Station bei Milena _ „Ihr Mut und ihre Kraft, intensiv zu lieben“ Cordula Sommer _ Wien 20.1.2025

Station bei Milena Jesenska  und Franz Kafka _
Cordula Sommer und Bernard F._Wien_performing

Station bei Milena Jesenska  und Franz Kafka _
Cordula Sommer und Bernard F._Wien_performing

Milena Jesenská (10.August 1896 Prag + ermordet 17.Mai 1944 KZ Ravensbrück) _Journalistin, Schriftstellerin, Übersetzerin



Franz Kafka * 3.Juli 1883 Prag+ 3.Juni 1924 Kierling/Klosterneuburg (AUT) _ Schriftsteller

Fotos _ am Wohnort Milena Jesenskas in Wien.
Franz Kafka war im Sommer 1920 für 4 Tage zu Gast in Wien.

Station bei Milena Jesenska  und Franz Kafka _
Cordula Sommer und Bernard F._Wien_performing

Liebe Cordula Sommer, welche Zugänge gibt es von Dir zu Franz Kafka und Milena Jesenska?

Milena Jesenská war mir vor diesem Projekt kein Begriff. Franz Kafkas Werke kennt man natürlich und auch ich habe „Die Verwandlung“ und „Der Prozess“ in der Schule gelesen. Ich bin froh, durch Dein Projekt auf Milena aufmerksam geworden zu sein. Ohne den Bezug zu Kafka und seinen Briefen hätte ihr Leben weitaus weniger Beachtung in der Literatur gefunden, aber dies ist im Prinzip das Schicksal unzähliger Menschen, die in ihrem Leben Wichtiges vollbracht haben.

Milena wird beschrieben als: klug, gefühlsbetont und willensstark. Sie hatte ein starkes soziales Gewissen, konnte andere Menschen gut lesen – „denn in der Tiefe kann ein Mensch den anderen täuschen, aber an der Oberfläche erkennt man ihn“1. Sie war nicht bereit, sich selbst und andere zu verleugnen und hat vor allem gehandelt. In der Wahl ihrer Mittel hat sie sich weniger von Konventionen leiten lassen als von dem, was ihre analytische und emotionale Intelligenz ihr vorgab. Sie hat ihre Meinung stark vertreten, war aber auch bereit sie zu ändern; auch ihre politische Meinung. Man beschreibt sie als „in ihrer Liebe und Freundschaft immer vorbehaltlos und bis zur Selbstzerfleischung ehrlich“1.

Sie war „leicht entflammbar“1 und ich stelle mir Milena ebenso als launisch, egozentrisch und teilweise überfordernd vor, wie ein echter Mensch eben ist. Milena schrieb über die Menschen: „Nur papierene Menschen haben einen geradlinigen Charakter. Wirkliche Menschen widersprechen sich hundertmal am Tage, sie gleichen ihren Edelsinn durch Schlechtigkeiten aus und zahlen für ihre Niederträchtigkeiten mit inneren Schönheiten.“1

Was mich bei Milena stark anspricht, ist ihre Weigerung, Opfer zu sein. Sie erkennt, dass dies eine Geisteshaltung ist und sie ihre Würde selbst bestimmt. Es gab sicherlich Zeiten, in denen sie zusammengebrochen ist. Sie hatte Schmerzen, war eine Zeit lang morphiumabhängig und dann war natürlich die Zeit im KZ Ravensbrück und ihr schwerer Tod. Aber ich sehe es so, dass ihre lebensbejahende, kraftvolle und von Empathie und Gerechtigkeitssinn geprägte Natur letztendlich unumstößlich war und sie immer tun musste, was ihre Natur ihr vorgab.

Milena scheint mir sehr intelligent und auch überlegt gewesen zu sein. Sie war ganz klar eine Aktivistin, aber sie schreibt auch über die „Kunst, stehen zu bleiben“:

„Menschen, die von Angst besessen sind, die von Kummer und Panik befallen werden, von Unsicherheit oder Einsamkeit, setzen sich hastig in Bewegung und treten entweder die Flucht nach vorne an oder weichen zurück. Die einen vollführen Gewaltakte und die anderen feige Mätzchen. Die einen spielen sich als Märtyrer auf, obgleich sie niemand quält, und die anderen fliehen, obwohl sie niemand jagt. Es ist wohl das Wesen der Angst, dass sie niemandem erlaubt, stehen zu bleiben.“1

Für Milena gehörte politisches Engagement zum Leben eines und einer jeden. Sie erinnert uns daran, mit voller Kraft und Liebe wir selbst zu sein und für das einzustehen, wofür und wogegen wir brennen.

Wir sind hier am Lebensort Jesenskas, an dem auch Kafka zu Gast war. Welche Eindrücke hast Du vom Haus/Umfeld hier?

