„Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir nicht altern dürfen“ Grischka Voss, Schauspielerin _ Wien 6.10.2024

„F*ING HOT!“ _ Grischka Voss,
Schauspielerin, Autorin, Regisseurin

Liebe Grischka Voss, in Deinem Theaterstück „F*ING HOT!“ geht es um das wechselvolle Erleben, Selbstverständnis im Klimakterium. Wie kam es zu Entstehung, Konzeption des Stückes?

Die Initialzündung war rückblickend betrachtet eine Zuschauerin, die mir im Theater Drachengasse/Wien nach einer Vorstellung von “Bulletproof” – meinem Ein-Frau-Stück über die Lust der Frau, sämtliche weibliche Körperflüssigkeiten und Tabus – eine Graphic Novel schenkte, mit der Bitte, ich solle als nächstes ein Stück über das Klimakterium machen, das sei ein noch viel größeres Tabu.

Ich (damals 51) dachte mir “aha” und legte “Francine und die total heiße Phase” auf den Stapel für zu lesende Bücher…Etwa ein halbes Jahr später wollte ich in der Früh aufstehen und konnte plötzlich weder meine Knie durchstrecken, noch meine Arme. Ächzend vor Gelenkschmerzen bewegte ich mich im Schneckentempo durch die Wohnung, voller Panik, ich könnte unter plötzlicher Arthrose oder frühzeitiger Versteinerung leiden. Fast gleichzeitig bekam ich Schlafstörungen und wachte jede Nacht gegen drei Uhr auf, zur sogenannten Wolfsstunde, wie ich Internet erfuhr.

“Bulletproof” _ Grischka Voss

Ich begann weiter zu recherchieren und stieß schließlich auf Wechselbeschwerden. Quasi wie auf Knopfdruck, bekam ich zur Bestätigung meine erste Wallung. Ich erinnerte mich wieder an die Graphic Novel, die mir die Zuschauerin geschenkt hatte, auf deren Cover eine schwitzende Frau mit verzweifeltem Gesichtsausdruck in ihrem Bett sitzend, abgebildet war.

Nach der Lektüre der offensichtlich extrem schrecklichen Wechselbeschwerden der Verfasserin, war ich relativ niedergeschlagen, legte das Buch weg und beschloss weiter zu recherchieren. Dachte mir, der Wechsel kann doch nicht das absolute Ende, das pure Grauen, nur Verdammnis und Verwesung sein!

Ich führte zahlreiche Gespräche mit Frauen von 37-78 Jahren über ihre Erfahrungen und Gedanken zum Thema Klimakterium, weiblicher Körper, Frausein und Sexualität. Ausnahmslos beschrieben meine Gesprächspartnerinnen ein Gefühl der Unsichtbarkeit, der Scham und der Geschlechtslosigkeit/ Asexualität, als hätte man ihnen “mit dem Ende der Menstruation und der Fruchtbarkeit den Begriff Frau genommen” und damit einen Teil ihrer Daseinsberechtigung. Das will ich ändern. Meiner Meinung nach ist diese Betrachtungsweise der Frau als wandelndes Fortpflanzungsorgan, ein Überbleibsel nationasozialistischen Gedankenguts und gehört dringend ausgetauscht und geändert!

Wie kann Glücklichsein im Klimakterium  – alleine oder in Zweisamkeit  -gelingen?

Ich denke, je mehr Frauen und Männer über das Klimakterium und die Andropause wissen, um so besser können sie damit umgehen und vor allem auch aufeinander eingehen und, was ich besonders wichtig finde, es mit Humor nehmen!

Ich bin davon überzeugt, so manche Beziehung würde nicht genau in dieser Lebensphase zerbrechen, wenn die Partner voneinander wüssten, was sie jeweils gerade durchmachen und dementsprechend mehr Geduld und Toleranz füreinander aufbringen könnten.

Was macht erfülltes Leben, Liebe aus?

Das ist schwer zu beantworten, da Menschen unter erfülltes Leben und Liebe sehr unterschiedliche Dinge verstehen.

Ich denke, es ist wichtig, sich selbst im Laufe seines Lebens wirklich gut kennenzulernen und zu lernen sich selbst für alles, was man ist zu akzeptieren und zu lieben. Dann, so glaube ich, kann man auch mit derselben Toleranz und demselben Respekt andere lieben.

Ein erfülltes Leben zu führen, heißt für mich, sich mit liebenswerten Menschen zu umgeben, den oder die Berufe zu finden, die einen erfüllen und in denen man wachsen kann und mit großer Neugier und Offenheit, die Welt zu erforschen und Wissen anzusammeln.

Wie lebst Du Sexualität?

