Station bei Bachmann _ „ihre Art zu schreiben hat mir Mut gemacht und eine Tür geöffnet“ Annett Krendlesberger, Schriftstellerin_Wien 19.5.2024

Station bei Bachmann/Malina_
Annett Krendlesberger, Schriftstellerin_Wien_
am Wohnort 1946-49 Ingeborg Bachmanns in Wien und am Romanschauplatz „Malina“ Wien  
Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Liebe Annett Krendlesberger, sind hier an literarischen Bezugsorten des Romans „Malina“ (1971) von Ingeborg Bachmann in Wien, wie auch von biographischen Bezugspunkten der 1946 nach Wien gezogenen Schriftstellerin. Sind Dir die Orte hier, die Umgebung vertraut?

Ich fahre zwar öfter mit dem Rad durch den dritten Bezirk, aber ich bin noch nie hier im Haus Beatrixgasse 26 gewesen.

Welche Bezüge und Zugänge gibt es von Dir zu Ingeborg Bachmann und ihrem Werk?

Im Gymnasium habe ich „Malina“ zum ersten Mal gelesen; besonders das zweite Kapitel, „Der dritte Mann“ hatte es mir damals angetan, diese schonungslose Selbstoffenbarung der Ich-Erzählerin, und die Art, wie Ingeborg Bachmann sich stilistisch über konventionelle Vorgaben der Romangestaltung hinweggesetzt hat; ihre Art zu schreiben hat mir Mut gemacht und eine Tür geöffnet, meine Texte genau so zu gestalten, wie ich es mir vorstelle und mich nicht von meinem Weg abbringen zu lassen.

Wie war Dein Weg zur Literatur, welche Stationen gibt es da?

Ich habe erst ziemlich spät begonnen, Texte zu veröffentlichen; zunächst ausschließlich Prosa in Literaturzeitschriften und Anthologien (wie z.B. in den Lichtungen, Freibord oder Podium), später dann auch Lyriktexte; mittlerweile sind sechs Prosabände von mir erschienen. Wobei DALIEGENDE. UNBEWEGT, mein neuer Band (im Dezember 2023 erschienen), wohl eher als lyrische Prosa zu bezeichnen ist.

Im Roman „Malina“ ist der Hauptschauplatz Wien. Du bist in Wien aufgewachsen. Was bedeutet Dir Wien und welche Erfahrungen machst Du hier als Schriftstellerin?

Ich liebe Wien und möchte in keiner anderen Stadt leben. In gewisser Weise könnte man DALIEGENDE. UNBEWEGT, meinen neuen Band, ja auch als Hommage an Wien und all jene Wiener Künstlerinnen betrachten, deren Namen (und Schicksale) beinah schon in Vergessenheit geraten sind: 2019 gab es eine wunderbare Ausstellung im Unteren Belvedere „Stadt der Frauen. Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938“; sie hat mich so berührt, dass ich begonnen habe, das Buch zu schreiben. 21 Exponate der Ausstellung sind in den Text mit eingeflossen, darunter Werke von Teresa Feodorowna Ries, Mileva Roller, Lilly Steiner, Friedl Dicker-Brandeis u.v.a.; überhaupt werde ich oft durch Ausstellungen inspiriert.

Welche Eindrücke hast Du von den biographischen Bezugspunkten Bachmanns und Romanschauplätzen in der Ungargasse?