Ich versuche es vor allem mit den Augen einer so jungen Frau aus Prag zu betrachten. Wien und dieses Haus waren zunächst für Milena fremd und ihr Sprung in die große, weite, mondän erscheinende Welt. Ich erinnere mich noch, wie ich als Kind meinen Vater zum ersten Mal in Prag besuchte und an dieses initiale Gefühl von Staunen aber auch Fremde und Einsamkeit.

Für Milena war diese Wohnung in der Lerchenfelder Straße ein Ort voller Emotionen, von Erniedrigung bis hin zu großer Freude. Ich stelle mir vor, wie sie immer wieder ihre Kraft und ihren Mut zusammennimmt und die Stiegen zur Wohnung hinaufsteigt, um sich den Geschehnissen und Menschen darin zu stellen oder wie sie die Stiegen hinaufeilt, um dort etwas Ruhe und Raum für sich selbst zu finden oder wie sie mit Freude und auch etwas Triumpf behutsam endlich Franz Kafka alles zeigt.

Die Lerchenfelder Straße selbst war eine belebte Straße. Franz Kafka schreibt in einem seiner Briefe an Milena „Ich will Dich so fest sehn, wie zum ersten Man auf der Straße, aber die Briefe lenken mehr ab, als die ganze Lerchenfelderstraße mit ihrem Lärm.2

Im heutigen Wien erscheint sie im Vergleich zu anderen Straßen fast beschaulich, wenn sie auch immer noch eine stark frequentierte Straße ist. Die angrenzende Pfarre und der kleine Park sowie die Straßenbahn machen Milenas Adresse in meinen Augen pittoresk. Das alte Zinnshaus mit der geschwungenen Stiegenhaustreppe rundet dieses Bild ab. Die Wohnung war groß und ist mittlerweile in zwei Wohnungen aufgeteilt. Meine Großeltern mütterlicherseits wohnten sehr ähnlich in Wien und ich habe dadurch ein ganz bestimmtes Bild davon, wie Milena sich durch diese Wohnung bewegt hat.

Was lässt Liebe wachsen, was Liebe untergehen?

Ich finde, dies ist schwer zu beantworten, weil es mit der Liebe wie mit Träumen ist. Plötzlich findet man sich mitten im Geschehen, ohne zu wissen oder darüber nachzudenken, wie man da eigentlich hingekommen ist und woraus man, wenn, dann plötzlich wieder erwacht. Nüchtern darüber nachdenken tut man erst nach dem Erwachen und dann basiert die Antwort auf diese Frage immer auf einer Erinnerung, die nie ganz der Wirklichkeit entsprechen kann.  Ich habe mich auch oft gefragt, ob Liebe wirklich eine Größendimension hat und wenn ja, woran man die Größe einer Liebe misst oder auch nur einschätzt und vor allem wie unterschiedlich dies unterschiedliche Menschen vielleicht tun. Im Falle von Milena zum Beispiel, wenn man nur manche der Männer heranzieht, die in ihrem Leben eine zentrale aber durchaus sehr unterschiedliche Rolle gespielt haben, also Ernst Polak, Franz Kafka, Jaromir Krejcar und Willi Schlamm, könnte man sich die Frage stellen, wen Milena wie (sehr) geliebt hat. Aber kann man das überhaupt so betrachten? Hat Milena das je bemessen oder unterschieden?

Ihren Mut und ihre Kraft, intensiv zu lieben, lese ich in ihrem Brief an Willi Schlamm und sie hatte nur eine Bedingung, sie wollte für den andern genauso etwas Besonderes sein, wie derjenige für sie war.

„Ich liebe Dich wirklich sehr. Ich weiß nicht genau, wie, ich weiß nur, dass ich Dich sehr liebe. Aber die Voraussetzung zu dieser Liebe war die Gewißheit, daß Du mich nicht liebst. Und das weißt Du nicht. Hätte ich geglaubt, daß Du mich lieben könntest, wäre ich doch weggelaufen bis ans Ende der Welt. Wie Du das erklären willst, ist einerlei – aber es ist wahr: ich habe nur Deine Freundschaft gebraucht. Etwas mehr wäre viel weniger gewesen. Nur so war es mir möglich, ruhig zu Dir zu kommen, mich bei Dir unendlich glücklich zu fühlen. Gerade Deine Freundschaft war der sichere Boden, die merkwürdige, verzauberte Welt von einigen Stunden, die ich sicher mein ganzes Leben lang zu den schönsten rechnen werde. Gerade die Tatsache, daß Du mich nicht liebst, daß Du aber ein gutes Herz hast, daß Du mir gut bist und daß Du ein Gesicht hast, das ich so unsagbar liebe. Diese Freundschaft allerdings brauchte ich und wollte ich. Um die habe ich mich bemüht, und die wäre ein großes Geschenk gewesen. Dann habe ich aber gesehen, daß Du eine andere Freundschaft für mich übrig hast als die, welche mir so viel Glück gab: dieselben Worte, dieselbe Haltung, dieselbe Liebenswürdigkeit hast Du zu vielen Menschen, Willi.“…“Ich bin zwar sehr bescheiden, aber auch sehr stolz. Für eine besonders große Liebe müßte besonders große Freundschaft da sein, das wirst Du sicher verstehen –… .“In einem Rudel Deiner Freunde zu stehen, Willi, ist kein Glück.“2

