Liebe Andrea Beatrix Schramek, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich stehe um 7 Uhr auf, trinke Wasser, Meditiere. Mache Gymnastik, esse mein Frühstück und setze mich an den Schreibtisch. Ich habe ein Solo-Stück „Kiki van Beethoven“ von Éric-Emmanuel Schmitt produziert und gehe damit auf Tournee. Leider muss man seit der Pandemie viele Theater mieten anstatt , wie früher, eingeladen zu werden, oder die Einnahmen zu teilen. Ich möchte diese schöne Geschichte dennoch erzählen, daher habe ich es nicht ganz aufgegeben und schreibe weiterhin Veranstalter an. Und sonst lerne ich eigentlich immer etwas Neues, lese, schreibe Artikel, bereite Lesungen oder Vorträge vor oder gehe fotografieren.
Ich mache so oft wie möglich mit meiner Mutter eine Ausfahrt mit dem Rollstuhl, weil das sonst niemand mit ihr macht, dann kümmere ich mich noch um meine alte Tante, oder meinen Vater. Ich habe schon lange keinen Fernseher mehr, das lässt mir Zeit für das Wesentliche. Das sind Menschen.
Seit einem Jahr stehe ich abends, nach längerer Pause, wieder auf einer Bühne. Dazu bin ich dann ab dem Nachmittag in einem Theater, baue auf, schule den Techniker ein, bereite mich vor, kümmere mich um Bewerbung, Kartenverkauf, ect. Bis die Vorstellung endlich beginnt, bin ich meist schon erschöpft, aber das vergisst man dann ja schnell, sobald man die Bühne betreten hat.
Ich gehe – so oder so – selten vor Mitternacht schlafen. Dazu bin ich zu gerne wach.

Schauspielerin, Fotografin, Autorin, Historikerin
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich kann nicht für andere sprechen, denn jeder Mensch geht seinen eigenen Weg. Für mich ist Wissen und Besinnung auf das Wesentliche wichtig. Solange wir noch Bücher haben, können wir Informationen über alle möglichen Wissensgebiete erlangen, das inkludiert Geschichte, Kultur, Natur und Sprachen. Da kann man sich selbst eine Meinung bilden und einen kühlen Kopf bewahren. Auch bei 36 Grad im August.
Mir ist es wichtig, gut bei mir zu bleiben und mich nicht von Angst mitreißen zu lassen. Denn da, wo Angst ist, da gibt es keine Liebe, keine Gesundheit und auch keinen Frieden.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Ich habe schon einige liebe Menschen sterben gesehen, Menschen in meinem Alter oder jünger und auch vor zehn Jahren meinen Partner verloren. Damals musste ich gleichzeitig Abend für Abend 250 Menschen zum Lachen bringen. Das war sehr hart. Es hat mein Verhältnis zu diesem Beruf verändert. Es ist eben „nur Theater“ und „The show must go on“ – über die persönlichen Grenzen hinweg, das werde ich bestimmt nicht mehr machen – schon gar nicht, wenn ich dadurch die kostbarsten Momente, nämlich die letzten, eines Menschen, den ich sehr geliebt habe, versäume, nur damit eine ausverkaufte Produktion nicht abgesagt werden muss.
Zudem habe ich fast 20 Jahre geriatrische Einrichtungen, Krankenhäuser und ein Hospiz als Rote Nasen Clowndoktor besucht. (Ich wollte mich schon früh meiner Angst vor Krankheiten und dem Tod stellen und mit meiner Kunst etwas Sinnvolles machen. Ersteres war während der Pandemie sehr hilfreich, ich blieb nämlich gelassen.) Auch, wenn Clowns in unserer Branche nicht ernstgenommen werden und diese Tätigkeit in meiner Vita meiner Karriere als „ernstzunehmende Schauspielerin“ eher geschadet hat, erschien es mir damals als sinnvolle Tätigkeit, da ich mich im Theater manchmal gefragt habe, was wir da eigentlich machen, wenn wir moderne Stücke spielten, die zwar hochgelobt wurden, die das Publikum aber dennoch mit leeren, müden Augen verließen und die vor allem mir selbst keine Freude machten. Für mich persönlich war es also sehr heilsam, sich mit der Sterblichkeit, mit Schmerz und der Einsamkeit auseinandergesetzt zu haben, denn erst dann begreift man wohl erst wirklich, wie kostbar und einzigartig ein Mensch und sein Leben ist.
