Station bei Undine _ „diese Welt in ihrer Vielfalt und Schönheit noch möglichst lange zu erhalten“ Patrizia Leitsoni, Schauspielerin _ Wien 15.6.2024

Patrizia Leitsoni, Schauspielerin, Sängerin_ Wien
performing „Undine geht“ _
„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.
Patrizia Leitsoni, Schauspielerin, Sängerin_ Wien
performing „Undine geht“ _
„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.

Patrizia Leitsoni, Schauspielerin, Sängerin_ Wien _

performing „Undine geht“.

„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.

Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Fotos_Donau_Wien.

Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.

Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.

Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.

Liebe Patrizia Leitsoni, wie liest Du den Text „Undine geht“ von Ingeborg Bachmann? Welche Grundaussagen gibt es da für Dich?

Gleichberechtigung und Gleichstellung benötigen Aufmerksamkeit. Ist es eine Frage von Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen? Warum unterdrücken Personen/Gruppen oder Gesellschaften andere Personen/Gruppen? Erst wenn verstanden wird, dass durch Vielfalt eine Bereicherung und Wachstum für alle erfolgen kann, besteht eine Chance, dass Ungerechtigkeit aufhört.

Wie siehst Du „Undine“?

Undine erkennt die Probleme zwischen den Geschlechtern im Kontext ihrer Zeit und kann es auf sprachlicher und emotionaler Ebene greifbar machen. Die Erkenntnis bleibt in ihrem Inneren und daran geht sie schließlich auch zugrunde. Sie denkt und fühlt emanzipiert und ist somit sicherlich eine Vorreiterin ihrer Zeit. Sie ist eine Frau, die aufgrund ihres Intellektes die gesellschaftliche Ordnung hinterfragt und anzweifelt. Schade, dass der einzige Ausweg darin besteht, sich dieser ungerechten Welt zu entziehen, anstatt sie zu revolutionieren.

„Undine geht“ wurde vor gut 60 Jahren veröffentlicht. Was hat sich seit damals im Rollenbild von Frau und Mann verändert und was sollte sich noch ändern?

Glücklicherweise ist zumindest auf dem Papier die Gleichstellung angekommen. In der Praxis müsste definitiv noch mehr passieren, z. B. gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, Gleichberechtigung in sozialen und gesundheitlichen Berufen. Ansichten müssen verändert werden: Pflege, Bildung, Kinderbetreuung sind nicht überwiegend Aufgaben, die an Frauen hängen bleiben sollten – dafür müssen aber die Wertigkeit, Wichtigkeit und der Respekt für diese Aufgaben um ein Vielfaches wachsen. Es muss auch selbstverständlicher werden, dass Frauen Führung und Verantwortung übernehmen und es muss ihnen gestattet sein, dies auf ihre eigene Art und Weise zu tun.

Der Monolog geht mit der patriarchalen Gesellschaftswelt schonungslos ins Gericht. Wie siehst Du die Situation patriarchaler Macht heute?

Sie ist wohl in den meisten Gesellschaften das praktizierte System. Es sind Fragen zu stellen, allen voran: Warum ist das so? Ich möchte hier aber auch eine Lanze für die Männer brechen: ich kenne genügend Männer, die die Gleichstellung ganz selbstverständlich leben. Männer, die ihren Frauen den Rücken freihalten, damit sich diese beruflich verwirklichen können. Männer, die voller Stolz in Karenz gehen, damit sie Zeit mit ihren Kindern verbringen können. Männer, die einen Haushalt führen – kochen, waschen, putzen und aber auch Reifen wechseln und schwere Sachen schleppen. Männer, die psychologische Hilfe annehmen, um sich und ihre Gefühle besser zu verstehen und auch dazu stehen. Bestimmt unken nun einige im Sinne von: „Ja und, das sollte doch selbstverständlich sein, soll ich denen jetzt applaudieren?“ Ja, es sollte selbstverständlich sein und nein, ist es aber noch nicht überall. Und erst, wenn die positiven Beispiele vor den Vorhang geholt werden und somit anderen Mut machen, es jenen gleichzutun, kann Veränderung stattfinden. So wie es ja auch Initiativen gibt, wo Frauen andere Frauen darin bestärken, sich Führungspositionen zuzutrauen oder in „typisch männliche“ Berufe zu gehen. Ich glaube fest daran, dass wenn die letzten alteingesessenen Patriarchaten, die verzweifelt an ihrer vermeintlichen Macht festhalten, weggestorben sind und wenn bis dahin das tatsächliche Umsetzen und Leben von Gleichberechtigung immer lauter unterstützt und positiv verstärkt wird, es letztlich auch im politischen System ankommen wird.

Der Text drückt auch viel Trauer über das Scheitern der Liebe und eines Miteinander der Geschlechter im persönlichen wie gesellschaftlichen Leben aus. Welche Auswege siehst Du da?

Werte wie Respekt, Anerkennung und Unterstützung sollten wieder mehr in die tägliche Sprache und in den persönlichen Umgang einfließen, damit es auch tatsächlich ein MITEINANDER gibt und kein NEBENEINANDER oder GEGENEINANDER. Ich finde es essenziell, dass man seinen Mitmenschen Dank und auch Lob zukommen lässt, so erfolgt gemeinsames Schaffen und Wachstum. 

