„das Spiel um seiner selbst willen ist der subversivste Akt“ Thomas Kamper, Schauspieler _ Wien 29.7.2024

Lieber Thomas Kamper, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Unabhängig von den ständig sich ändernden Umständen praktiziere ich fast täglich die Arbeit mit dem Körper, mit Stimme und Sprache, Entspannung, Konzentration und, seit einigen Jahren, Zazen (allein und in einer Gemeinschaft).

Thomas Kamper, Schauspieler, Regisseur, Autor

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Die Illusion, dass alles immer besser wird, wie einen übergroßen Luftballon zerplatzen lassen, den Glauben aufgeben an Wachstum und Expansion, der auf subtile Weise versklavt und mir die Ursache des grassierenden Ohnmachtsgefühls zu sein scheint, das uns zu Zuschauern der Zerstörung der Demokratien und unserer Lebensgrundlagen macht. Die Wirklichkeit zu sehen wie sie ist, mag bitter sein, macht aber handlungsfähig und berechtigt erst zu heimlichem Optimismus.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Die Frage, ob und wie Kunst Stellung beziehen soll, ist schwierig zu beantworten, und die versuchte Antwort vielleicht paradox. Ich habe Projekte erlebt, die für sich in Anspruch nahmen, Stellung zu beziehen, und in Wahrheit durch die Art, wie sie zustande kamen, Förderer der Umstände waren, die anzugreifen sie vorgaben. Andererseits ist das Spiel um seiner selbst willen der subversivste Akt, der sich denken lässt, ein Spiel, das dem ihm innewohnenden Risiko nicht ausweicht, ein Risiko, das allzu oft vermieden wird zugunsten einer Konditionierung, die für ein reibungsloses Funktionieren des Produktionsmarktes notwendig ist. Glücklicherweise habe ich solche Expeditionen mit ungewissem Ausgang erlebt, in welchen Scheitern und Gelingen keine Begriffe mehr sind, und in ihnen fühlte ich mich am lebendigsten, und die, die zugeschaut haben, auch. Ich habe vor, diesen Weg weiterzugehen.

Was liest Du derzeit?

Ich lese zurzeit (und eigentlich schon lange) vor allem Lyrik, von deren bekannten Anfängen bis zur Gegenwart, immer mit verschiedenen Schwerpunkten, die ein paar Wochen andauern. Ich brauche diese konzentrierte Welterfahrung als Rückzug von Geschichten und Figuren.

Die Aufmerksamkeit, die das Gedicht allem ihm Begegnenden zu widmen versucht, sein schärferer Sinn für das Detail, für Umriss, für Struktur, für Farbe, aber auch für ‚Zuckungen‘ und die ‚Andeutungen‘, das alles ist, glaube ich, keine Errungenschaft des mit den täglich perfekteren Apparaten wetteifernden (oder miteifernden) Auges, es ist vielmehr eine aller unserer Daten eingedenk bleibenden Konzentration. – ‚Aufmerksamkeit‘ – erlauben Sie mir hier, ein Wort von Malebranche zu zitieren – ‚Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele‘.“ (Paul Celan)

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Die Drei Seltsamsten Worte

Sag ich das Wort Zukunft,

ist seine erste Silbe bereits     

    Vergangenheit.

Sag ich das Wort Stille,

vernichte ich sie.

Sag ich das Wort Nichts,

schaffe ich etwas, das in

    keinem Nichtsein

Raum hat.

(Wislawa Szymborska)

Vielen Dank für das Interview, lieber Thomas, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theater-, Kunstprojekte und persönlich alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen: Thomas Kamper, Schauspieler, Regisseur, Autor

Zur Person: Thomas Kamper, geboren in Wien, Konservatorium (Klavier, Theorie), Schauspielschule Krauss, Dramatisches Zentrum. Arbeitet seit 1980 als vorwiegend freischaffender Schauspieler, bisher in rund 200 Produktionen. (Burgtheater, Volkstheater, Theater in der Josefstadt, Salzburger Landestheater, Stadttheater Klagenfurt, Gruppe 80, Schauspielhaus Wien, Theater der Jugend, Theater in der Drachengasse, Werk X, Theater Hamakom, Theater Scala, Berliner Schlossparktheater, Salzburger Festspiele, Festspiele Reichenau, Sommerspiele Melk und in zahlreichen verschiedenen Gruppierungen). Von 2005 bis 2015 Ensemblemitglied des Wiener Volkstheaters. Erster Träger des Dorothea-Neff-Preises als bester Schauspieler der Saison 2010/2011. Mehrere Arbeiten als Regisseur, darunter auch eigener Texte.

Foto_ privat

Walter Pobaschnig _ 28.7.2024

https://literaturoutdoors.com

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