Lieber Roland Rauschmeier, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich stehe früh auf und bugsiere meinen jüngeren Sohn zur Schule. Danach fahre ich mit dem Fahrrad ins Theater und beginne mit der Arbeit. Die Produktion eines darstellenden Werks verlangt viel Koordination – es gibt viele Komponenten, die bedacht und aufeinander abgestimmt werden müssen. Das ist oft anstrengend, aber genau das fasziniert mich an dieser Arbeit. Theater vereint viele Kunstformen und bringt sie in einen gemeinsamen Prozess.
Die Abstimmung zwischen Subjekten und Objekten kann jedoch schwierig sein, und manchmal bleibt dabei die Freude auf der Strecke. Aber Arbeit macht nicht immer Spaß. Wenn es allerdings gelingt, dass alles ineinandergreift und die Inszenierung funktioniert, entsteht etwas Besonderes. Genau für diese Momente lohnt sich die Mühe.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Es ist wichtig, Ruhe zu bewahren und sich nicht verrückt zu machen. Wir sollten uns auf unsere Stärken konzentrieren und nicht ins Klagen verfallen. Ich nehme an, Sie meinen aktuelle Themen wie der Konflikt im Nahen Osten, die US-Wahlen oder die wirtschaftliche Unsicherheit. In diesem Zusammenhang fällt mir ein Interview von Noam Chomsky ein, dass er – wenn ich mich richtig erinnere – in einer Kirche in New York gegeben hat nachdem Trump zum ersten Mal gewählt worden war. Seine Kernaussage war, dass wir uns bewusst machen sollten, was wir bereits erreicht haben und auf welchem Niveau wir starten.
Wir tendieren dazu, aktuelle Krisen zu dramatisieren und vergessen dabei, wie viele gesellschaftliche Fortschritte bereits erzielt wurden. Institutionen, die persönliche Entwicklung fördern, oder unser Diskursklima sind Ergebnisse mühevoller Arbeit früherer Generationen. Auch wenn wir in Zukunft sparsam sein müssen, gibt es hierzulande – bei einem durchschnittlichen BMI von etwa 25,4 – Reserven, sowohl körperlich als auch geistig.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein, und welche Rolle kommt dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich, zu?
Viele Künstler*innen schaffen sich selbst Probleme, um diese dann künstlerisch zu verarbeiten. Das Motto „Ohne Dilemma kein Anspruch“ ist weit verbreitet. Ich halte das für den falschen Ansatz. Kunst sollte nicht immer aus Problemen entstehen, sondern aus dem Wunsch, etwas Großartiges zu schaffen. Dieser Antrieb sollte von innen kommen, nicht durch äußere Erwartungen gesteuert sein.
Das heißt nicht, dass Kunst unpolitisch sein sollte – sie ist es per se, wenn sie gut gemacht ist. Doch sie sollte nicht nur auf Probleme reduziert werden. Kunst fordert das Publikum heraus, bringt neue Perspektiven und regt zum Nachdenken an.
Künstler*innen haben eine große Freiheit, die sie nutzen sollten. Gleichzeitig gibt es Tendenzen, diese Freiheit einzuschränken, indem Meinungsäußerungen reguliert werden sollen. Das ist nicht hinnehmbar. Es gibt keine „alternativen Fakten“, und Gefühle dürfen nicht über der Wahrheit stehen. Kunst muss fundiert bleiben und darf sich nicht dem Zeitgeist unterwerfen.
Was liest Du derzeit?
Ich lese Bild, Der Standard, Kronen Zeitung, The Guardian, The New York Times, Tass und jüngst ein paar Seiten Junge Welt. Ich finde es wichtig, unterschiedliche Perspektiven zu betrachten.
