„Die Zeiten sind konservativer, als sie vorgeben zu sein“ Fanny Holzer, Schauspielerin _ Wien 9.8.2024

Liebe Fanny Holzer, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich stehe auf und bin „morgens immer müde, aber abends werd ich wach“. Das trifft auf mich vollkommen zu. Das ist schon auch ein Grund, weshalb ich das Theater liebe. Ich liebe es, wenn der Tag langsam zu Ende geht und einen Glanz bekommt. Der Abend und die Nacht haben eine Ruhe und verbergen für mich eine Kreativität und Freiheit in sich, die der Tag so nicht hat. Die logische Schlussfolgerung ist, dass ich, wenn es geht auch gerne länger schlafe, natürlich ist das meistens nicht möglich und ich merke, dass es mir gut tut gezwungen zu werden früher aufzustehen.

Wenn ich gerade probe ist der Tag ziemlich durchgetaktet. Ich gehe morgens und abends zur Probe und in der Zeit dazwischen ist mein Kopf auch mit dem Stück und dem künstlerischen Prozess, in dem ich mich gerade befinde, beschäftigt. Sehr schätze ich zurzeit das häufig stattfindende Mittagessen mit Kolleg:innen. Austausch tut gut und ist wichtig für den Prozess und so sind diese Mittagessen sehr gemeinschaftlich und oft wahnsinnig lustig. Ein guter Ausgleich, den ich sowohl produktiv, als auch entspannend empfinde.

Vor der Abendprobe mache ich dann noch einiges. Textlernen, Mails beantworten, spazieren gehen, Gedanken zusammenschreiben,.. und dann schleicht sich langsam die Freiheit der Nacht heran und legt sich über die Abendprobe oder die Vorstellung. 

Fanny Holzer, Schauspielerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Die Augen zu öffnen, kritisch zu sein, aber auch die Gemeinschaft und das Miteinander nicht zu vergessen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Stehen wir gerade wirklich vor einem Aufbruch und Neubeginn? Könnte der nicht jederzeit sein oder war er vielleicht schon?

Ich denke die Kunst hat die Möglichkeit jederzeit einen Aufbruch oder Neubeginn zu initiieren. Ob der gelingt, ist von einigen Faktoren abhängig. Sozusagen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Es ist wahrscheinlich wichtig den Zeitgeist zu verstehen und zu bemerken was Menschen an diesem oder jenem Ort gerade brauchen oder verlangen.

Im Moment gibt es viele Aspekte, die zu einer Teilung unserer Gesellschaft führen. Die Zeiten sind konservativer, als sie vorgeben zu sein. Es passieren einige emanzipatorische Rückschritte, die noch vor einigen Jahren zu einem Aufschrei geführt hätten. Durch den Konsum von Social Media beobachte ich, dass von vielen jungen Menschen äußerst traditionelle Werte verfolgt und ausgelebt werden, die in jedem Fall zu keinem „Neubeginn“ im positiven Sinne führen. Durch Verbote, wie das Genderverbot, das zum Beispiel in Hessen und Bayern durchgesetzt wurden, wird vorgeschrieben, dass Schüler:innen in schriftlichen Arbeiten nicht mehr Gendern dürfen und dies als Fehler angerechnet wird. Wo beginnt der Wandel, wenn nicht in unserer Sprache? Die Sprache ist der erste Schritt zur Veränderung des Denkprozesses. Wir dürfen nicht faul werden, denn nur durch eine kleine Überwindung kann sich Neues und Fruchtbares entwickeln.

Was liest Du derzeit?

„Das Ende ist nah“ von Amir Gudarzi. Nachdem ich schon Anfang des Jahres bei einer Lesung war, komme ich nun im Sommer endlich dazu. Ein Roman über die Flucht eines Menschen, Studenten und Künstlers, der auf Grund von Protesten im Iran sein Land verlassen muss und in Österreich zum Flüchtling wird. Er erzählt auf poetische Weise von erschütternden Erfahrungen in Österreich als Flüchtling. Über Einsamkeit, Verachtung, Demütigung aber auch die Liebe.
Ich habe 2022 in seiner Uraufführung von „Wonderwomb“, welches den Kleistförderpreis 2022 gewann gespielt. Regie führte Eva Lange. Wir spielten das Stück bei den Kleist-Festtagen in Frankfurt (Oder) und so lernte ich Amir Gudarzis kennen. Seine ernsthafte aktuelle Arbeit und Poesie. Uns verband der Wiener Schmäh.  

