„wir müssen unsere Geschichten immer wieder neu erspielen“ Tristan Becker, Schauspieler _ Halle/Saale 28.9.2024

Lieber Tristan Becker, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Aktuell probe ich am neuen theater in Halle das Stück „Bakkhai“ von Anne Carson nach Euripides. Ich radle also morgens und abends zur Probe, lerne mittags Text und spiele parallel Vorstellungen und Wiederaufnahmen aus dem Repertoire. 

Tristan Becker, Schauspieler, Musiker und Sprecher

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig? 

Ich denke, wir sollten unsere Zuversicht nicht verlieren und Ruhe bewahren. Es bringt nichts, sich in Dinge hineinzusteigern. Mir geben meine Familie, meine Freunde und meine Arbeit Stabilität und darüber bin ich sehr froh und dankbar.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu? 

Theater ist die letzte wirklich analoge Kunstform. Wer Theater erleben will, muss wirklich kommen. Theater ist immer exklusiv für die, die anwesend sind und deshalb ist auch keine Vorstellung wie die andere. Darin liegt der Reiz, aber es macht es gleichzeitig auch schwer, denn die Zuschauer von heute interessiert es nicht, wie du gestern gespielt hast. Wir Theaterleute können nicht einfach auf „Play“ drücken, sondern wir müssen unsere Geschichten immer wieder neu erspielen. Vielleicht liegt darin die besondere Aufgabe von Theater, denn Theater bringt Menschen zusammen. Wir sind – wenn auch nur für einen Abend – eine Gemeinschaft. Das wünsche ich mir auch für die Gesellschaft.

Tristan Becker, Schauspieler, Musiker und Sprecher

Was liest Du derzeit?

„Marseille 1940“ von Uwe Wittstock

„Da geht ein Mensch“ von Alexander Granach

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben? 

„When too perfect, lieber Gott böse.“ – Nam June Paik

Jede Premiere ist ein Anfang.

Vielen Dank für das Interview, lieber Tristan, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theater-, Musikprojekte und persönlich alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen: Tristan Becker, Schauspieler, Musiker und Sprecher

Zur Person/über mich/Kurzbiografie: Tristan Becker ist seit der Spielzeit 2021/22 festes Ensemblemitglied am neuen theater Halle. Neben seiner Tätigkeit als Schauspieler arbeitet er auch als Musiker und Sprecher. Zuletzt übernahm er mehrfach die musikalische Leitung am neuen theater und komponierte Theatermusik. Becker ist Sänger und Gitarrist der Band „TROSTLAND“. Geboren 1996 in Köln, aufgewachsen ebenda, studierte Becker zunächst an der Universität zu Köln Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft, bevor er von 2017-2021 an der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« in Leipzig zum Schauspieler ausgebildet und aus dem Studio Halle direkt ins Schauspielensemble übernommen wurde. Wichtige Regisseur*innen hier in seinem Erstengagement waren und sind für ihn Mareike Mikat, Julia Hölscher, Mille Maria Dalsgaard und Ronny Jakubaschk.

http://www.tristan-becker.com

Aktuelle, kommende Theaterproduktion am neuen theater Halle mit Tristan Becker:

Bakkhai

von Anne Carson | nach Euripides
aus dem Englischen von Maria Milisavljević

Regie führt Basil Zecchinel, Tristan Becker spielt den Pentheus.
Premiere: 08.11.2024 um 19:30 Uhr im neuen theater Halle.

Wie heißt es so schön: Aller (Neu-)Anfang ist schwer? Nicht so für Dionysos. Der Gott des Rausches und der Ekstase kehrt in Menschengestalt in seine Heimat Theben zurück und zieht die Frauen der Stadt in seinen Bann. Gemeinsam feiern sie auf einem Berg wilde Feste, getrieben von der kollektiven Sehnsucht nach einem anderen Dasein. Pentheus, dem Herrscher von Theben, gefällt das gar nicht und er verbietet die hemmungslose, rituelle Verehrung. Doch dann kommt ein Fremder zu ihm in den Palast, der ihn mit allen Mitteln umzustimmen versucht. Pentheus’ Neugier auf das Treiben wird plötzlich größer als sein Bedürfnis nach Ordnung und Vernunft.

Euripides’ elektrisierende Tragödie ist ein Kampf auf Leben und Tod zwischen Ordnungswahn und Lust am Chaos, Untergangsfantasie und Vernunftdenken, Mensch und Gott. Die kanadische Autorin Anne Carson, eine der wichtigsten Stimmen unserer Zeit, hat den Bakchen-Mythos virtuos, sprachgewaltig überschrieben und erzählt sehr zeitgemäß von einer Welt, die an der Radikalisierung ihrer Gegensätze zerbricht.

Die Klangkunst zu dieser Inszenierung entsteht aus einer künstlerischen Kollaboration zwischen der experimental noise Band LUM und dem Ensemble. Gemeinsam erarbeiten sie eine dionysische Ritualpraxis.

Mit dieser Inszenierung beendet Basil Zecchinel sein Studium zum Regisseur an der renommierten »Ernst Busch« in Berlin. Die Arbeit entsteht im Doppel mit der Produktion »Die zweite Sonne«. Die Chance die Regiestars von morgen schon heute in Halle zu sehen!

https://www.buehnen-halle.de/de/program/bakkhai/234701

Fotos _ Portrait: Christin Goy; Bakkhai_neues theater Halle

Walter Pobaschnig _ 27.9.2024

https://literaturoutdoors.com

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