Belletristisch befasse ich mich Herbert Achternbusch, dessen Sprache und Gedankenwelt sehr inspirierend ist, und Elena Ferrante, deren Bücher einen außergewöhnlichen Blick auf zwischenmenschliche Beziehungen werfen.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Symmetrie ist die Ästhetik der Doofen.“
Vielen Dank für das Interview, lieber Roland, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Kunstprojekte und persönlich alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen: Roland Rauschmeier, Künstler
Zur Person/über mich: Roland Rauschmeier lebt und arbeitet in Wien. Der gebürtige Augsburger besuchte dort die Akademie der bildenden Künste und gründete mit der französischen Tänzerin und Choreografin Anne Juren die Wiener Tanz- und Kunstbewegung. Seine Arbeiten als bildender Künstler sind in der Artothek des Bundes vertreten, die seit 1948 im Rahmen der Kunstförderungsankäufe Kunstwerke erwirbt. Seine Performancearbeiten waren bisher zu sehen u.a. im brut Wien, WUK performing arts und Volkstheater Wien. Er kooperiert mit dem deutschen Film- und Videokünstler Ulu Braun unter dem Pseudonym BitteBitteJaJa und arbeitet an einem genreübergreifenden Oeuvre.
Aktuelle Produktion von Roland Rauschmeier im Theater am Werk Petersplatz, 1010 Wien:
„ADRIAN!“
Die Performance „ADRIAN!“ – Allein gegen Allem zeigt unter anderem einen als Döner verkleideten Boxsack, einen Bierkampf ohne Festzelt und ein verschwollenes Auge vor Buñuels Rasierklinge. Der Titel spielt auf die legendäre Schlussszene des Films Rocky (1976) an, in der der von Sylvester Stallone verkörperte Boxer und „Italian Stallion“ Rocky Balboa am Ende eines brutalen Kampfes den Namen seiner Geliebten „Adrian!“ ruft. Wiederkehrende Motive sind auch dem Werk des bayerischen Multikünstlers Herbert Achternbusch entlehnt. In seinem Film Atlantikschwimmer (1977) prägte er das berühmte Zitat: „Du hast keine Chance, also nutze sie.“ Dieses rebellische Lebensmotto und die Leidenschaft für die Malerei verbinden Achternbusch und Stallone auf eine für manche überraschende, aber auch überragende Weise.
An drei Abenden ( jeder anders als der andere!) erwartet das Publikum eine künstlerische Collage aus Raum, Bild und Performance, die große Themen mit Mut zur pathetischen Selbstzerstörung wortwörtlich abklopft. Der einsame Kampf des Einzelnen gegen sich selbst steht oft im Zentrum. Die Bühne vereint Elemente eines Zoos, einer Sporthalle und eines Bierzelts – ein Ort, an dem die Performer*innen sowohl körperlich als auch emotional an ihre Grenzen stoßen und „ihr Fett abkriegen“.
„We’ll have a good time, a real good time, Adrian.“ (Sylvester S. in Rocky)
Spieltermine:
04.12.2024 – „ADRIAN!“ – Episode I – Allein gegen Allem
06.12.2024 – „ADRIAN!“ – Episode II – Zur Verzweiflung bereit
07.12.2024 – „ADRIAN!“ – Episode III – Der Herausforderer ist dem Herausgeforderten sein Alptraum
Credits
Konzept, Bühne, Video: Roland Rauschmeier
Video; Theo Seidel
Dramaturgie: Claus Philipp
Licht: Andreas Lendais
Maske: Franziska Fröhlich
Musik/Ton: Tom Indge
Mit Maximilian Brauer, Mara Niang, Roland Rauschmeier, Nicola Schößler
Die drei Vorstellungen von „ADRIAN!“ sind unterschiedlich und zeigen Variationen des Themas.
Alle, die bereits eine Vorstellung besucht haben, können unter Vorlage ihres Tickets an der Abendkassa eine oder beide der Folgevorstellungen um einen ermäßigten Preis von €12,- besuchen. Bitte reservieren Sie Ihre Tickets im Vorhinein unter reservierung@theater-am-werk.at.
https://www.theater-am-werk.at/de/productions/adrian-allein-gegen-allem
Petersplatz 1
1010 Wien Abendkassa
Telefon +43 1 535 32 00
reservierung@theater-am-werk.at
Foto: privat
Walter Pobaschnig 11/24