„Zu erkennen, was falsch rennt“ Norbert Maria Kröll, Schriftsteller _ Mödling/NÖ 4.5.2024

Lieber Norbert Maria Kröll, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Das ist eine sehr persönliche Frage. Vereinfacht, und ohne ins Detail zu gehen, würde ich sagen: Am Vormittag schreibe ich, den Rest des Tages bin ich für die Familie da. Sollte ich beim Einschlafen zu müde sein, um mir die allerletzten Einfälle zu notieren, sind sie weg. Dann ärgere ich mich, wenn ich erwache. Ich träume nie vom Schreiben. Ich weiß nicht, ob das etwas Gutes ist oder etwas Schlechtes. Aber das gehört dann schon nicht mehr zum Tagesablauf, sondern zum Nachtablauf.

Norbert Maria Kröll, Schriftsteller

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich denke, dass uns ein bisschen mehr Fantasie nicht schaden würde. Ich rede hier nicht von „Hogwarts oder Mittelerde-Fantasie“, sondern jene, die wir benötigen, um Probleme zu lösen. Um Probleme lösen zu können, müssten diese überhaupt erst als solche erkannt werden. Ja, vielleicht geht es darum: Zu erkennen, was falsch rennt. Das ist der erste Schritt, das wäre wichtig. Erst danach kommen die Lösungsvorschläge. Wovon manche okay sind, manche gut, manche schlecht … und andere nicht umsetzbar. Hier käme die Fantasie ins Spiel, die uns dabei hilft, scheinbar Unmögliches möglich zu machen. Als großes Problemfeld sehe ich hier die Bildung. Sie wird nicht – Stichwort „koste es, was es wolle“ – als wichtig genug erachtet. Alles verfügbare Geld sollte in diesen Bereich fließen. Und ich rede hier nicht (nur) von akademischer Bildung, sondern von den elementaren Bildungseinrichtungen: unsere Kindergärten. Dort fängt es an. Hier müsste der Hebel angesetzt werden. Wir kümmern uns nicht darum, wir sehen nicht, dass hier eine Überlastung stattfindet. Dort ist, wie Politiker:innen es gerne formulieren, akuter Handlungsbedarf. Aber vor der Handlung kommt – siehe oben – das Erkennen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Als Aufbruch und Neubeginn deute ich hier die Herausforderungen, die uns Künstliche Intelligenzen bringen werden. Wir wissen nicht, worauf wir zusteuern. Das ist keine gute Ausgangslage. Aber hier soll es auch um die Literatur und die Kunst gehen. Ist KI dazu fähig, Kunst zu schaffen, die uns zum Nachdenken über unser Dasein bringt? Ich denke, das wird sie sein. Das Problem: Sie bezieht sich auf Dagewesenes. Auf Texte, auf Bilder, die in ihren Datenbanken liegen, die (eh klar, auch illegal) eingespeist wurden und werden. Auf Datenbanken liegt aber immer nur Vergangenes. Texte, die geschaffen wurden, Gemälde und Videos, die gemalt und gefilmt wurden. Es kann nichts Neues von dort kommen, auch wenn die Zusammensetzung der Ingredienzen noch so oft vermischt und in neuer Reihung ausgespuckt wird. Das Alte, also aller Inhalt der KI, ist unser gespeichertes Gedächtnis. Es gehört uns, nicht einem Staat, nicht einer Firma. Alles, was hier monetär ausgeworfen wird, sollte zu uns zurückfließen. Aber das Alte sind die Wurzeln, der Stamm, das Neue sind die frisch gewachsenen Äste, die Blätter. Das Neue kommt vom Menschen. Wir müssen es schützen.

Was liest Du derzeit?

Abenteuer Archäologie – Eine Reise durch die Menschheitsgeschichte von Hermann Parzinger. Ich bin auf sein Buch gestoßen durch ein höchst interessantes Interview in der Volltext Literaturzeitschrift, das Alexander Kluge mit ihm geführt hat.

