nicht eine wunderbare Schauspielerin wie Julia Roberts auf eine Selbstfindungsreise schickt, sondern einen neurotischen Österreicher? Aber wenn ich ehrlich bin, tue ich mir mit dem Konzept von Inspiration ein bisschen schwer. Natürlich fließt unweigerlich alles, was man hört, sieht, liest in die eigenen Texte ein. Eine konkrete Inspirationsquelle zu benennen, käme mir jedoch willkürlich vor. Allerdings will ich selbstverständlich Texte schreiben, über die gewisse Leute urteilen, dass sie „intellektuell und moralisch degeneriert“ sind.
Wobei: Die Diskussion über die angebliche Lücke im Lebenslauf eines ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers, die vor vielen, vielen Jahren geführt wurde, fand ich dann doch sehr inspirierend, denn das Interessanteste passiert ja immer in der Zeit, die als Lücke im Lebenslauf zurückbleibt. An diese angebliche Lücke im Lebenslauf des Ex-Kanzlers musste ich während des Schreibprozesses häufiger denken. 


In Klagenfurt fand ich vor allem die Begegnung mit vielen anderen literaturinteressierten Menschen schön.

Mario Wurmitzer _
Lesung _ Bachmannpreis 2023/Klagenfurt _ folgende _

Im Mittelpunkt Deines Romans steht Emil, der zunächst in einer Tiny House reality show seine Tage per Live-stream verbringt und nach einem Brand online und sozial real weiterzieht und sich mit existentiellen und politischen Heraus(Über)forderungen konfrontiert sieht. Ist Emil Prototyp des modernen städtischen „Nomaden“-Menschen im Sog und Strudel von sich laufend verändernden gesellschaftlichen Realitäten, die reale Wohn-Seßhaftigkeit wie seßhafte Identität nur mehr bruchstückhaft und fluktuativ zulassen?

Das zu beurteilen, ist schwierig für mich. Ich habe schon gesagt bekommen, Emil Rinderknecht litte an einer hochfunktionalen Depression. Dabei habe ich ihn eher als fröhlichen, gemütlichen Charakter erlebt. Mir wurde von Leuten, die den Roman bereits gelesen haben, gesagt, Emil sei eine Mischung aus Hermes Phettberg und dem braven Soldaten Schwejk. Das ist sicherlich zu viel des Lobs, der großartige Hermes Phettberg bleibt eine singuläre Lichtgestalt, wobei man von seinem Werk schon viel lernen kann. Ich muss zugeben, ich hab den Roman auch nicht so genau gelesen, kurz vor Abgabe hab ich dann ChatGPT den Rest erledigen lassen. Das Ende wird auch für mich noch eine echte Überraschung. Der Text ist immer klüger als der Autor, davon bin ich überzeugt. In diesem Fall gilt das in ganz besonderem Maße.

Was hält Emil im Lebenskarussell aufrecht, was gibt ihm Halt und Sinn?

Er liest gerne, interessiert sich für Literatur. Das finde ich immer toll, wenn ich Leute treffe, die sich für literarische Texte begeistern können. Ansonsten schläft er gerne lange. Alles in allem ist er absolut kein jähzorniger Mensch, das finde ich sympathisch.

Wie siehst Du die Zukunft von Gesellschaft und Literatur, Kunst in den sich verändernden politisch-gesellschaftlichen Konstellationen in Österreich wie europa- und weltweit?

Selbstherrliche, populistische Politiker sind weltweit gesehen in vielen Ländern auf dem Vormarsch und die mögen Kunst in aller Regel nicht. Sie haben auch Angst davor, lächerlich gemacht zu werden. Das sind ja Männer eines gewissen Typs mit einem beachtlichen Minderwertigkeitskomplex, die zur Therapie gehen sollten, aber das nicht tun und stattdessen den lieben, langen Tag ziemlich viele debile Ideen in die Tat umsetzen wollen. „Der große Diktator“ von Charlie Chaplin ist deshalb so gelungen, weil er bereits 1940 die tiefe Lächerlichkeit und Hilflosigkeit von Führerfiguren aufzeigt. Er ist ein Plädoyer für Frieden, Menschlichkeit und Demokratie. Obwohl Faschisten sehr lächerlich sind, was man auch unbedingt zeigen sollte, sind sie selbstverständlich trotzdem gefährlich. Armin Thurnher hat vor kurzem im Falter geschrieben: Österreich ist kein Naziland, wie Stefan Weber unvergessenerweise sang. Österreich ist ein Wurschtland, es legt permanent das glühende Bekenntnis ab, dass ihm alles wurscht ist.
Zweifellos ein korrekter Befund. Vielleicht wird eines Tages alles so wurscht sein, dass es auch schon wurscht ist, wenn man wirklich etwas verändert?

Was bedeutet Dir Literatur, Schreiben und wo und wie schreibt Mario Wurmitzer zwischen den persönlichen Anforderungen und Herausforderungen?

Literatur bedeutet mir sehr viel, sie hat meinen Blick auf die Welt entscheidend geprägt. Literatur fördert Empathie, kritisches Denkvermögen, Offenheit. Schreiben ist Freiheit. Eine sehr pathetische Antwort, sorry not sorry. Ich schreibe abends, wenn meine Tochter und mein Sohn schlafen. Wie lange das noch so gehen wird, weiß ich nicht. Ich bin ja auch nicht mehr so jung, ich würde gerne selbst mehr schlafen. Meine Tochter besucht zurzeit die 1. Volksschulklasse, sie kann schon ziemlich viele Buchstaben korrekt schreiben, bald schon wird sie besser schreiben können als ich. Die Zeit verfliegt so schnell, das Leben ein Traum.

Darf ich Dich abschließend bitten diesen Satz zu vervollständigen – 

„Ein Buch lesen ist…“

… in aller Regel deutlich besser als Tik-Tok-Videos anzuschauen.

Herzlichen Dank für das Interview, lieber Mario, viel Freude und Erfolg für Deinen Roman „Tiny House“!

Mario Wurmitzer, Schriftsteller _ Wien

Romanneuerscheinung von Mario Wurmitzer:

„Tiny House“ Mario Wurmitzer. Roman. Aufbau Verlag.

Veröffentlichung: 12.03.2025

Hardcover mit Schutzumschlag

Seiten 221

Sprache: Deutsch

ISBN 978-3-351-04231-8

22,00 €

https://www.aufbau-verlage.de/aufbau/tiny-house/978-3-351-04231-8
 

Interview & alle Fotos _ Walter Pobaschnig

Walter Pobaschnig  2/25

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