Ich finde Sexualität ist ein wichtiger Bestandteil der Gesundheit und des Wohlbefindens der Menschen und sie sollte ohne Scham aktiv gelebt werden können, egal ob mit oder ohne Partner. Und weil dieses Recht Frauen in unserer Gesellschaft noch immer abgesprochen wird und eine Frau, die ihre Sexualität offensiv lebt auch heute, im 21. Jahrhundert (!) sofort als Schlampe beschimpft wird, habe ich mein Stück “Bulletproof” geschrieben. Ich möchte damit Frauen ermutigen, ihre Lust zu entdecken und zu leben, ohne Scham.

Wie siehst Du die Stellung der Frau im Zusammenhang aktueller politischer Entwicklungen in Österreich?

Im Moment haben wir in Österreich, aber auch weltweit eine ganz furchtbare Entwicklung in den Rechtsextremismus und alle humanen Errungenschaften, die in den Menschenrechten zusammengefasst wurden, müssen wieder mit vollem Einsatz zurück erkämpft werden. Das gilt besonders auch für Frauenrechte, wie das Recht auf Abtreibung und selbst über den eigenen Körper bestimmen zu dürfen. Dazu gehört für mich auch, dass nicht jede Frau Mutter sein möchte und eine Frau ohne Kinder genauso glücklich sein kann. Immer noch ein riesiges Tabu.

Was wünscht Du Dir für Frau, Land und Leute?

Was mich schon bei meinen Recherchen zu “Bulletproof” erschüttert hatte war, wie wenig Frauen, ich eingeschlossen, über den weiblichen Körper wissen, über das eigene Geschlechtsorgan. Das Unwissen von Frauen über das Klimakterium toppt jedoch alles. Wir wissen nicht einmal die richtige Bezeichnung dafür. Die sogenannte Menopause bezeichnet zum Beispiel lediglich die allerletzte Regelblutung einer Frau. Das Klimakterium besteht aus drei Phasen, die sich über einen Zeitraum von bis zu Zwanzig Jahren erstrecken können und es gibt zahllose Formen von Wechselbeschwerden, die Frauen nicht als solche erkennen, weil sie darüber nicht aufgeklärt wurden. Die Frauengesundheitsforschung im Altersbereich 40➕ steckt in den Kinderschuhen. Das ist absurd, weil es verdammt viele Frauen in diesem Alter gibt und es eigentlich ein riesiger Markt ist. Langsam tut sich etwas, entstehen Plattformen, vernetzen sich Frauen aus Wissenschaft, Medizin, Medien, machen das Klimakterium zum Thema, über das gesprochen wird, aber immer noch sehr leise…

Was mich zu meinem Hauptangriffspunkt führt, nämlich dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir nicht altern dürfen, heute ist es ein Skandal, wenn man so aussieht, wie man alt ist. Und deshalb sind die Wechseljahre der Frau, aber auch die des Mannes (Andropause) so ein gigantisches Tabu.

Es war überhaupt nicht so leicht, Frauen zu finden, die mit mir über das Thema Klimakterium sprechen wollten, weil das natürlich auch bedeutet, dass man in einer bestimmten Lebensphase angekommen ist.

Die gesellschaftlich bedingte Alterspanik und der Schönheitskorrekturwahn führen so weit, dass bereits Teenager an ihren Gesichtern und Körpern herum “optimieren”. Das ist wirklich grauenhaft.

Immerhin werben nun schon einige Mode und Kosmetikfirmen mit Models, die keine Barbiefigur haben und nicht weiß sind.

Genau so wichtig wäre es aber, dass im Fernsehen, Kino und in den Medien Bilder von Menschen gezeigt werden, die Falten und Altersflecken haben. Wer sagt, dass diese Menschen nicht schön sind?

Die Angst davor alt auszusehen, ist zudem eine perverse Dekadenz, da man eigentlich zutiefst dankbar dafür sein sollte, alt werden zu dürfen und nicht eine fatale Diagnose zu bekommen.

Mein Stück F*ING HOT! über die Wechseljahre spiele ich am 20.10. in der URANIA und am 1./2.11. im Theater Odeon/Spitzer

“Bulletproof” über die Lüste der Frau und sämtliche weibliche Körperflüssigkeiten, spiele ich am 25./26.10. im Theater Odeon/Spitzer

Herzlichen Dank für das Interview!