Gesundheit kann man nicht kaufen, sie kann auch nicht von irgendjemandem garantiert werden. Es gibt im Menschen etwas, das ich „heilig“ nenne, obwohl das heutzutage abgedroschen, oder esoterisch klingt, das man nicht künstlich erzeugen kann. Die Krankheiten dieser Erde sind nicht weniger geworden. Nein, im Gegenteil, es tauchen jedes Jahr neue auf. Suchen wir die Gesundheit, den Frieden, die Schönheit und Perfektion, das Miteinander, Achtung und Respekt voreinander. Man begreift wahrscheinlich erst wirklich, welch ein großes Wunder dieses Leben und dieser wundervolle Planet mit all seinen Lebewesen ist, wenn aus einem Wesen, den man geliebt hat, alles Leben verswunden ist. Und bei einer Geburt natürlich. So ein Wunder! Aber am Ende war nur ein kurzer, einzigartiger Besuch. Jede Sekunde ein wertvolles Geschenk.
Wir wissen so wenig, wer wir sind, was wir in Wahrheit können, was real, was wichtig, was unwichtig ist.
Es ist mir unbegreiflich, dass wir zwei Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg, so abgestumpft sind, dass wir zu Abend essen, während wir uns Bilder von Kämpfen, Toten und Krankheiten ansehen. Erzählen wir dazu auch viel mehr andere Geschichten. Es wäre ein schönes, längerfristiges Experiment.
Die Stille ist jedenfalls immer sehr heilsam. Selbstreflexion, einen Schritt zurücktreten und so manches aus einer anderen Perspektive zu betrachten und wenn möglich, über sich selbst zu lachen. Herrlich, wenn einem das gelingt!
Im Theater sollten, wie bisher Geschichten von Menschen aus Fleisch und Blut erzählt werden. Mit Herz. Das Theater kann nur dann transformative Kraft entfalten, wenn es berührt.
Leben ist Veränderung. Jeder Mensch, jede Bevölkerung und auch dieser Planet sind ständig in Bewegung, immer im Werden und Vergehen und in Kreation. mal ist es kalt, wo es zuvor heiß war und umgekehrt und Menschen
Was liest Du derzeit?
Tom Mus ll. Die Sprache der Wale. Sehr faszinierend, wenn man sich für die Kommunikation von Tieren interessiert.
Und sonst lernen ich gerade Dänisch und tauche in alles Mögliche ein, was leicht zu lesen ist, aber vielleicht noch keinen literarischen Wert hat.
Welches Zitat, welchen Texmpuls möchtest Du uns mitgeben?
“Yesterday I was clever, so I wanted to change the world. Today I am wise, so I am changing myself.” (Rumi)
Vielen Dank für das Interview, liebe Andrea, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Schauspiel-, Kunstprojekte und persönlich alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen: Andrea Beatrix Schramek, Schauspielerin, Fotografin, Autorin, Historikerin.
Zur Person: Andrea Beatrix Schramek, geboren in Wien. Studium Geschichte/Kunstgeschichte, sowie Französisch, Italienisch und
Theaterwissenschaften an der Universität Wien. Arbeitete zunächst in Galerien, Museen und im Antiquitätenhandel, bevor sie mit Andi Hutter das Theater am Alsergrund gründete und eröffnete. 1995 wechselte sie ans Volkstheater Wien, um als Regieassistentin zu arbeiten und nebenbei mehrere private Schauspiel- und Gesangsausbildungen zu absolvieren, sowie Besuch der Filmschule Wien, Beschäftigung mit. Drehbuch, Regie und Arbeit vor der Kamera.
Ab 2000 ist sie als freiberufliche Schauspielerin in Theater, Film (u.a. „Heller als der Mond“ v. Virgil Widrich, „Das unmögliche Bild“ v. Sandra Wollner,…) und Kabarett („Leerpraxis“: Medizin-Musikkabarett mit Dr. Michael Mandak, „Lust aufs Alter“ mit Prof. Peter Scheer, Ensemble-Mitglied bei den Grazbürsten, „Erni & Hermi“ und zwei Solo-Programme) tätig. Zahlreiche Lesungen (Lavant Gesellschaft, Gmundner Festwochen, Schallaburg, Ö1-Radiogeschichten) und Zusammenarbeiten mit Musikern (z.B. Ensemble Minui, Peter Gabis, Jean-Luc Bredel, Smart Metal Hornets, Edgar Unterkirchner, Helmut Stippich, Michael Publig, Trio Frizzante,…ect.). Nach dem Tod ihres Lebensgefährten, begann sie wieder mehr zu schreiben und zu fotografieren. Seit 2016 verfasste sie
Artikel über Filmfestivals, Klassische Konzerte, führte Interviews und fotografiert für Kulturwoche, das Lisztfestival, die Zeitschrift „Menschen“ (für Menschen mit Behinderung) und die Segelzeitschrift „Ocean 7“. 2018 kehrte sie nach Wien zurück. Jury u.a. für Filmfestival Bozen, das Intern. Shortfilmfestival Montecatini. Derzeit ist sie mit dem Solo-Stück „Kiki van Beethoven“ v. Éric-Emmanuel Schmitt, auf der Bühne zu sehen – und zu buchen.
Foto: Michaela Krauss-Boneau
Walter Pobaschnig _ 30.8.2024