Liebe Marie Sand, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus
Es ist der Ablauf, den vermutlich 90 Prozent der Schriftstellerinnen und Schriftsteller erfüllen: morgens schreiben, nachmittags schreiben. Ein Roman besteht aus rund 500.000 Zeichen. Die mit Emotion und Verstand aufs Blatt zu bringen, das setzt Disziplin voraus. Der Antagonist in diesem Job ist der Schlendrian. Der schleicht sich von hinten an, flüstert Verlockungen ins Ohr wie: Wollen wir eine Runde tanzen? Hast du heute schon entspannt? Wann hast du das letzte Mal geflirtet? Wie wäre es mit einem Prosecco auf einer der Berliner Terrassen in der Sonne? Das sind böse Sätze, denn sie katapultieren eine, die schreibt, aus dem Stoff, manchmal reißt ein Gedankenfaden und verwebt sich in dieser Art nie wieder. Also: Abwehr den Verlockungen!

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Was immer schon wichtig war …: Liebe, Freundschaft, Hoffnung.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst an sich zu?
Toleranz ist das Wort der Stunde. Eine hinterfragende, kritische Haltung sollte geübt sein. Was kann Kunst beitragen? Nun, Kunst erweitert das Denken und Fühlen, zieht uns in Welten, die wir allein nicht betreten würden. Wir lassen die Realität hinter uns, folgen dem Künstler, überschreiten Grenzen in der Fantasie, geben den Träumen Worte und Farben, einen Klang. Kunst darf laut, schrill, aufwühlend sein oder langatmig bis zum Schmerz. Ich mag Kunst, der das gelingt.
Was liest Du derzeit?
Richard Ford: Kanada

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Eigensinnig sein. Wahrheiten erkennen.
Mein neuer Roman „Und morgen wieder schön“ handelt von der Hoffnung, dass auch ein verdammt mieser Moment vorübergeht. Wenn einer Frau die Diagnose Brustkrebs vor die Füße knallt, soll sie zur Kämpferin werden, mit aller Wut auf das, was ist, denn Wut kann Kräfte bündeln, kann einem Ziel eine starke Kontur geben. Nach solch einer Diagnose geht es um alles, um das Leben. Da blättern Eitelkeiten. Der Haarausfall, anfangs ein Drama, muss zur Nebensache werden. Freunde sind wichtig und Hilfe, die von Herzen kommt.
In dieser Geschichte begleitet die Friseurin Amanda Frauen mit Brustkrebs. Sie ist an deren Seite, wenn niemand sonst die Hand hält. Und eine Szene soll ihr immer in Erinnerung bleiben:
„Amanda saß neben der Krankenliege, hielt die Hand der Freundin, munterte sie auf, dass dieser Zusammenbruch nur eine Episode und bald überstanden sei. Da drehte die Freundin den Kopf zu ihr hin, ihre Augen wie Pastell, nichts Giftiges, nichts Spöttisches darin, eine Weite in diesem Blick, die Amanda keine Zuversicht bot, dass es morgen einen neuen Tag gäbe. ‚Schreib in dein Skizzenbuch‘, sagte die Freundin leise: ‚Wenn alles geht, bleibt auch kein Wille.‘“
Vielen Dank für das Interview, liebe Marie, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen: Marie Sand, Schriftstellerin
Zur Person/über mich: Marie Sand lebt in Berlin. Seit über 15 Jahren konzipiert sie Sachbücher für Autor*innen und Verlage.
Als Schriftstellerin schreibt sie Frauenromane über heimliche Heldinnen bei Droemer. Bislang sind erschienen: „Ein Kind namens Hoffnung“. 2022. Eine deutsche Köchin rettet einen jüdischen Jungen und bleibt lange Zeit heimatlos. „Wie ein Stern in mondloser Nacht“. 2023. Von der Neuerfindung der Babyklappe im Wirtschaftswunderdeutschland. „Und morgen wieder schön“. 2024. Von der Suche nach der Formel für Schönheit.
Aktueller Roman von Marie Sand: „Und morgen wieder schön“ Droemer Verlag

Die Geschichte einer Friseurin, die die Modewelt in Paris aufmischen will – und am Ende in ihrem kleinen Laden in Berlin die Formel für Schönheit neu erfindet.
Als Amanda mit ihrem Skizzenbuch im Rockbund in Paris ankommt, will sie nur eins: Karl Lagerfeld treffen und für ihn die Frisuren zeichnen. Aber so einfach wie Amanda, die aus dem kleinen Eifeler Friseurladen ihrer Mutter geflüchtet ist, sich das vorstellt, scheint es nicht zu werden. Der Weg ist steinig und lang – und doch avanciert sie als talentierte Friseurin zum Liebling der High Society der
1970er-Jahre, als sie Françoise Hardy den schrägen Pony verpasst und damit den Look einer ganzen Generation prägt. Auf der Höhe des Erfolgs aber erkrankt ihre Freundin an Brustkrebs.
Amanda begreift, was der Verlust der Haare unter der Chemotherapie mit Frauen macht. Damit trifft sie eine Entscheidung, von der sie später sagen wird: „Ich hätte etwas in meinem Leben versäumt, hätte ich diese Arbeit nicht getan.“
Ein wichtiger Roman voller Mitgefühl, mit einem hoffnungsvollen Blick auf die Zukunft
Marie Sand schreibt über Frauen, die aus Liebe zum Leben handeln: Ihren heimlichen Heldinnen geht es nicht um Anerkennung. Sie bemühen sich einfach jeden Tag darum, die Welt ein bisschen besser zu machen.
„Und morgen wieder schön“ Marie Sand, Roman. Droemer Verlag
Verlag: Droemer TB
Erscheinungstermin: 02.09.2024
Lieferstatus: Verfügbar
288 Seiten
ISBN: 978-3-426-44778-9
Autorin: Marie Sand
https://www.droemer-knaur.de/buch/marie-sand-und-morgen-wieder-schoen-9783426447789
Fotos: Janine Guldener
Walter Pobaschnig _ 11.11.2024