Aktuelle Produktionen von und mit Grischka Voss:

“Bulletproof” Grischka Voss

“Bulletproof”

25./26.10. im Theater Odeon/Spitzer/Wien

Im Spitzer
Taborstraße 10, Innenhof links
1020 Wien
spitzer@odeon.at

Einlass: 19 Uhr, Beginn: 20 Uhr
Eintritt: Freie Spende
Spieldauer: 75 Minuten

https://im-spitzer.net/event/bulletproof/

Das Stück über die Lust der Frau

Ich liebe meine Lust.
Bulletproof ist die Geschichte von Amanda, einem weiblichen Freigeist. Sie ist präpotent, konsumiert Sex wie andere Kaffee oder Alkohol und liebt es, mit offener Lederjacke und nacktem Oberkörper vor ihren Lovern auf und ab zu stolzieren. Angst vor dem Alter kennt sie nicht, es gibt immer noch Ältere. Amanda nennt die Dinge beim Namen und spricht hemmungslos, frech und witzig über ihre Lust, weibliche Körperflüssigkeiten oder Selbstbefriedigung und räumt auf mit weiblichen Klischeebildern.
Bulletproof ist aber auch die Geschichte einer Frau, auf der schmerzlichen Suche nach der Liebe zu sich selbst.

Eine offensive Ein-Frau-Performance von und mit Grischka Voss, produziert von Theater Drachengasse.

Regie: Kristina Bangert, Grischka Voss
Bühne, Kostüme: Ágnes Hamvas
Musik: Lonesome Andi Haller
Choreografie: Peter Beil
Regieassistenz: Olivia Poppe
Es spielt: Grischka Voss

www.grischka-voss.com

Grischka Voss in „F*ING HOT!“

F*ING HOT!

Ein heißes Stück Frau von und mit Grischka Voss

am 20.10. in der URANIA/Wien

VHS Wiener Urania

  • 20.10.2024, 20:00 – 21:30 Uhr
  • VHS Wiener Urania, Uraniastraße 1 , 1010 Wien

und am 1./2.11. im Theater Odeon/Spitzer_ Wien

Im Spitzer
Taborstraße 10, Innenhof links
1020 Wien
spitzer@odeon.at

Einlass: 19 Uhr, Beginn: 20 Uhr
Dauer:  75 Minuten
Eintritt: Freie Spende

Der Wechsel ist genau wie die Pubertät, man schwitzt, kriegt Haare an Stellen, wo vorher keine waren, wird moppelig, stellt sich komplett in Frage, mit dem Ergebnis, dass man danach eine tolle Frau ist!

Amanda versteht die Welt nicht mehr. Warum wird das Klimakterium gleichgesetzt mit Leid, Verwesung und Verdammnis? Wieso soll einen die Menopause entweiblichen oder entsexualisieren?

Mit voller Wucht und Wortwitz attackiert die fünfzigjährige Lebens-Kamikazin Amanda das Stigma “Frau im Wechsel”, zerrt es aus dem Verdrängungsjenseits, um es zu zerschmettern und endlich die grandiosen Vorteile dieser weiblichen Umbruchsphase zu beleuchten.
Sie nimmt uns mit auf eine wilde Forschungsreise durch sämtliche Wechselgebiete, und empört sich, dass die wenigsten Frauen überhaupt wissen, was Klimakterium genau bedeutet. Sie ärgert sich über die mangelnde Frauengesundheitsforschung in diesem Bereich und sie fragt sich, wieso es heute ein Skandal ist, wenn man so alt aussieht wie man ist, und sich Frauen im Klimakterium plötzlich “unfuckable” fühlen.

Mit heißen Fakten, schrägem Humor und frechen Songs soll F*ing Hot! Frauen dazu ermutigen, das Klimakterium und sich selbst mit einem neuen Blick zu sehen, einem weiblichen, positiven. Amanda sieht in den Wechseljahren mehr Lust, mehr Erfahrung, mehr Wissen, mehr Können, mehr Freiheit. Für sie sind Frauen im Klimakterium Heldinnen.

Regie: Kristina Bangert, Grischka Voss
Bühne, Kostüme: Ágnes Hamvas
Musik: Lonesome Andi Haller
Choreografie: Peter Beil
Regieassistenz: Antonia Luka Gottwald
Es spielt: Grischka Voss
Eine Produktion von Theater Drachengasse.

www.grischka-voss.com

Zur Person/über mich: Grischka Voss (D)
Schauspielerin, Autorin, Regisseurin
1993-1995 Ausbildung für Schauspiel und Tanz in New York und Wien
1996 Akademietheater, „Ballade vom Wiener Schnitzel“/George Tabori; Volkstheater „Cyrano de Bergerac“/ Michael Schottenberg
1997-2017 gründete und leitete die freie Künstlerin gemeinsam mit Ernst Weigel „das bernhard ensemble“, das ab 2006 in Wien, im „Das OFF Theater“ beheimatet war.