Wie siehst Du den Briefwechsel und die Beziehung beider?

Wir kennen ja im Detail nur Kafkas Seite des Briefwechsels und lesen durch seine Antworten – also seine Interpretation von Milenas Worten – ihre Antworten heraus. Ich würde so gerne ihre tatsächlich geschriebenen Worte lesen. Aber wir können uns auch durch ihre Briefe an andere, wie zum Beispiel Willi Schlamm, vorstellen, wie direkt und ausführlich Milena geschrieben hat und wie sehr sie ihr Inneres nach außen gekehrt hat.

Ich persönlich sehe es so: Milena und Franz haben das Potential ihrer Liebe nicht gelebt, nicht erlebt. Zuerst weil Kafka sich, geprägt von seiner Unsicherheit und Angst, der Realität einer Beziehung mit Milena und der damit unweigerlich einhergehenden direkten Konfrontationen und ENTtäuschungen beiderseits, nicht aussetzen wollte.

„Es war mir nämlich immer ganz unverständlich, wenn jemand sich in mir verfangen hat und ich habe manche menschlichen Verhältnisse (zum Beispiel das mit Weiß) zerstört aus einer logischen, immer mehr als Irrtum des andern als an Wunder (soweit es mich betraf, sonst nicht) glaubenden Geisteslage.3

Später hat Milena empfunden, dass ein Leben mit Kafka nicht erdig genug für sie wäre.

Milena und Kafka waren analytisch und emotional hoch intelligente Menschen mit einem klaren Blick für die Seele und Instinkte der Menschen und beide benutzten die Sprache in all ihren Facetten, um zu beschreiben, aufzuzeigen, zu berühren, zu beindrucken. Aber Milena scheute nicht das Leben so wie Kafka, ganz im Gegenteil. Und Milena liebte die Menschen mit (fast) all deren Facetten. Milena war, so wie ich es sehe, emotional fordernd, an sich selbst wie an andere.

Für mich zeigt ihr Briefwechsel, dass beide sehr viel Potential zu lieben in sich trugen und sie jeweils jemanden suchten, dem sie diese Gefühle schenken konnten und welcher diese Gefühle würdigen würde. Sie brauchten jemanden, den sie als etwas Besonderes für sich betrachten konnten und für den sie etwas Besonderes waren. Kafka genügte es, dass es diese Person, Milena, da draußen gab, sie musste nicht physisch mit ihm interagieren.

Kafka zieht sich in die Analyse zurück und dreht und wendet alles so lange bis der logische Schluss zu sein erscheint, es mache keinen Sinn, die Dinge noch zu erleben. Für Milena konnte immer nur das Leben und Erleben selbst der logische Schluss sein. Milena suchte jemand, mit dem sie ihr Potential zur Leidenschaft, dass sie in sich spürte, ausleben könne.

Sehr berührend finde ich Milenas Beschreibung von Kafka:

„Gewiss steht die Sache so, dass wir alle dem Augenschein nach fähig sind zu leben, weil wir irgendeinmal zur Lüge geflohen sind, zur Blindheit, zur Begeisterung, zum Optimismus, zu einer Überzeugung, zum Pessimismus oder sonst zu was. Aber er (Kafka) ist nie in ein schützendes Asyl geflohen, in keines. Er ist absolut unfähig, zu lügen, so wie er unfähig ist, sich zu betrinken. Er ist ohne die geringste Zuflucht, ohne Obdach. Darum ist er allem ausgesetzt, wovor wir geschützt sind. Er ist wie ein Nackter unter Angekleideten.“1

Zu Beginn sind die Briefe noch der wohltuende Segen für Kafka, ja sie werden vielleicht zu einer Art Droge. Aber auch Kafka nimmt über den Zeitverlauf immer stärker war, dass ein reiner Briefwechsel immer wieder emotionale Reize setzt ohne eine mögliche Beruhigung/Befriedigung durch direkte Interaktion.