In der Beatrixgasse spüre ich eine angenehme, friedliche Energie; der begrünte Innenhof, fast schon ein Park, wäre für mich ein idealer Rückzugsort zum Schreiben. Beeindruckend finde ich die Tore der beiden gleichermaßen herrschaftlichen Altbauten in der Ungargasse, die schon ein wenig auf die Charaktere der Romanfiguren hinweisen: Auf der einen Seite das etwas verspielte schmiedeeiserne Tor in der Ungargasse 6, dem Wohnort der Ich-Erzählerin, das Sicht auf ein Foyer mit weißer Marmorstatue freigibt (die „Ewige Jugend“ als ganz eigener Ausdruck für das Wünschen oder die Sehnsucht, eine Hoffnung …). Und dann im Gegensatz dazu das riesige helle Holzportal in der Ungargasse 9, dem Wohnort Ivans, eines doch eher „nüchternen“ Bankers, dessen Wohnung sich (natürlich) im obersten Stockwerk befindet. Auch die Innenhöfe der Altbauten scheinen einander entgegengesetzt: verwinkelt klein und schattig (unsicher?) versus großzügig, feudal (selbstherrlich?).

Was sind für Dich zentrale Themen und Aussagen des Romans „Malina“?

Der Roman „Malina“ ist für mich in erster Linie ein Ausdruck immensen seelischen Schmerzes, ein Ausdruck von Fassungslosigkeit, ohnmächtigen Entsetzens darüber, dass das Unfassbarste, der Holocaust, und die Verbrechen und Gräueltaten des 2. Weltkrieges, passieren konnte. Dass Derartiges überhaupt möglich war. Die Ich-Erzählerin übernimmt Verantwortung für das unendliche Leid, das in den Menschen seither fortwirkt, von Generation zu Generation, und geht innerlich zugrunde daran.

Möchte sie in einer derartigen Welt leben? (Möchten wir in einer derartigen Welt leben?) Ein Mahnmal. Ein Statusbericht. Der Statusbericht eines Menschen, der im Wissen um die Grausamkeit der Welt innerlich zerbricht. Wie im Grunde jeder Mensch innerlich zerbrechen müsste, wären ihm die entsetzlichen Geschehnisse und Grausamkeiten (damals und heute) jede Sekunde seines Lebens in ihrer ganzen Dimension und Tragweite bewusst.

Was sind Deine derzeitigen Projektpläne?

Oh, darüber darf ich leider gar nichts verraten. Das bringt Unglück!

Hättest Du mit Ingeborg Bachmann gerne einen Tag in Wien verbracht und wenn ja, wie würde dieser aussehen?

Selbstverständlich, es wäre mir eine große Ehre gewesen! Wahrscheinlich würde ich mit Ingeborg Bachmann im Volksgarten spazieren gehen, dort, wo die Rosen sind, und danach würde ich mit ihr einen Kaffee im Landtmann trinken, und würde lange sitzen bleiben. Ganz lang.

Darf ich Dich abschließend zu einem Malina Akrostichon bitten?

Mein

Atem, ich –

Licht aus, keine Türen –

Ich halt mich –

Nicht EIN Fenster! – halt mich

An meinem Atem an

Station bei Bachmann/Malina_
Annett Krendlesberger, Schriftstellerin_Wien_
am Wohnort 1946-49 Ingeborg Bachmanns in Wien und am Romanschauplatz „Malina“ Wien  
Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Station bei Bachmann/Malina_Roman Ingeborg Bachmann_Wien

Annett Krendlesberger, Schriftstellerin_Wien

Zum Projekt: Das Literatur outdoors Projekt „Station bei“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst/Fotografie.

Dabei kommt den werk-topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.

Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person in Wort&Bild beizutragen.

Den Schwerpunkt bildet dabei Werk und Leben Ingeborg Bachmanns. Ebenso weitere Künstler:Innen.

Aktuelle Bucherscheinung von Annett Krendlesberger: “DALIEGENDE. UNBEWEGT

DALIEGENDE. UNBEWEGT. Annett Krendlesberger. Fabrik.transit Verlag.

mit einem Nachwort von Birgit Schwaner

13,6 x 20,6 cm, Hardcover

ca 160 Seiten, 5 farbige Abbildungen

Erscheint im Dezember 2023

ISBN 978-3-903267-58-9

€ 22,00

https://www.fabriktransit.net/daliegende-unbewegt.html

Interview&alle Fotos _ Walter Pobaschnig  5/24

https://literaturoutdoors.com

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