Liebe Alla Leshenko, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Völlig unglamourös, um ehrlich zu sein. Aufwachen, Frühstück, Kaffee, den Arbeitsplan für den Tag checken, arbeiten, Sport, kochen, essen usw. Zwischendurch immer wieder durch die Wohnung wuseln und auf Social Media aktiv sein, sonst war’s das mit der Kundschaft. Ab und zu kommen auch etwas aufregendere Aktivitäten hinzu wie Einkauf oder Elternsprechtag …Das könnte man eintönig nennen. Ich empfinde dieses Durchgetaktete und Einfache allerdings als zuverlässig und erdend. Denn die wirklich spannenden Dinge finden in meinem Kopf statt.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ambivalenz aushalten. Aushalten generell. Andere Meinungen*, Lebensweisen, Erfahrungen, Hintergründe. Nicht direkt beleidigt sein, sich diskriminiert fühlen oder den Untergang des Abendlandes auf uns zurollen sehen.
Individualität und Individualisierung sind natürlich was Schönes und Erstrebenswertes, führt aber oft dazu, dass immer kleinere Gruppen von „uns“ gebildet werden, die sich im Widerstand zu „den anderen“ sehen.
Damit meine ich nicht nur Links gegen Rechts oder Arm gegen Reich. Das Unvermögen, Ambivalenz zu akzeptieren, manifestiert sich im sogenannten woken Spektrum, dem ich mich selbst zuordne, so stark wie noch nie. Jeder will heiliger sein als der Papst. Jeder will der bessere Veganer, Energienutzer, Mindereitenversteher sein. Wegen Nichtigkeiten werden Freundschaften gekündigt. Nicht nur digital. Zum Mäusemelken.
*Hass und Hetze sind keine Meinung.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Kunst/Literatur ist da, um zu beobachten. Sie ist der Spiegel der Gesellschaft. Gleichzeitig besitzt sie aber eine unfassbare visionäre Kraft und ist in der Lage, dort Wege aufzuzeigen, wo die meisten sie übersehen würden.
Was liest Du derzeit?
Vor ein paar Tagen habe ich „Männer, die die Welt verbrennen“ von Christian Stöcker beendet. Was als Nächstes kommt, weiß ich noch nicht, spiele aber mit dem Gedanken, zum zigsten Mal „Der Talisman“ von Stephen King und Peter Straub zu lesen.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Für mehr Gelassenheit in der Gesellschaft möchte ich aus Astrid Lindgrens „Michel bring die Welt in Ordnung“ zitieren.
„Alles zu seiner Zeit“, sagte Michels Mama. „Katechismus zu seiner Zeit und Käsekuchen zu seiner Zeit.“

Vielen Dank für das Interview, liebe Alla, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen: Alla Leshenko, Schriftstellerin
Zur Person: Alla Leshenko ist Schriftstellerin, Lektorin, Content-Managerin, Horror-Fan und menschenliebende Misanthropin. Als staatlich zertifizierte, linksgrünversiffte Expertin für alles gibt sie nur zu gerne ihren Senf zu politischen und gesellschaftlichen Themen ab.
Im Frühjahr 2005 ist sie aus Usbekistan nach Deutschland gekommen. Die Landessprache hat sie vor Ort autodidaktisch erlernt. Mittlerweile bezeichne sie Deutsch als ihre zweite Muttersprache.
Zu ihren literarischen Vorbildern gehören unter anderem Stephen King, Astrid Lindgren, Salman Rushdie und Oscar Wilde.
Walter Pobaschnig _ 17.8.2024