Liebe Lydia Gebel, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich habe – erst seit kurzem – wieder sicher einen, vielleicht zwei Tage in der Woche, an denen ich es schaffe, ernsthaft zu schreiben. Die Dinge des Lebens haben mich in jüngster Vergangenheit immer wieder an den Rand gespült. Ich bin aufgeregt, vielleicht wird der Prozess schneller wieder enden, als mir lieb ist. Aber wenn etwas beginnt, dann sicher mit einem starken Espresso in viel aufgeschäumter Milch. In den letzten Jahren habe ich ausschließlich Aneinanderreihungen fragmentarischer Schnappschüsse produziert:
„Alles wird wieder gut gehen. Du wirst mit deinem flachen Rücken über den Pezziball rollen. Und es wird sich sanft anfühlen wie das Meer, indem du dich auch immer drehtest. Über den Bauch auf den Rücken und immer so weiter. Endlos. Wenn man durch glasklares Wasser auf den Meeresboden blicken kann, ist es schwer daran zu glauben, dass irgendetwas auf dieser Welt nicht in Ordnung sein könnte. Der Schein ist trügerisch. Aber war er es nicht immer? Du fängst an, in Rätseln zu sprechen. Du bist an einem Punkt, an dem du lieber nicht mehr verstanden werden möchtest. Du wirst dich wieder herausreden müssen. Denn das kannst du gut. Es geht nicht darum, Dinge zu erzählen, die irgendjemand hören will.“

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Dass wir versuchen sollten, offen zu sein und verständnisvoll und uns von möglichst vielen Perspektiven Problemstellungen zu nähern. Verständnis üben. Uns gegenseitig ein Korrektiv zu sein. Nicht immer gleich mit dem Beil ein Urteil fällen. Außerdem denke ich, dass es gerade in trüberen Zeiten besonders wichtig ist, den Blick für die Schönheit der Dinge zu schärfen. Wir sollten lernen, das Einfache und vor allem das scheinbar Selbstverständliche zu schätzen – gerade jetzt.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ich denke, Aufbruch und Wandel sind immer. Die Idee von ewiger Sicherheit ist Selbstbetrug. Daher sollten wir unsere Flexibilität und Offenheit trainieren und nicht glauben, es gäbe irgendwelche Schäfchen ins Trockene zu bringen. Je konventioneller und eingefahrener wir leben, desto weniger sind wir uns dieser Brüchigkeit des Lebens bewusst. Darin liegt eine gewisse Gefahr.
Was liest Du derzeit?
Zeruy Shaley, Liebesleben
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Das Meer hüllte sie in seine Falten ein, berührte ihre Beine, ihre Hüften, ihre Brüste – das Wasser war ein Bildhauer; sie spürte die warmen Hände des Meeres überall auf ihrem Körper. (Anaïs Nin, Labyrinth des Minotaurus)
Vielen Dank für das Interview, liebe Lydia, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Lydia Gebel, Schriftstellerin
Zur Person_ Lydia Gebel, wurde 1985 in der Nähe von Leipzig geboren und lebt seit vielen Jahren in Berlin. (Ihr Roman Mademoiselle Manie wartet noch auf Veröffentlichung.)
https://lydiagebel.com/wp-content/uploads/2020/11/1-20_mademoiselle_manie_lydia_gebel.pdf
Foto: Jan Sobotka _ http://www.catonbed.de
Walter Pobaschnig _ 28.4.2024