Sie versteht sich als freie Geschichtenerzählerin mit starken sozialen Anliegen, schuf zahlreiche Stücke für das bernhard ensemble, mit denen sie im In – und Ausland gastierte, spielt, inszeniert und zeichnet zumeist auch für Bühne und Ausstattung ihrer Produktionen.

Im Sommer 2017 verließ sie das bernhard ensemble, trat als Schauspielerin und Autorin bei „Ganymed female“ im Kunsthistorischen Museum Wien, bei den Gmundner Sommerfestspielen mit „Noch ein Fest für Boris“ auf, verfasste ihre Autobiographie „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“ (Amalthea Verlag), aus der sie u.a. beim Literaturfestival „Blätterwirbel“ im Theater in der Josefstadt oder an der Schaubühne Berlin gelesen hat.

2018 schrieb und spielte sie für Veronika Glatzners Projekt „Habenichtse“ im Fasanviertel einen Monolog zum Thema: mündet der Wiederverwertungstrend in eine neue Form des Kapitalismus?

Seit 2017 verfasst sie auch Artikel für die Salzburger Nachrichten.

2019 verfasste sie das offensive Ein-Frau-Stück „Bulletproof“ über die Lust der Frau und ihre ständige Unterdrückung, das sie im Jänner 2020 im Theater Drachengasse in Wien uraufführte und spielte.

2021 Neuausgabe von „Ich bin kein Papagei“ (Amalthea Verlag), für das sie das Nachwort verfasste, Wiederaufnahme “Bulletproof” im Theater Drachengasse.


2023 schrieb sie ein Theaterstück über das Klimakterium der Frau, Titel “FING HOT!”, das im Theater Drachengasse uraufgeführt wurde. Es folgten zahlreiche Gastspiele mit FING HOT! innerhalb Österreichs und eine Wiederaufnahme im Theater Drachengasse.

Bei “Ganymed Bridge” spielte sie einen Monolog von Teresa Präauer (Regie Jacqueline Kornmüller), im Projekt “Lagerkollaps” spielte sie unter der Regie von Veronika Glatzner den
selbstverfassten Monolog “Storebox-Mom”. Ebenso wirkte sie in einem “Tatort” unter der Regie von Katarina Mückstein und dem TV-Film “Ewig Dein”, Regie Johanna Moder mit, sowie in der Miniserie “Kafka”, Regie David Schalko. Mit Regisseur Stefan Manuel Eggenweber drehte sie den Kinofilm “Zwei verletzte Tiere im Wald”.

2024 verfasste sie für Regisseurin Barbara Herold das Theaterstück “Ein Albtraum in zwölf Bildern” zum Thema Abtreibung (UA im Alten Hallenbad in Vorarlberg)

Preise: Nestroy für die beste Off Theater Produktion 2001, zahlreiche weitere
Nominierungen

Stipendien: 2020 COVID 19 Arbeitsstipendium der MA 7 für Roman „Amanda liebt es…“
2020 Einmaliges Arbeitsstipendium vom BMK IV/A/5, für Roman „Tanzen unten
ohne“
2023 DramatikerInnen Stipendium der Stadt Wien für “FING HOT!”

Bibliographie Bücher: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“ Erinnerungen eines Gauklerkindes 2017 Amalthea Verlag „Ich bin kein Papagei“ (Autorin von Schlusswort und Herausgeberin) 2021 Amalthea Verlag

Theaterstücke: „Hundert Gründe eine Diva zu werden“, UA 1998, Theater des Augenblicks, Wien „Das Kistenmädchen“, UA 2003, Stadtinitiative Wien „Ab und zu kleine Gemütsschwankungen“, UA 2004, WUK, Wien „Monster“, UA 2008, das OFF Theater, Wien „Myface – Liebe mich!“, UA 2010, das OFF Theater, Wien „Skinned – Ohne Haut“, UA 2014, das OFF Theater, Wien „Invidia – der böse Blick“, UA 2017, das OFF Theater Wien „Zwei Briefe“ UA 2017, Ganymed female/ Kunsthistorisches Museum Wien „Willgeben“ UA 2018, „Habenichtse“ im Fasanviertel, Wien „Bulletproof“ UA 2020, Theater Drachengasse, Wien “FING HOT!” UA 2023, Theater Drachengasse, Wien
“Ein Albtraum in zwölf Bildern” UA 2024, Altes Hallenbad, Feldkirch

www.grischka-voss.com

Fotos: „F*ING HOT!“ Klaus Vyhnalek; “Bulletproof” Barbara Palffy.

Walter Pobaschnig 10/24

https://literaturoutdoors.com

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