Liebe Marie-Therese Vollmer, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ein Kuss, ein Kaffee und eine schnelle Dusche — die heilige Dreifaltigkeit meines Aufstehens. Dann ein kurzer Spaziergang (wenn ich nicht mit meinem Rad ‚Gurki‘ unterwegs bin) durch den Lendhafen zu meinem Arbeitsplatz im CoWorking Space mit den wunderbarsten Menschen. Und dann kommt es darauf an, was gerade los ist, welche Projekte anstehen und in welcher Phase sich diese befinden. Manche Tage stecken voller Austausch und Im-Außen-Sein. Andere bestehen wiederum daraus, dass alles in mir zu sortieren und dafür Worte, Klänge, Bilder zu finden.

Aktuell stehen Recherchen für ein neues Dokumentarfilm-Projekt an und ich finde es immer wieder spannend, mich in ein neues Feld hineinzugraben, mich mit unterschiedlichen Perspektiven zu befassen und zu konzeptionieren.
Parallel spielt die Musik immer eine wichtige Rolle und Gitarre Luise hat nur selten Tage, an denen ich sie nicht zumindest für ein paar Minuten zur Hand nehme.

Im Sommer in Kärnten/Koroška zu sein, ist natürlich ein Privileg; ein Abstecher zum See für eine kleine Abkühlung oder auch um sich zwischendurch mal das Hirn zu waschen (Hirne waschen und ab ins Bett von meta bene – eine absolute Empfehlung), ist schon immer wieder drin und ein großes Stück Lebensqualität.
Was die Abendgestaltung angeht: Wir haben grandiose Kunst- und Kulturschaffende, die hier ein vielseitiges Angebot stemmen, oft mit sehr ‚ausbaufähigen‘ Mitteln… (Falls jemand Geld loswerden möchte, ich hätte Vorschläge.)

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Genügend Trinkwasser und weltweite Lebensmittelsicherheit – for starters. Die Ressourcen, die unsere ganz existenziellen Bedürfnisse betreffen, sind nicht endlos und nicht selbstverständlich. Es wäre hilfreich, wenn wir uns darauf endlich verständigen.
Ansonsten würde ich sagen: Dass wir uns einander zuwenden und dabei offen bleiben. Dass wir uns auf Augenhöhe begegnen und gemeinsam an Wegen, an Lösungen arbeiten, statt uns gegenseitig das Leben unnötig schwerer zu machen, als es ohnehin oft ist.
Was es dafür meiner Meinung nach braucht: Empathie. Liebe. Mut. Zuversicht.

Eine Voraussetzung dafür ist, glaube ich, eine gesunde Beziehung zu sich selbst. Und was ich uns allen zudem sehr wünsche, weil es vieles leichter macht: Humor.
Mein Vater ist im letzten Jahr an Krebs gestorben. Und auf diesem harten Weg hat er es geschafft, sich seinen großartigen Humor zu bewahren. Das hat mich tief beeindruckt und viele Situationen erträglicher gemacht.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Musik, der Kunst an sich zu?
Was mich an der Musik immer und immer wieder aufs Neue fasziniert, ist diese unmittelbare Wirksamkeit. Da entsteht sofort ein Resonanzraum… Es lässt sich ein Gefühl von Verbundenheit herstellen zwischen völlig fremden Menschen. Das ist einer der Aspekte, die ich am live spielen so unendlich liebe.
Musik verbindet uns. Obwohl mir Worte so wichtig sind und der Fokus bei meiner Musik ja meistens auf den Texten liegt, ist die Musik die universelle Sprache, die immer vermitteln kann. Letztens hab ich ein ganz kleines intimes Konzert in Dortmund gespielt und da war ein junger Mann aus der Ukraine, der noch sehr wenig Deutsch verstanden hat. Am Ende des Abends haben wir uns unterhalten und er sagte: i don’t understand much, but i feel. Das bringt es schön auf den Punkt, finde ich. Und das gilt für Musik ebenso wie für die Kunst allgemein. Sie führt uns manchmal tief in uns hinein, aber auch aus uns hinaus.

Ich finde auch, dass Irritation eine große Stärke der Kunst ist, die ungemein wichtig ist und die wir immer (mehr) brauchen. Während Algorithmen uns mit unseren eigenen Meinungen aus unseren Bubbles füttern, kann die Kunst uns diese Blasen immer wieder aufstechen, uns mit anderen Sichtweisen und Zugängen konfrontieren oder uns sogar zu neuen Ansätzen inspirieren.
Was das Medium Film betrifft, sehe ich ganz viel Kraft im Eintauchen-Können in andere Lebensrealitäten, Erfahrungswelten, im Aufmachen von Möglichkeitsräumen, dem neuen In-Beziehung-Setzen verschiedener Perspektiven auf ein Thema.
Wenn gute Dokumentarfilme so viel gesellschaftlichen Einfluss nehmen würden wie Hollywood auf die Vorstellung von „romantischer Liebe“ wäre auch viel gewonnen, glaube ich.
Was liest Du derzeit?
Menata Njie: In der Drehtürfalle +
Maria Cervenka: Der Kirschbaum +
Sontag. Her Life, eine Biographie über Susan Sontag geschrieben von Benjamin Moser.
Welchen Textimpuls / welches Zitat möchtest Du mitgeben?
Aus dem eben genannten Werk über Susan Sontag:
Q: Do you succeed always?
A: Yes, I succeed thirty percent of the time.
Q: Then you don’t succeed always.
A: Yes, I do. To succeed 30 % of the time is always.
- From the journals of Susan Sontag, November 1, 1964
Und von George Elliot:
„What do we live for, if not to make life less difficult for each other?“

Foto: Lendhauer Saisoneröffnung 2024, Präsentation Postkartenbuch_Klagenfurt
Vielen Dank für das Interview, liebe Marie-Therese, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Musik-, Film-, Kunstprojekte und persönlich alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Marie&Luise _ Marie-Therese Vollmer _ Filmschaffende, Liedermacherin, Musikerin.
Zur Person: Marie-Therese Vollmer, Erdenbewohnerin mit Lebensmittelpunkt Klagenfurt/Celovec.
1987 geboren in Northeim (De).
Abschluss Masterstudium Angewandte Kulturwissenschaft an der Alpen-Adria-Universität.
2017 Einstieg in die Filmbranche durch Mitarbeit am Kino-Dokumentarfilm MIND THE GAP (Regie: Robert Schabus). Tätigkeiten von Recherche und Konzeptarbeit über Produktionsassistenz zu Aufnahmeleitung und Regieassistenz (z.B. alpenland-film.at)
Kurzfilmprojekte mit Bertram Knappitsch, u.a. KINDER MACHEN KINO, gelebte Filmvermittlung mit Kindergarten- und Schulkindern.
Unter dem Namen MARIE & LUISE als Liedermacherin aktiv. Auftritte u.a.: FM4 Protestsongcontest 2022; Dolga noč žensk; VISIBLE Festival — 72 Stunden Feminismus.
2022 Debütalbum doppelleben: marieundluise.bandcamp.com .
2023 erste Filmmusik für Dokumentarfilm (Gitarre, instrumental).
2024 Mitarbeit an Musik(-Komposition) für Kinderhörbücher.
Fotos _ 1-6 Helga Rader; 7 Johannes Puch.
Walter Pobaschnig _ 28.6.2024