„beruflich wie privat Zivilcourage zeigen“ Lisa Sommerfeldt, Schriftstellerin _ Bonn 4.9.2024

Liebe Lisa Sommerfeldt, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Schreiben, schreiben, schreiben… und wenn möglich, ab und zu in einem schönen See schwimmen und die letzten Sommertage genießen.

Lisa Sommerfeldt, Schriftstellerin, Künstlerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Einfache Antworten auf das Erstarken der AFD in Deutschland wie gerade bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen gibt es nicht. Es kann nur jede*r in seinem oder ihrem Bereich weiterarbeiten, versuchen Bewusstsein für Zusammenhänge zu schaffen und beruflich wie privat Zivilcourage zeigen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Wir müssen diese große Sprachlosigkeit aushalten, um sie vielleicht doch irgendwann zu überwinden.

Was liest Du derzeit?

In letzter Zeit haben mich zwei Bücher sehr beeindruckt: „Die Möglichkeit von Glück“ von Anne Rabe und „Unser Deutschlandmärchen“ von Dinçer Güçyeter.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Meinem neuen Stück „WEBEREI oder Die Erfindung des Bademantels“ habe ich ein Zitat von Hannah Arendt vorangestellt: „Beobachtet man die Deutschen, wie sie geschäftig durch die Ruinen ihrer tausendjährigen Geschichte stolpern, dann begreift man, dass die Geschäftigkeit zu ihrer Hauptwaffe bei der Abwehr der Wirklichkeit geworden ist.“

Vielen Dank für das Interview, liebe Lisa, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Theater-, Kunstprojekte und persönlich alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:  Lisa Sommerfeldt, Schriftstellerin, Künstlerin

Zur Person: Lisa Sommerfeldt schreibt Theaterstücke und Hörspiele. Zahlreiche Auftragsarbeiten für Theater, unter anderem für Landestheater Eisenach/Staatstheater Meiningen und die Oper Bonn. Für den WDR entstanden die Hörspiele „Dorfdisco“, wing.suit“ und „stadt.land.fluss oder die konstruktion der liebe“. Lisa Sommerfeldt war Stipendiatin des 1:1 Mentoring der NRW Literaturbüros, im Künstlerhaus Edenkoben und auf dem Künstlerhof Schreyahn. 2020 erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Landes NRW. 2021 war Lisa Sommerfeldt Stipendiatin der Villa Decius in Krakau und INITIAL Sonderstipendiatin der Akademie der Künste. 2022 erhielt sie ein Hörspiel-Stipendium der Film- und Medienstiftung NRW und 2024 der Kunststiftung NRW. Ihre Theatertexte erscheinen im S. Fischer Verlag. Stücke von ihr wurden ins Englische, Französische, Polnische und Russische übersetzt.

Aktuelle Theaterpremiere:

„WEBEREI oder Die Erfindung des Bademantels“

Uraufführung am 14. September 2024 um 19 Uhr 30 am Theater Gütersloh.

Regie und Bühne: Christian Schäfer, Kostüme: Anna Sun Barthold-Torpai, Musik: Miriam Berger, Choreografie: Dhélé Agbetou. Es spielen Vivienne Causemann, Christine Diensberg, Constantin Gerhards, Christiane Hagedorn, Jacques Malan, Volker Schiewer (Bürgerbühne Gütersloh e. V.), Wake up OWL Company, Spielclub 13+ 

Stückrechte © S. Fischer Theater Verlag

An den heimischen Webstühlen arbeiteten meist Frauen, während später in den Textilfabriken hauptsächlich Männer und Kinder angestellt waren. Im 2. Weltkrieg wurden Zwangsarbeiter:innen ausgebeutet und in der Zeit des Wirtschaftswunders Gastarbeiter:innen ins Land geholt, bevor schließlich die prekäre Arbeit nach Polen und Bangladesch ausgelagert wurde. Wie haben sich Globalisierung und Massenproduktion auf die Textilherstellung ausgewirkt? Wer trägt das Risiko und wer hat Anspruch auf Gewinn, Erbe und Kapital? 

Am Beispiel einer fiktiven Fabrikantenfamilie erzählt Lisa Sommerfeldt in „WEBEREI oder Die Erfindung des Bademantels“ von Aufstieg und Fall der großen Ära der Textilherstellung. Angelehnt an deutsche Firmengeschichte, entsteht ein berührendes Generationendrama, das von den wechselhaften Zeiten berichtet: von den bescheidenen Anfängen, dem rauschhaften Aufstieg, den Rückschlägen durch Kriege und die Verstrickung in Nationalsozialismus, Ausbeutung und Zwangsarbeit bis hin zu den Auswirkungen von Massenproduktion und Globalisierung. Gleichzeitig ist „WEBEREI oder die Erfindung des Bademantels“ ein Bild für die Gesellschaft und ihre Verbindungen, Seilschaften und Abhängigkeiten. Und dafür, wie jeder und jede versucht, Geld zu verdienen, seinen Platz zu finden, nützlich oder womöglich unentbehrlich zu sein, sich zu vernetzen und sein oder ihr Glück zu machen.

Verwebt in einem weiteren Erzählstrang erzählt der Chor der Seidenraupen von ihrem Versuch, im 18. Jahrhundert in Deutschland heimisch zu werden. Das scheiterte zunächst an den Witterungsbedingungen, wurde aber im 20. Jahrhundert von den Nationalsozialisten als Beitrag der Schulen und Altenheime für die Kriegswirtschaft wieder aufgenommen, um Fallschirmseide für die Luftwaffe zu gewinnen.  

https://www.theater-gt.de/veranstaltung/weberei-oder-die-erfindung-des-bademantels

Foto: Portrait: Janine Guldener; Stück: Theater Gütersloh

Walter Pobaschnig _ 2.9.2024

https://literaturoutdoors.com

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