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Ich zitiere jetzt einfach mal aus „Zwei Herren von Real Madrid“ von Leo Meier, da ich daran gerade probe:

„Ihnen allen ein frohes neues Jahr und enormen Reichtum.“

Fanny Holzer, Schauspielerin

Vielen Dank für das Interview, liebe Fanny, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Schauspielprojekte und persönlich alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen: Fanny Holzer, Schauspielerin

Zur Person: FANNY HOLZER, geb.1997, Wien.

AUSBILDUNG
2017-2021 Diplomstudium Schauspiel,
Kunstuniversität Graz

AUSZEICHNUNGEN
Genderpreis 2021 der Kunstuniversität Graz für
„Zimmer 223 oder die Realität wurde hergestellt von einem Tapetenhersteller“
künstlerische Diplomarbeit – Fanny Holzer

THEATER
2022/2023: festes Ensemblemitglied am Hessischen Landestheater Marburg
2021/2022: festes Ensemblemitglied am Volkstheater Rostock
2020/2021: Studio am Hessischen Landestheater Marburg
2019/2020: Gast am Schauspielhaus Graz

ROLLEN AUSWAHL

2024
Zwei Herren von Real Madrid, Leo Meier, Paterin, Regie: Joachim Gottfried Goller,
Hessisches Landestheater Marburg
Archiv der Tränen Magdalena Schrefel, Regie: Antigone Akgün, Hessisches Landestheater
Marburg
Die Guten, Rebekka Kricheldorf, Fortitudo, Regie: Angelika Zacek, Hessisches Landestheater
Marburg

2023
Die Präsidentinnen, Werner Schwab, Mariedl, Regie: Maxime Mourot, Hessisches
Landestheater Marburg
Ein Sportstück, Elfriede Jelinek, Elfi Elektra, Regie: Carola Unser-Leichtweiß, Hessisches
Landestheater Marburg
Der gute Mensch von Sezuan, Bertolt Brecht, Shen Te/Shui Ta, Regie: Milena Mönch,
Hessisches Landestheater Marburg

2022
Der Herzerlfresser, Ferdinand Schmalz, Fauna Florentina, Regie: Maxime Mourot, Hessisches
Landestheater Marburg
Wonderwomb (UA), Amir Gudarzi, Regie: Eva Lange, Hessisches Landestheater Marburg,
Gewinnerstück des Kleist-Förderpreises 2022, Eröffnungsstück der Kleist-Festtage 2022,
Kleist Forum, Frankfurt (Oder)
Der Kirschgarten, Anton Tschechow, Dunjascha, Regie: Krzysztof Minkowski, Volkstheater
Rostock

2021
Frauen im Parlament, Stückentwicklung nach Weibervolksversammlung von Aristophanes,
Praxagora, Text und Regie: Sören Hornung, Volkstheater Rostock
Herr Puntila und sein Knecht Matti, Bertolt Brecht, Regie: Elina Finkel, Volkstheater Rostock

2020
Glaube Liebe Hoffnung, Ödön von Horváth, Herr und Frau Amtsgerichtsrat, Regie: Eva Lange, Hessisches Landestheater Marburg
Mortale Piccolo, Text und Regie: Katharina Grosch, Hochschule für Musik und Theater
Hamburg

2019
Die Leiden der jungen Wärter, Fräulein Foncé, Text und Regie: Nele Stuhler und Jan
Koslowski, Schauspielhaus Graz
Maß für Maß, William Shakespeare, Frau Maier und Herzog, Regie: Alexander Marusch,
Sommertheater im Burggarten Graz

2018
UniSex –Queerlounge, Konzept und Durchführung: Rosemarie Brucher und Ute Rauwald,
Schauspielhaus Graz

2017 europisch, Europa, Regie: Katrin Artl, Burgtheater Wien

FILM AUSWAHL

2021
Zimmer 223 oder die Realität wurde hergestellt von einem Tapetenhersteller, künstlerische
Diplomarbeit – Fanny Holzer
2020
Das Haus am See, Nicki, Regie: Nina Kusturica
2019
7,2 m², Regie: Elias Rauchenberger

Fotos_ Volker Schmidt

Walter Pobaschnig _ 5.8.2024

https://literaturoutdoors.com

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