Außerdem lese ich gerade den neuen Gedichtband von Jan WagnerSteine und Erden.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Um auf Alexander Kluge zurückzukommen: Er hat kürzlich in einem Interview (abgedruckt in der Tageszeitung Der Standard) gesagt – ich zitiere:

„Auch die Fingerspitze und das Fingerspitzengefühl sind ein kleiner Kopf für sich. Dort kann Vertrauen entstehen.“

Vielen Dank für das Interview, lieber Norbert, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Norbert Maria Kröll, Schriftsteller

Zur Person_ Norbert Maria Kröll, geb. 1981 in Villach, lebt und arbeitet in Mödling bei Wien. Studium der Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Mitherausgeber des mit dem österreichischen Staatspreis ausgezeichneten Literaturmagazins JENNY #2 (De Gruyter). Arbeits- und Reisestipendien des Kunstministeriums. Wiener Literaturstipendium 2016. Forum Land Preis 2017. Jubiläumsfonds Stipendiat der Literar-Mechana 2018. Förderpreis des Landes Kärnten 2018. Dritter Preis beim Feldkircher Lyrikpreis 2019. Wiener Literaturstipendium 2020. Theodor Körner Preis 2020. Literatur:im:süden Sonderpreis der Stadt Villach 2023.

Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften (DUM, LICHTUNGEN, Die Rampe, etcetera, …) Im Frühjahr 2017 erschien der Debüt-Roman „SANFTER ASPHALT“ im Löcker Verlag (Wien). Der zweite Roman „Wer wir wären“ erschien im Frühjahr 2020 in der Edition Atelier (Wien) und erhielt die Buchprämie der Stadt Wien 2020. Der dritte Roman „Die Kuratorin“ erschien im September 2022 bei Kremayr & Scheriau. Der vierte Roman mit dem Titel „Arcus“ wird im Herbst 2024, ebenfalls bei Kremayr & Scheriau, erscheinen.

https://www.norbertkroell.net/

Aktueller Roman von Norbert Maria Kröll:

Norbert Maria Kröll, Die Kuratorin

„Als Kuratorin eines renommierten Museums sorgt Regina Steinbruch für Aufsehen in der Kunstwelt. Sie ist Karrierefrau durch und durch;um ihre Ziele zu erreichen, geht sie rücksichtslos ihren Weg – flink vorbei an den verachteten männlichen Kollegen. Als Regina bei einem One-Night-Stand schwanger wird, gerät ihre Welt aus den Fugen, und selbst, als sie entscheidet, das Kind ihrer besten Freundin zur Adoption zu übergeben, findet sie nicht zur Ruhe. Baby Toms unwiderstehlicher Geruch bringt die knallharte Fassade der Kuratorin zum Bröckeln und Stück für Stück tritt ein empfindsamer und verletzlicher Mensch in Erscheinung.


Norbert Maria Krölls dritter Roman ist eine schwarzhumorige Satire auf den Kunst- und Kulturbetrieb und stellt provokant weibliche und männliche Rollenzuschreibungen infrage. In einem schrankenlosen Gedankenstrom erzählt „Die Kuratorin“ vom Mut, stark zu sein, und der manchmal noch größeren Herausforderung, auch Schwäche zeigen zu können.“

Norbert Maria Kröll, Die Kuratorin

Hardcover mit Schutzumschlag, gebunden.

304 Seiten, Format 12,0 x 20,0

1 Auflage, Kremayr & Scheriau 2022

24,00 € inkl. MwSt.

ISBN: 978-3-218-01336-9

https://www.kremayr-scheriau.at/bucher-e-books/titel/die-kuratorin/

Foto_ Nina Herlitschka

Walter Pobaschnig _ 26.4.2024

https://literaturoutdoors.com

Ein Gedanke zu „„Zu erkennen, was falsch rennt“ Norbert Maria Kröll, Schriftsteller _ Mödling/NÖ 4.5.2024

  1. Sehr erfreulicher Werdegang!
    Norbert war Schüler am BG St. Martin/Villach. Ich kenne ihn als interessierten, introvertierten blonden Buben mit ein paar Sommersprossen! Sehr lieb.

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