Lieber Marius Lackenbucher, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Momentan ist mein Tagesablauf nicht sonderlich spektakulär, weil es geradeetwas ruhiger ist, aber das genieße ich, auch weil ich mit Stress ohnehin nicht umgehen kann. Ich mache mir einen entspannten Morgen, schlafe mich aus, genieße eine Tasse Kaffee und/oder Tee, lerne etwas Französisch oder lese.
Dann widme ich mich den Vorbereitungen anstehender Projekte, lerne meinen Text, singe und wenn mich die Muse küsst, versuche ich wieder an eigenen Projekten zu schreiben, von denen nicht sicher ist, ob auch nur eines davon jemals das Licht der Welt erblickt. Ich gehe spazieren, meist im Böhmischen Prater, weil er nicht weit weg von mir ist, gehe Einkaufen und koche.
Und abends arbeite ich entweder die Liste der Filme und Serien ab, die ich mir ansehen möchte, spiele auf der Playstation oder aber ich gehe ins Theater oder Kino. Doch die bevorstehende Probenzeit für das Sommertheater rückt immer näher und dann kehrt auch wieder mehr Struktur in meinen Alltag ein, also genieße ich das entspannte Jetzt wie es ist und lebe in den Tag hinein.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Für uns alle ist gerade sehr wichtig, dass wir uns nicht zu sehr von negativen Emotionen wie Hass oder Angst steuern lassen. Hass ist eine Emotion, die zu unserem menschlichen Wesen gehört und sie hat durchaus auch ihre Berechtigung, aber vor allem wenn sich Hass gegen Personen richtet, dürfen wir nicht vergessen, dass immer noch ein Mensch wie wir auf der anderen Seite steht. Menschen mit einem tiefen und komplexen Wesen wie wir selbst, Menschen mit einer Geschichte, Menschen die wiederum anderen Menschen in ihrem Leben haben die sie lieben und schätzen und die von ihnen geliebt und geschätzt werden und für die es eine Tragödie wäre einander zu verlieren. Ich sehe oft, dass wir einander diese Menschlichkeit absprechen, oder gar nicht erst darüber nachdenken. Und wir urteilen schnell aus der Emotion heraus, was auch verständlich ist, aber deswegen ist es wichtig sich dann nicht vom Hass leiten zu lassen, sondern einen Schritt zurückzugehen und den Menschen auf der anderen Seite zu erkennen. Das ist sehr schwer aber aus Hass kann niemals etwas Gutes entstehen.

Und gleich verhält es sich mit der Angst. Wenn wir Angst haben, dann sind wir sehr fokussiert auf die Dinge, die uns Angst machen und verlieren den Überblick. Angst bedeutet Gefahr, und diese Gefahr gilt es im Auge zu behalten damit wir schnell handeln können – wir bekommen einen Tunnelblick und treffen dann oft Entscheidungen, die uns entweder nicht helfen oder sogar schaden. Und auch hier ist es wichtig sich von der Angst nicht leiten zu lassen, sondern sie wahrzunehmen, zu benennen und zu akzeptieren und mit diesem Bewusstsein die Dinge zu betrachten und zu sagen „Okay, ich habe diese Angst, aber jetzt schau ich mal was hier eigentlich los ist, was sonst noch auf dem Spiel steht, wo meine Angst da vielleicht hineinspielt und wie man da am Besten wieder rauskommt.“ Was uns helfen kann den Hass und die Angst zu überwinden ist offenen Kommunikation – das heißt für mich aufeinander zuzugehen und einander zuzuhören und dadurch versuchen einander und uns selbst besser zu verstehen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Das Theater kann vieles – es bringt Leute zum Lachen, Weinen, Nachdenken und manchmal auch zum Einschlafen. Es kann furchterregend sein, aber auch hoffnungsvoll. Das gesamte emotionale Spektrum kann vom Theater in all seinen verschiedensten Formen abgedeckt werden. Es ist auch eine Möglichkeit, sich selbst und die eigenen Meinungen herauszufordern, unsere Gesellschaft und Systeme zu kritisieren und zu hinterfragen und Diskurse anzustoßen. Dabei ist es wichtig, Dinge anzusprechen, die vielleicht unangenehm sind, mit denen wir uns nicht so gerne beschäftigen wollen. Aber wir leben in einer Zeit, in der wir den unangenehmen gerne aus dem Weg gehen anstatt uns damit zu beschäftigen. Anstatt in eine Diskussion zu gehen und sich mit einem Thema auseinanderzusetzen zu gehen, wird abgeblockt.
