„Dass wir uns auf unsere hart erkämpften, wertvollen demokratischen Werte (rück)besinnen sollten.“ Martina Berscheid, Schriftstellerin _ Homburg/Saar 20.7.2024

Liebe Martina Berscheid, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich stehe in der Regel früh auf, selbst an den Wochenenden, weil ich da am ehesten Zeit habe zum Schreiben. Zunächst gehe ich mit meiner Hündin in den Wald. Der Wald, übrhaupt die Natur, ist für mich Inspirationsort, da klären und sortieren sich Gedanken, kommen Ideen. Schreiben findet ja nicht nur am Schreibtisch statt, die Denkarbeit dazu, die nimmt bei mir sehr viel Raum ein. Im Kopf bin ich sehr viel mit meinen Projekten beschäftigt.

Danach nehme ich mir Zeit für ein ausgiebiges Frühstück, das mir Kraft für die Anforderungen des Tages gibt und meine liebste und wichtigeste Mahlzeit ist.

Mehrmals die Woche arbeite ich danach in meinem Brotjob bis in den Nachmittag, widme mich der Familie, dem Garten, meiner Hündin. In den Zeitnischen dazwischen schreibe ich (am Notebook oder per Hand in meine Notizbücher).

Am liebsten ist mir jedoch der Morgen, auch als Schreibzeit, und wenn ich frei habe und ich ihn für meine Projekte nutzen kann, macht mich das glücklich.

Martina Berscheid, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Dass wir uns auf unsere hart erkämpften, wertvollen demokratischen Werte (rück)besinnen sollten. Rassismus, Misogynie, Queerfeindlichkeit und Hass widersprechen. Dagegen anschreiben. Gleichzeitig sollten wir uns bewusst machen, wie wir miteinander umgehen, an einer Umgangskultur mit mehr Toleranz und Wertschätzung arbeiten. Dass wir uns kritisch hinterfragen. Auch zur Bewältigung der Klimakrise, die alle betrifft, ist Zusammenhalt wichtig.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Wesentlich finde ich, dass der demokratischen und sozialen Bildung mehr Raum und auch Geld eingeräumt wird. Dass diejenigen gestärkt werden, die sich dafür einsetzen. Dass sich jede(r) fragt: Was kann ich tun? Außerdem mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander. Marginalisierte Gruppen stärken. Solidarität. Literatur und Kunst kommt da eine besondere Rolle zu, indem Missstände thematisiert werden, der Finger in die Wunde gelegt wird. Über Literatur und Kunst erfolgt auch ein anderer Zugang zu diesen Themen.

Da ich Autorin bin, kann ich das für die Literatur etwas ausführen: Beim Schreiben widme ich mich immer auch gesellschaftlichen Themen. Mal leiser, mal lauter. Aber immer so, dass ein Gefühl zurückbleibt, eine Unruhe. Manchmal auch Wut. Etwas, das herausfordert, sich mit dem Text und darüber hinaus mit den Themen zu beschäftigen. Oder mit den Figuren, deren Rollen. Literatur kann ein Anstoß sein.

Was liest Du derzeit?

„Frauenliteratur“ von Nicole Seifert (Kiepenheuer & Witsch) – ein großartiges Buch, in dem die Autorin die systematische Benachteiligung von Frauen und damit eine Form von Misogynie im Literaturbetrieb und der Literaturgeschichte aufzeigt. Ein Buch, das ich nur jeder und jedem empfehlen kann.

Zudem „Black Vodka“ von Deborah Levy (Kampa Verlag), großartige Kurzprosa.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„… manche Menschen brauchen die Worte anderer, um Zugang zu sich selbst zu finden. Deswegen ist Literatur so wichtig.“

(Aus meiner Kurzgeschichte: „Die Worte anderer“, erschienen in „Am Grab von Joseph Brodsky: 30. Würth Literaurpreis, Swiridoff Verlag, 20. Oktober 2019)

Vielen Dank für das Interview, liebe Martina, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen: Martina Berscheid, Schriftstellerin

Zur Person: Martina Berscheid, geboren 1973 in Kaiserslautern, studierte Biologin, schreibt Prosa – Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane -, aber auch Haikus. Sie liebt vielschichtige Figuren und hat ein Faible für Sprachbilder. In ihren Texten lotet die Autorin die Beziehungen zwischen den Menschen aus, das Ungesagte, Verborgene. Einige ihrer Kurzgeschichten wurden in Anthologien und Literaturzeitschriften publiziert.

2015 erhielt sie den Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreis der Stadt Saarbrücken.
Veröffentlichungen: „Leichtgewichte“, (Erzählungen, 2017), „Das Echo unseres Schweigens“, (Roman, 2018, Rabenwald Verlag, „Die Klassenkameradin“, (2023, Edition Schaumberg,   2020 Longlist des Blogbuster-Preises), „Fremder Champagner“ (Erzählungen, April 2024).

Martina Berscheid lebt mir ihrer Familie in Homburg/Saar.

Aktueller Erzählband von Martin Berscheid:

„Ein Familienfest, scheinbar ohne konkreten Anlass. Und wie immer in den letzten Jahren dominieren Belanglosigkeiten und Sticheleien das Gespräch – über wirkliche Probleme sprechen weder die drei erwachsenen Kinder noch ihre Eltern. »Nirgends wird so viel gelogen und verschwiegen wie in Familien«, denkt Claire. »Oder ist das nur in unserer so?« Doch dann werden die Geschwister unverhofft mit ihren Kindheitserinnerungen konfrontiert …

Fünfzehn Erzählungen über Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen, einfühlsam und genau beobachtet, mit einem feinen Gespür für Stimmungen und zwischenmenschliche Beziehungen. Spannend und mit überraschenden Wendungen.“

Martina Berscheid:
Fremder Champagner
Erzählungen
Mirabilis Verlag, 16.04.2024
ISBN 978-3-947857-25-8
Hardcover, Schutzumschlag, Fadenheftung
Umschlaggestaltung: Florian L. Arnold, „THE MORE YOU SEA“, 2021
236 Seiten
24 €

https://mirabilis-verlag.de/produkt/martina-berscheid-fremder-champagner-erzaehlungen/

Foto _ privat.

Walter Pobaschnig _ 17.7.2024

https://literaturoutdoors.com

Hinterlasse einen Kommentar