Lieber Johannes Wally, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Unspektakulär. Er ist geprägt von meiner Arbeit an der Universität und von meinem Familienleben, speziell vom Tagesrhythmus meines kleinen Sohnes. Ich versuche, regelmäßig zu schreiben, was nicht immer funktioniert. Bei Schreiben sind allerdings auch wissenschaftliche Texte gemeint, nicht nur literarische. Ich habe lange gedacht, dass nicht hauptberuflich Schriftsteller zu sein meinen Output hemmt. Das tut es sicher. Allerdings ist die abwechslungsreiche Tätigkeit auch befruchtend. Auch habe ich das Glück, das, was ich mache, gerne zu machen.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich denke, was immer schon wichtig war: Besonnenheit, Humor und Herzensgüte. Mit diesem etwas altmodischen Wort (Herzensgüte) meine ich, die bewusste Entscheidung, von anderen Gutes anzunehmen und ihnen im Guten begegnen zu wollen. Das hat nichts mit Gutgläubigkeit oder Naivität zu tun. Vielmehr ist, nach Schopenhauer, Herzensgüte ein Willensakt, der Selbstdisziplin und Selbsterkenntnis erfordert. Herzensgüte so verstanden mündet nicht in kantenloser Beliebigkeit, sondern – im Idealfall – in einem Umfeld, das allen Raum gibt.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Kunst hat immer auch eine implizite weltanschauliche Dimension und kann daher auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam machen. Insofern bin ich bezüglich der Rolle, die Kunst bei gesellschaftlichen Veränderungen spielen kann, durchwegs (vorsichtig) optimistisch. Allerdings denke ich, dass Kunst auch einfach nur Spaß machen darf. Der Aufruf zur gesellschaftspolitischen/gesellschaftskritischen Kunst kommt mir manchmal wie ein Ablenkungsmanöver vor. Die Kunst soll etwas leisten, was eigentlich die Aufgabe von politischen Programmen ist. Das geht nicht. Der klügste gesellschaftskritische Roman kann keine gute Politik ersetzen, das schönste Bild keine warme Mahlzeit.
Was liest Du derzeit?
Ich lese immer recht viel und vieles parallel. Gerade lese ich wieder einmal Per Olov Enquists Roman Das Buch der Gleichnisse: ein Liebesroman (2013). Darin versucht der Erzähler rückblickend die Zusammenhänge in seinem Leben zu verstehen. Einzelne Erlebnisse werden dabei zu geheimnisvollen Gleichnissen. Enquists Buch ist unglaublich schön, aber nicht immer leicht zu lesen. Wenn er mir zu schwierig wird, wechsle ich zu Elizabeth Strouts Olive Kitteridge (2008). Ich bewundere die Klugheit und Feinfühligkeit, mit der sie die leisen Tragödien und versteckten Verbindungen zwischen einzelnen Biografien in einer fiktiven Stadt in Maine darstellet.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Der britische Schriftsteller Ian McEwan schreibt an einer Stelle in seinem Roman Atonement (2001):
[A] person is, among all else, a material thing, easily torn, not easily mended.
Vielen Dank für das Interview, lieber Johannes, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Johannes Wally, Schriftsteller
Zur Person_ Johannes Wally wurde 1978 in Wien geboren. Er lehrt und forscht als Senior Lecturer an der Karl-Franzens-Universität Graz am Institut für Anglistik. Wally ist Autor von zwei wissenschaftlichen Monographien sowie von zwei literarischen Büchern. Er publiziert regelmäßig in Fach- und Literaturzeitschriften (u.a. in den LICHTUNGEN und manuskripte), der Text „Fluchtlinien“ wurde 2021 vom österreichischen Rundfunk (Ö1) gesendet. Seine Arbeit wurde mehrfach preisgekrönt, z. B. mit dem Literaturpreis der Stmk. Sparkasse für sein literarisches Debüt Absprunghöhen (Leykam 2014) und dem Josef-Krainer-Förderungspreis für Secular Falls from Grace (Wissenschaftlicher Verlag Trier 2015).
Aktueller Roman von Johannes Wally:

„Was dazwischen kommt“ _Roman von Johannes Wally. Edition Keiper
Der Weg zur Erlösung ist lang und endet manchmal mit einem Aktmodell. So im Falle Haimo Wildners, der glaubt, 1983 seinen Schulfreund Karl Jesenký auf der Maturareise umgebracht zu haben. Erst als er im fortgeschrittenen Alter beschließt, seiner Ex-Partnerin Modell zu stehen, löst er sich aus seiner Verstrickung: Er kann sich zeigen, wie er ist.
Vor dem Hintergrund der jüngeren österreichischen Geschichte folgt das Buch mehreren biografischen Strängen. Diese umspielen sich, beleuchten sich wechselseitig und treffen sich immer wieder im rätselhaften Tod Karl Jesenkýs. Johannes Wally hat einen vielschichtigen Roman geschrieben über eingebildete und tatsächliche Schuld, über Liebschaften, Freundschaften und Feindschaften und von der Möglichkeit, zu vergeben.
Preis: AT € 24,00 / DE € 23,35
Seiten: 252
ISBN13: 978-3-903575-10-3
Erscheinungsdatum: 4. März 2024
Sprache: Deutsch
Format: 12,0 x 20,0 cm; Pappband.
https://www.editionkeiper.at/shop/produkt/was-dazwischen-kommt-erzaehlungen-roman/
Foto_ Foto Fischer
Walter Pobaschnig _ 1.5.2024