Das Theater und die Kunst im Allgemeinen dürfen sich davon nicht mitreißen lassen. Sie müssen frei sein können, frei, um jedem Menschen den Platz bieten zu können, sich zu entfalten. Denn nur so kann das Theater seine Geschichten ehrlich und authentisch erzählen. Und dann liegt es sowieso in den Händen und Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer, was sie damit machen.
Was liest Du derzeit?
Aktuell lese ich zuhause die Semi-Autobiographie von David Lynch „Room To Dream“ und weil das doch ein dickes und schweres Buch ist, habe ich für Unterwegs momentan immer „Serge“ von Yasmina Reza dabei.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Wie sehr die Menschen, die sich zu Hunderttausenden auf einem kleinen Erdenfleck angesammelt hatten, diese Erde, auf der sie sich drängten, zu verunstalten suchten, wie sehr sie sie mit Steinen zupflasterten, damit nichts mehr auf ihr gedeihen konnte, wie sehr sie noch jedes Kräutchen, das da keimte, wegrupften, wie sehr sie alles mit Steinkohle und Petroleum verqualmten, wie sehr sie die Bäume stutzen und Tiere und Vögel samt und sonders verjagten – der Frühling war Frühling, selbst in der Stadt. Die Sonne wärmte, das Gras lebte auf, wuchs und grünte überall, wo man es noch nicht weggekratzt hatte, nicht nur auf den Rasenstreifen der Boulevards, sondern auch zwischen den Steinplatten; Birken, Pappeln und Traubenkirschen entfalteten ihre klebrigen und duftenden Blätter, die Linden spreizten die geplatzten Knospen; Dohlen, Spatzen und Tauben bauten schon frühlingsfreudig ihre Nester, und die Fliegen summten an sonnengewärmten Wänden. Fröhlich waren die Pflanzen, die Vögel, die Insekten und die Kinder. Aber die Menschen – die großen erwachsenen Menschen – hörten nicht auf, sich selbst und einander zu hintergehen und zu quälen. Die Menschen glaubten, heilig und wichtig sei nicht dieser Frühlingsmorgen, nicht diese Schönheit der Welt Gottes, zum Wohle aller Lebewesen gegeben, eine Schönheit, die für Frieden, Harmonie und Liebe einstimmt, nein, heilig und wichtig sei das, was sie sich selbst ausgedacht hatten, um Macht übereinander auszuüben.“ – Auferstehung von Lew Tolstoi
Vielen Dank für das Interview, lieber Marius, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Schauspielprojekte und persönlich alles Gute!

5 Fragen an Künstler*innen:
Marius Lackenbucher, Schauspieler
Zur Person_ Marius Lackenbucher _geboren 1995 in Kärnten. Schauspielausbildung an der Schauspielschule Krauss in Wien (Diplom 2019 mit dem Stück Kunst von Yasmina Reza). Spielte 2019 Schabelskij in Anton Tschechows Ivanov (Off Theater, Regie: Andreas Simma) und Bertl in Ladies Night (Komödienspiele Neulengbach, Regie: Theresa und Joseph Prammer); 2022 als Brian in der österreichischen Uraufführung von Avenue Q im Stadttheater Mödling und dem Theater Scala in Wien (Regie: Marcus Ganser), Becket oder Die Ehre Gottes (Theater Arche, Regie: Dunja Tot), 2023 als Peter Lehmann in Das Wochen-Ende (Komödienspiele Neulengbach, Regie: Theresa und Joseph Prammer), Frederick in Ein ganz besonderer Tag (Theater Heuschreck), Montfleury/Captain Carbon in Cyrano de Bergerac (Stadttheater Mödling/Theater Scala, Regie: Bruno Max) Darüber hinaus zahlreiche Projekte in der Freien Szene.
Fotos_ Corinna Harrer
Walter Pobaschnig _ 12.5.2024