Franz Kafka an Milena im Mai 19203

„Genügt nicht ein einziger (Brief), genügt nicht ein Wissen? Gewiss genügt es, aber trotzdem lehnt man sich weit zurück und trinkt die Briefe und weiß nichts als dass man nicht aufhören will zu trinken.“

Franz Kafka an Milena im November 19203

Das was Du mir bist Milena mir hinter aller Welt bist in der wir leben, das steht auf den täglichen Fetzen Papier, die ich Dir geschrieben habe, nicht. Diese Briefe, so wie sie sind, helfen zu nichts, als zu quälen und quälen sie nicht, ist es noch schlimmer…Ich will Dich so fest sehn, wie zum ersten Mal auf der Straße, aber die Briefe lenken mehr ab, als die ganze Lerchenfelderstraße mit ihrem Lärm.3

Ich sehe hier auch Parallelen zum heutigen Umgang mit Message-Diensten wie WhatsApp und dem Risiko, zwischenmenschliche Interaktion sehr stark auf geschriebene Worte zu fokussieren.

Wann bist Du erstmals mit den Texten Kafkas in Berührung gekommen und welche Aussagen gibt es da für Dich?

In der Schule haben wir Die Verwandlung und Der Prozess gelesen. Besonders kann ich mich noch an meine damalige Empörung und mein Unverständnis über die Geschehnisse und das Verhalten von Herrn K. in Der Prozess erinnern. Es erinnerte mich an dieses Gefühl von Machtlosigkeit, das man manchmal in einem Traum erfährt, in dem etwas unangenehmes passiert und man aus irgendeinem, sich einem nicht ganz erschließenden und absurd wirkenden, Grund nicht so direkt und wirkungsvoll handeln kann wie man es erwartet hätte und im Wachzustand getan hätte. Es scheint einem auf unerklärliche Weise verwehrt und dieses starke Gefühl von Ohnmacht wird klaustrophobisch. In Die Verwandlung hat mich vor allem die Angst vor Ablehnung stark berührt und das Thema von Zusammengehörigkeit. Dies sind Themen die einen als Kind und Jugendlicher natürlich bereits stark beschäftigen und berühren und bleiben Thema ein Leben lang.

Wie hast Du Dich auf das Fotoshooting/die Performance vorbereitet?

Ich habe das Buch von Alois Prinz über Milena „Sie ist ein lebendiges Feuer“ gelesen und dann die Briefe von Milena, herausgegeben von Alena Wagnerová. Danach erst habe ich die Briefe von Kafka an Milena gelesen. Man kennt Milena vor allem durch Kafka und wegen dessen Berühmtheit und ich wollte zuerst unberührt von Kafka ihre Geschichte erfahren.

Milena Franz Akrostichon


Meine Briefe sollten dich ins Leben führen

Ich sandte jedes Wort dich einzeln zu berühren 

Leben braucht Liebe aber Liebe braucht auch Leben

Eine tiefe Berührung kann es nur geben

Nur wenn der Körper auch seine Worte spricht

Aufopfern konnte ich mein Leben für Dich nicht 

Für kurze Momente nimmst du mir völlig die Sicht

Reißt mich aus dem Schatten in Dein gleißendes Licht

Ausharren möchte ich aber vermag es nicht

Nur noch bis dein nächster Brief zu mir spricht

Zusammen im Herzen bis der nächste Tag anbricht

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Mein innerstes habe ich nach außen gekehrt 
Inniglich lieben wollte ich dich 
Liebe und Leben hast Du mir verwehrt 
Eine Alternative gab es nicht für mich 
Nichts war schwerer loszulassen  
Als das was es niemals galt zu fassen 

Fremd war ich mir bis ich dich traf

Realität erlebte ich wie im Schlaf

Anzünden wollte ich die Briefe die dir galten

Nur die Fantasie von uns für mich behalten

Zerstören kann man nicht was nie gelebt 

Station bei Milena Jesenska  und Franz Kafka _ Wien.

Cordula Sommer und Bernard F._Wien.
Cordula Sommer, Bernard F. (links) und Walter Pobaschnig im angrenzenden Garten/Park an das Wohnhaus von Milena Jesenska.
Cordula Sommer, Bernard F. (links) und Walter Pobaschnig vor dem Wohnhaus von Milena Jesenska in Wien.

Alle Fotos_Walter Pobaschnig 1_25

Quellen:

1: Alois Prinz, <<Sie ist ein lebendiges Feuer>>. Das Leben der Milena Jesenská, Insel Verlag Berlin 2018.

2: Milena Jesenská, <<Ich hätte zu antworten tage- und nächtelang>> Die Briefe von Milena. Herausgegeben von Alena Wagnerová, Fischer Verlag 2024.

3: Franz Kafka, Briefe an Milena. e-artnow 2015, http://www.e-artnow.org

Walter Pobaschnig 1/25

https://literaturoutdoors.com

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