Was kannst Du als Frau und Künstlerin von „Undine geht“ in das Heute mitnehmen?

Undine hat einen ausgeprägten Zugang zu ihrer Gedanken- und Gefühlswelt – das ist sehr wichtig, um sich zu reflektieren und um sich persönlich entwickeln zu können.

Was bedeutet Dir Natur?

Natur ist ein Ort, um Kraft zu schöpfen, Energie zu tanken, um Stille zu genießen und um Gedanken ordnen zu können. Nicht umsonst sind die Farben der Natur auch meine Lieblingsfarben: blau steht für das Wasser – der Fluss von Energie & Kreativität, grün steht für den Wald – die Stille, das Innehalten, das Verarbeiten von Erlebnissen, grau steht für den Berg – die Kraft, das Unverrückbare, die Grundwerte, die das Innere formen.

Was bedeutet Dir das Element Wasser?

Wasser ist vielseitig. Es ist ruhig und kann einen tragen. Es ist wild, aufgewühlt und kann mitreißen. Es kann auch gefährlich sein, obwohl es lebensspendend ist. Es ist voller Widersprüche und doch beständig. Es ist sanft und kraftvoll. Es schillert in verschiedenen Farben und ist manchmal undurchsichtig, dann wieder ganz klar.

Wie lebst Du den Kreislauf der Jahreszeiten?

Wovon ich sehr beeinflusst bin, ist der Wechsel des Lichts – wie sich das Verhältnis von Tag zu Nacht verändert. Jede Jahreszeit hat etwas Besonderes an sich: der Frühling ist geprägt von Reinigung und dem Wiederaufblühen von Energie. Der Sommer bietet die Möglichkeit, die Natur voll auszuschöpfen – sei es sportlich oder durch die Fülle an frischen Nahrungsmitteln. Im Herbst bietet die Natur ein unglaubliches Farbenspiel und lässt etwas zur Ruhe kommen. Der Winter steht für Rückzug und um den Energiehaushalt zu bilanzieren.

Wie kann der moderne Mensch in Harmonie zur und mit der Welt leben?

Man muss sich darauf besinnen, dass wir nur diese eine Welt haben. Darauf müssen wir aufpassen – sie ist die Grundlage unseres Lebens. Jeder sollte sich kritisch reflektieren und überlegen, welchen Beitrag man persönlich leisten kann, um diese Welt in ihrer Vielfalt und Schönheit noch möglichst lange zu erhalten.

Was braucht Liebe immer, um zu wachsen, blühen?

Augenhöhe, Vertrauen, Ehrlichkeit, Kommunikation, Humor

Was lässt Liebe untergehen?

Egoismus, keine Fähigkeit zur Empathie, Sprachlosigkeit

Wie war Dein Weg zum Schauspiel?

Ich bin mit 18 Jahren nach Wien gezogen, weil ich am Konservatorium der Stadt Wien (heute MUK) im Studiengang „Musikalisches Unterhaltungstheater“ aufgenommen worden bin. Ich bin sehr dankbar für die dreigleisige Ausbildung in Schauspiel, Gesang und Tanz – es ist sehr bereichernd im kreativen Prozess der Rollengestaltung, wenn man aus der Fülle der Möglichkeiten von drei Sparten schöpfen kann.

Welche aktuellen Projektpläne hast Du?

Im Sommer stehe ich im Rahmen des Märchensommers in der Produktion „Der gestiefelte Kater – neu geschnurrt“ auf der Bühne. Ab Herbst gibt es an der Wiener Staatsoper die Wiederaufnahme von „Das verfluchte Geisterschiff“ – einer für Familien adaptierten Version des Fliegenden Holländers, die aufgrund der innovativen Inszenierung von Nina Blum quer durch die Räumlichkeiten des Opernhauses führt. Außerdem habe ich mit einer Kollegin „Vocal Massage Vienna“ gegründet – wir bieten manuelle Techniken speziell für die an der Stimmproduktion beteiligten Muskelgruppen an (Hals, Kehlkopf, Kiefer, Kaumuskulatur, Atemmuskulatur), um einen Beitrag zur Regeneration und Gesunderhaltung der Stimme (insbesondere für Stimmnutzer_innen wie Schaupsieler_innen, Sänger_innen, Sprecher_innen) zu leisten.

Welches Zitat aus „Undine geht“ möchtest Du uns mitgeben?

Mir gefallen folgende zwei Textstellen sehr gut:

„Weil ich zu keinem Gebrauch bestimmt bin und ihr euch nicht zu einem Gebrauch bestimmt wußtet, war alles gut zwischen uns.“

Denn ihr kennt doch die Fragen, und sie beginnen alle mit „Warum?“

Darf ich Dich zum Abschluss zu einem Akrostichon zu „Undine geht“ bitten?

Urteil

Naturverbunden

Denkanstoß

Initiative

Nehmen

Ebenbürtigkeit

Geben

Einsamkeit

Hoffnung

Tabu

Patrizia Leitsoni, Schauspielerin, Sängerin_ Wien
performing „Undine geht“ _
„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.
Patrizia Leitsoni und Walter Pobaschnig 6/24

Alle Fotos & Interview_Walter Pobaschnig

https://literaturoutdoors.com 6/24

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